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Olympia

Die Spiele der Freudlosigkeit?

Martina Meister

© Depositphotos

23. Februar 2024

Drei Mal hat sich Paris in den vergangenen 25 Jahren um die Austragung der Olympischen Spiele beworben, drei Mal vergeblich. Als der Zuschlag für 2024 kam – genau hundert Jahre, nachdem Paris das erste Mal Olympia veranstalten durfte – war die Euphorie groß. Doch heute scheint die Euphorie der Freudlosigkeit gewichen zu sein. Martina Meister berichtet.

Einführungsveranstaltung zu den Olympischen und Paralympischen Spielen für ausländische Botschafter, Paris, 12.01.2023 © MEAE/Jonathan Sarago

Man hat sich Großes vorgenommen, man will, dass dieses Fest in die Geschichte eingeht. Die Eröffnungsfeier der 33. Olympischen Spiele (26. Juli) soll alles schlagen, was sich Peking, London, Rio und Tokyo haben einfallen lassen. Die Athleten werden auf Booten die Seine hinunterfahren, während hunderttausende Zuschauer die Flotte an den unteren und oberen Ufern verfolgen können – „eine beispielslose Premiere“, wie die Organisatoren sagen. Überhaupt werden fantastische Bilder um die Welt gehen. Die Wettkämpfe werden zum Teil in historischen Gebäuden stattfinden, Fechten und Taekwondo im frisch restaurierten Grand Palais, junge Sportarten wie Skateboard, Breakdance und BMX werden vor der atemberaubenden Kulisse der Place de la Concorde ausgetragen. Am Eiffelturm wird Beachvolleyball gespielt, das Bogenschießen findet auf der Esplanade des Invalidendoms statt. Die Reiter dürfen im postkartenreifen Ambiente des Schlossparks von Versailles um Medaillen kämpfen. Die Teilnehmer des Langstreckenschwimmens und des Triathlons werden am Pont d‘Iéna in die Seine springen dürfen, hundert Jahre nachdem die letzten Mutigen darin gebadet haben. Den Fluss sauber zu bekommen, war die größte Herausforderung dieser Spiele, eine Leistung, auf die sich Stadt und Region etwas einbilden dürfen. Doch dabei werde es nicht bleiben: Im Sommer 2025 sollen mehrere Badebereiche für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Nachhaltige und gleichberechtigte Spiele

Stolz kann Paris auch darauf sein, besonders nachhaltige gleichberechtigte Spiele zu veranstalten und sich vom Gigantismus der Vergangenheit verabschiedet zu haben. Den CO2-Ausstoß habe man um die Hälfte reduziert, versichert Tony Estanguet, dreifacher Olympiasieger im Kanu und Präsident des Pariser Organisationskomitees. Gleichzeitig seien es die ersten Spiele, die komplett paritätisch sind, erklärt Estanguet. Nachhaltig sind diese Spiele, weil 95 Prozent der Austragungsorte bereits vorhanden waren. Bei denjenigen, die extra gebaut wurden, hat man wie beim Centre Aquatique in Saint-Denis von vornherein an das Erbe gedacht.

Das Centre aquatique in Saint-Denis © Wikimedia Commons

Keine Stadt will sich „weiße Elefanten“ leisten, wie man das im Olympia-Jargon nennt, wenn überteuerte Großprojekte nach den Spielen verfallen. Die traurigen Bilder von verrotteten Schwimmbecken in Athen und Rio sind allen in schlechter Erinnerung.

Die Festspiele der Schwarzmaler

In seiner Neujahrsansprache hatte Präsident Emmanuel Macron 2024 als „Jahr des französischen Stolzes“ bezeichnet – ein Jahr, in welchem erst Olympia stattfindet, dann die restaurierte Kathedrale Notre-Dame wiedereröffnet wird. Doch fünf Monate vor Beginn der Spiele ist von Stolz nichts zu spüren. Vorfreude kann auch schwerlich aufkommen, solange sich die französischen Medien gegenseitig in Horrorvisionen überbieten. Die Sicherheit? Kann nicht garantiert werden, nicht für die Eröffnungsfeier, nicht für den Rest. Zu wenig Sicherheitskräfte und eine Weltlage so angespannt wie nie zuvor. Die Tickets? Unbezahlbar und trotzdem schon vergeben. Die Hotelpreise? Der reine Wahnsinn. 699 Euro kosten die Pariser Hotelzimmer im Durchschnitt während der Spiele, mehr als drei Mal so viel wie zu normalen Zeiten. Der Verkehr? Wird zusammenbrechen. Knapp eine Million Gäste pro Tag könnten für den Kollaps das öffentlichen Verkehrssystems sorgen, das schon zu normalen Zeiten überlastet ist, prognostizieren die Schwarzmaler.

