Gallizismen
Frankreich in Deutschland
14. Dezember 2020
Während der Herrschaft Napoleons, der sogenannten Franzosenzeit (1794–1814), wurde die deutsche Sprache besonders im Rheinland, in der Pfalz und in Berlin um zahlreiche Gallizismen bereichert. Es entstanden Wörter wie Malör, Lamäng, Bredullje, Firlefanz, blümerant, Plümmo, malad, Paraplü und Fassong.
„In der Tat ist der französische Lehnwortschatz in den rheinischen Mundarten beträchtlich“, schreibt Peter Honnen in seinem Herkunftswörterbuch der Umgangssprache an Rhein und Ruhr Wo kommt dat her? Aber schon lange vor der Franzosenzeit, bereits im Mittelalter, hielten französische Wörter Einzug in die Sprache jenseits des Rheins.
2000 Lehnwörter
Während es relativ wenige Germanismen im Französischen gibt, bereichern an die 2000 Gallizismen/Französismen die ohnehin wortreiche deutsche Sprache. Viele französische Wörter wie affront, branche, chance, nonchalance, contenance, roulette, souvenir, taille und et cetera wurden eins zu eins übernommen. Andere erlitten eine kleine Blessur, eine Verballhornung, wie zum Beispiel Leutnant, der kein Dienstgrad, sondern die Bezeichnung für einen Statthalter war (von lieu tenant, wörtlich „den Ort haltend“).
„Mein lieber Scholli!“ aber kommt vom französischen joli (hübsch), also „mein lieber Hübscher!“. Das Negligé ist ursprünglich ein französisches Adjektiv – négligé (nachlässig) – und bezeichnet als Substantivierung ein „nachlässiges“ Kleid, eine luftige, leichte Bekleidung. Auch die Interjektion „Chapeau!“ im Sinne von „Hut ab!“ ist französischer Herkunft und als abgewandelte Form von chapel (lateinisch caput, das Haupt) fast 900 Jahre alt.
Der Ausdruck „Fisimatenten“ hingegen ist Ursprung für eine hübsche Legende. Niederrheinische Mädchen wurden in der napoleonischen Zeit keineswegs von charmanten, französischen Soldaten mit dem Anmachspruch „Visitez ma tente, Mademoiselle“ (Besuchen Sie mein Zelt, mein Fräulein) aufgefordert, sich auf eine liaison dangereuse einzulassen. Die etymologische Wahrheit lautet: das Wort geht auf den lateinischen Ausdruck „visae patentes“ für ein ordnungsgemäß verliehenes Offizierspatent zurück.
Vorbild Rittertum
Für die deutschen Ritter und Dichter diente das Rittertum in Frankreich als das Vorbild schlechthin. Und so gelangten, ab dem 11. Jahrhundert und meistens über die Niederlande, zahlreiche Wörter aus dem Altfranzösischen ins Mittelhochdeutsche, Wörter, die wir heute noch benutzen, bisweilen sprichwörtlich oder im übertragenen Sinne, wie „eine Lanze (französisch lance) brechen“ oder Panzer (altfranzösisch pancier). Mit der Abwehrwaffe Pike (pique) wurden im Spätmittelalter die Pikeniere (piquiers) der schweren Infanterie ausgestattet; die unerfahrenen, einfachen Soldaten erlernten das Kriegshandwerk „von der Pike auf“ – eine bis heute geläufige Redewendung.
Wesentlich friedlicher verlief der wirtschaftliche und sprachliche Austausch deutscher und französischer Kaufleute. Während der regen Handelsbeziehungen mit der Hanse gab es in Frankreich sogenannte maisons communes, deutsche Gasthöfe unter deutscher Leitung für hansische Reisende; in der Seidenstadt Lyon hatten Geldhäuser aus Augsburg und Nürnberg Niederlassungen; viele junge deutsche Adlige gingen nach Paris, um an der prestigereichen Sorbonne zu studieren. Das alles blieb nicht ohne sprachliche Folgen. Kleidungsstücke wie der Stiefel, eine Ableitung von estivel im Altfranzösischen, oder Flöte (flûte) stammen aus dieser Zeit.
Goldenes Zeitalter
Das goldene Zeitalter der französischen Sprache in Deutschland aber begann im 17. Jahrhundert. Nach dem Widerruf des Toleranzediktes von Nantes (1685) flohen viele in Frankreich verfolgte Calvinisten, spöttisch Hugenotten genannt, auch nach Deutschland, weil z. B. Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg das Potsdamer Toleranzedikt erließ. An die 40.000 Französinnen und Franzosen emigrierten in sein Hoheitsgebiet, die Hälfte davon nach Berlin und Brandenburg.
An deutschen Höfen bemühte man sich indes nach Kräften, mit dem Königshof in Versailles mitzuhalten. Französisch war in aller Munde. Es galt als todschick (tout chic), in der Sprache von Molière zu parlieren, Tisch- und sonstige Manieren der kultivierten Nachbarn zu übernehmen und sich für einen blassen Teint (teint) ganz à la mode zu pudern (von poudre), denn Wasser galt als gesundheitsschädlich. Der französischen Mode frönte man mit passenden Accessoires wie einer eleganten Perücke (perruque).