Nichtregierungsorganisationen wie der Verein „Die Kehrseite der Medaille“ („Le revers de la médaille“) beklagen die „soziale Säuberung“ von Paris, weil Migranten und Obdachlose das schöne Bild stören würden und deshalb schon Wochen vorher in die Provinz umgesiedelt werden sollen. Auch Studentenwohnheime will der Staat für die Zeit der Spiele konfiszieren, damit sie an Gäste vermietet werden können.

Chakra öffnen und die Welt freudig empfangen

Der inzwischen geschasste Verkehrsminister Clément Beaune bereitete die Pariser auf Zeiten im „Hardcore-Modus“ vor und empfahl allen, aus dem Homeoffice zu arbeiten oder Paris am besten zu verlassen. Selbst der Preis der Metro-Tickets wird während der Spiele verdoppelt. Regionspräsidentin Valérie Pécresse (Les Républicains) begründet das damit, dass mehr Busse und Metros im Einsatz sein werden. Die neuen Metrolinien werden bis Olympia fertig sein, versprach die ehemalige Präsidentschaftskandidatin und gab allen Einheimischen einen Rat: „Es ist an der Zeit, dass wir unser Chakra öffnen. Wir empfangen die Welt bei uns und sind das einzige Land, das sich darüber nicht freut.“

Ein paar Om-Mantras zur Beruhigung werden kaum genügen, um die Stimmung zu drehen. Insgesamt ist die Vorberichterstattung so negativ, dass der örtliche Hotel- und Gaststättenverband einen offenen Brief an die Regierung, die Bürgermeisterin, die Regionspräsidentin und den Polizeipräfekten schrieb, in dem um eine „positive und verantwortliche Ausdrucksweise“ gebeten wird: „Wir wären froh, wenn Ihre Erklärungen in den Medien weniger negativ ausfallen würden. Die angstmachende Kommunikation steht im Gegensatz zu dem Wunsch, die Spiele in Paris ausrichten zu wollen: Warum hat man etwas so lange begehrt, vor dem man sich jetzt ängstigt“, fragt der Verbandspräsident.

Zuzuschreiben ist die schlechte Stimmung in großem Maß tatsächlich der Politik. Unter dem Motto „Die Spiele antizipieren“ empfahl die Regierung den Parisern, während Olympia keine Paketsendungen zu empfangen. Bestellungen sollte man am besten vor den Spielen aufgeben oder während der kurzen Atempause zwischen Olympischen und Paraolympischen Spielen. Auf diese Weise ist Olympia zum Terrain innenpolitischer Gefechte und Stellungskriege geworden. So lassen die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo und die konservativen Regionspräsidentin Pécresse keine Gelegenheit aus, sich gegenseitig für mögliches Misslingen schon im Vorfeld verantwortlich zu machen.

Die Zukunft liegt in den Banlieues

Dominique Perrault © Enrique Pardo

In Vergessenheit geraten ist, dass die Olympischen Spiele ein Beschleuniger für die Entwicklung der Banlieues im Norden von Paris sind, vor allem von der Problemstadt Saint-Denis, wo das vielversprechende Centre Aquatique und das Dorf der Athleten hochgezogen wurden. „Wir haben aus einer Industriebrache einen neuen Wohnbezirk mit Grünflächen am Ufer der Seine gemacht“, erklärt Dominique Perrault, der als Architekt und Stadtplaner den Masterplan des olympischen Dorfes entworfen hat. Nach den Spielen werden dort 6000 Einwohner ein neues Zuhause finden, ein Viertel der Wohnungen sollen als Sozialbauwohnungen vergeben werden. In ein paar Jahren sei Infrastruktur entstanden, die sonst nur in Jahrzehnten hätte gebaut werden können, versichert Perrault. Gleichzeitig hat das städtebauliche Großprojekt des Grand Paris, das 2017 lanciert wurde, konkrete Gestalt angenommen. Vier neue Metro-Linien mit 68 zusätzlichen Stationen sind im Bau, Saint-Denis wird nach dem Sportfest besser mit Paris vernetzt sein als je zuvor. „Wir erleben in Saint-Denis gerade eine historische Transformation, dort liegt die Zukunft“, sagt Perrault. In ein paar Jahren, so prophezeit der Stararchitekt, wird das Wort Banlieue nicht mehr existieren. Sollte das stimmen, wäre das auch Olympia zu verdanken.

Die Autorin

Martina Meister arbeitet seit über zwanzig Jahren als Korrespondentin aus Frankreich, anfangs schrieb sie vorwiegend über kulturelle, kulturpolitische und gesellschaftliche Themen, seit 2015 ist sie politische Korrespondentin von WELT & WELT AM SONNTAG. Sie hat François Duby aus dem Französischen übersetzt, das Onlinemagazin „Mad about Paris“ gegründet und ist Autorin des Buches „Filou oder glücklich mit Hund“.

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