In Potsdam war ab 1750 der französische Aufklärer Voltaire Gast von Friedrich dem Großen. Ihre Umgangssprache: Französisch. Sowohl mündlich als auch schriftlich beherrschte der König diese Sprache perfekt – er war von der hugenottischen Gouvernante Madame de Rocoulle und dem hugenottischen Präzeptor Duhan de Jandun zweisprachig erzogen worden. Als Machtpolitiker griff der König zum Schwert, als Literat verfasste er 1740 auf Französisch und sehr stilsicher ein erotisches Gedicht, La Jouissance (Die Lust).
Voltaire schrieb am 24. Oktober 1750 an den Marquis de Thibouville: „Je me trouve ici en France. On ne parle que notre langue. L’allemand est pour les soldats et pour les chevaux.“ (Ich befinde mich hier in Frankreich. Man spricht nur unsere Sprache. Deutsch ist für die Soldaten und die Pferde.) Im Schloss Sanssouci (Ohne Sorge) wurden der „Hautevolee“ die Speisen der französischen Chefköche des Königs, Joyard aus Lyon und André Noël aus Périgueux, aufgetischt.
In der Sommerresidenz des Mannheimer Hofes Carl Theodors von der Pfalz war ein anderer begabter Franzose tätig und sehr geschätzt, der lothringische Architekt und Gartenarchitekt Nicolas de Pigage. Unter seiner Leitung wurde zwischen 1755 und 1773 ein Kleinod im Süden von Düsseldorf errichtet: Schloss Benrath, eine sogenannte Maison de Plaisance, ein Lustschloss nach französischem Vorbild, als Rückzugsort und Privatsphäre für den Kurfürsten Carl Theodor und seine Gemahlin. Es gehört zu den schönsten Rokoko-Gartenschlössern Europas. Pigage entwarf auch den ursprünglichen jardin à la française (= Barockgarten).
Französisch war en vogue. Peter von Polenz schreibt in Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart: „Im 18. Jahrhundert erschienen in Deutschland mindestens 400 Grammatiken oder Lehrwerke des Französischen in solcher Überproduktion, dass man über ihre Vielzahl klagte und marktschreierische Titel nötig hatte.“ Und wie verhielt sich das Bürgertum? „Die Bürger versuchten lediglich, die Adligen nachzuahmen, und flochten in ihre Rede französische Wörter ein (…) So entstand der alamodische Fremdwörterkult (…) mit der Nachahmung der französischen Kleidung, Küche, Möbel etc.“ (Corina Petersilka, Die Zweisprachigkeit Friedrichs des Großen).
Revolution und Reaktion
Als Folge der Französischen Revolution kam ab 1789 ein neuer Emigrantenstrom nach Deutschland, vorwiegend aus der königstreuen Adelsgesellschaft. Es waren gebildete gens de qualité mit eitlem Standesdünkel. In deutschen Schlössern musizierte man, es fanden rauschende Feste und anregende Gespräche in französischer Sprache statt.
Der Schriftsteller und Sprachforscher Joachim Heinrich Campe entwickelte ab Ende des 18. Jahrhunderts als Reaktion auf den Einfluss des Französischen für etwa 11.500 Fremdwörter „Verdeutschungen“. Wörter wie Appetit, Rendezvous, Parterre ersetzte er durch Esslust, Stelldichein und Erdgeschoss. Mit bekanntlich mäßigem Erfolg.
Dafür sprachen 1870–1871 die Waffen. Bis zum Ersten Weltkrieg war im Kampf Mann gegen Mann das Bajonett das Instrument der Wahl. Die auf ein Gewehr aufsetzbare Stoß- und Stichwaffe kam ursprünglich aus der Stadt Bayonne im Baskenland.
Falsche Freunde
Leicht verballhornt wurde die französische blouse, die ins Deutsche als Bluse übernommen wurde, allerdings mit radikaler Bedeutungsverschiebung: blouse ist im Französischen ein Arbeitskittel, eine Bluse ein chemisier. Das hierzulande für die Kunst des Lebens (art de vivre) gebräuchliche Savoir-vivre steht in Frankreich für gutes Benehmen und gute Umgangsformen.
Solche sogenannten falschen Freunde (faux amis), also Wörter, die Wörtern einer anderen Sprache sehr ähneln oder sehr vertraut klingen, aber etwas anderes bedeuten, sind häufig. Un chansonnier ist in Frankreich kein Sänger, sondern ein Kabarettist. Manche „falschen Freunde“ sind geradezu tückisch und können zu peinlichen Fauxpas führen. Das deutsche Baiser etwa ist im Französischen ein Kuss. Das Gebäck heißt in Frankreich meringue.
Zu den echten Gallizismen gesellen sich zudem sogenannte faux gallicismes (Scheingallizismen). Es sind deutsche Wörter, die zwar durchaus französisch klingen, wie zum Beispiel Raffinesse (französisch raffinement) oder Blamage (honte, verbalisiert se ridiculiser), die jedoch im Französischen nicht existieren oder etwas (völlig) anderes bedeuten.
Der ausführliche Beitrag ist unter dem Titel Clementine, Firlefanz, Jacke, Tennis und Compagnie – Eingewanderte französische Wörter (nicht nur) am Niederrhein – Teil II im Jahrbuch 2020 des Heimatvereins Krefeld sowie im Blog des Autors erschienen.
Buchempfehlung:
Hilke Maunder, So viel Frankreich steckt in Deutschland, herausgegeben von Stefan Endell (DFG Duisburg) und Oliver Nass (VDFG, Mainz), 2020