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Französische Jugendgangs

Krieg der Banden

Mariella Hutt

Der 15-jährige Aymane hat einen Bandenkrieg in Bondy bei Paris am 26. Februar 2021 mit dem Leben bezahlt. © picture alliance / dpa/MAXPPP / Sadak Souici / Le Pictorium

3. März 2021

Videos von Jugendlichen, die sich prügeln, Bilder von Straßen voller Rauch und brennenden Autos, Meldungen über schwerverletzte oder sogar tote Minderjährige – Frankreich kommt wieder einmal nicht zur Ruhe.

Innerhalb einer Woche haben in Pariser Vororten drei Jugendliche bei rivalisierenden Zusammenstößen ihr Leben verloren. Im Département Essonne wurden Ende Februar 2021 zwei 14-Jährige ermordet – sie wurden bei Schlägereien erstochen. Nur einige Tage später ist ein 15-Jähriger im Département Seine-Saint-Denis das Opfer, nachdem Jugendliche mit Eisenstangen aufeinander eingeschlagen hatten; in Champigny-sur-Marne gab es schwerverletzte Minderjährige, auch im 16. Arrondissement der Hauptstadt kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Verletzten – nur wenige Beispiele für jährlich hunderte ähnlicher Vorfälle im Großraum Paris.

Auch im übrigen Land kommt es immer wieder zu Kriegen rivalisierender Banden. Zum Beispiel in Dijon. Dort gab es im Sommer 2020 gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Tschetschenen und Jugendlichen und jungen Erwachsenen meist maghrebinischer Herkunft. Die Prügeleien und regelrechten Straßenschlachten mit spektakulären Verfolgungsjagden dauerten Tage, erst die vom französischen Innenministerium geschickte Spezialeinheit zur Terrorbekämpfung RAID brachte die Lage unter Kontrolle.

Laut französischer Medien Grund für den Kampf der beiden Gruppen: ein Rachefeldzug. Ein 16-Jähriger tschetschenischer Abstammung sei mit lokalen Drogendealern aneinandergeraten. Daraufhin reisten Tschetschenen aus gleich mehreren Ländern an, um Rache zu üben.

Intensiv und brutal

„Unser Land versinkt im Chaos“, twitterte Marine Le Pen, Vorsitzende der rechtsextremen Partei Rassemblement National nach den Ausschreitungen in Dijon. Auch in der Bevölkerung wird Kritik laut: u. a. an der Polizei, die zu spät eingreife und an der Politik, die schon seit Jahren zu wenig unternehme.

„Nicht nur zahlenmäßig haben die Bandenkriege zugenommen, auch was Intensität und Brutalität angeht“, so Éric Jalon, Präfekt des Départements Essonne in einem Interview mit dem französischen Nachrichtensender franceinfo. Laut französischem Innenministerium finden 84 Prozent aller französischen Bandenkriege im Großraum Paris statt; 95 Prozent der Gangs kommen aus dieser Region – das sind 70 von insgesamt 74 Banden. Als Brennpunkte gelten die Départements Essonne und Val d’Oise.

Die gewaltsamen Auseinandersetzungen unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben innerhalb eines Jahres landesweit um knapp 24 Prozent zugenommen – Corona und Lockdown zum Trotz. Wurden 2019 landesweit noch 288 Zusammenstöße rivalisierender Gruppen gezählt, waren es 2020 schon 357.

Mit langer Tradition

Das Phänomen der Bandenkriege ist in Frankreich nicht neu. Bereits 2011 zählte das französische Innenministerium 331 einschlägige Auseinandersetzungen, im Jahr davor waren es sogar 401. Der Soziologe Thomas Sauvadet sieht seit den 1980er Jahren eine Weiterentwicklung der Bandenkriminalität, wie er im Fernsehsender France24 berichtet: Die Professionalisierung  des Drogengeschäfts, in das diese Banden oft verwickelt seien und das Phänomen sogenannter vieux jeunes, junger Erwachsener zwischen 20 und 30 Jahren, die in der Banlieue noch bei ihren Eltern wohnen.

Diese Gruppe sei vor allem im Zuge der Massenarbeitslosigkeit entstanden. Viele fänden keine Arbeit und keine Wohnung und professionalisierten sich daher in ihren Banden; bereits den Jüngsten dienten sie als gewalttätige Vorbilder. Es gehe um den Status außerhalb einer Gesellschaft, die ihnen den Zutritt verwehrt, so der Experte Marwan Mohammed in einem Interview mit dem Radiosender franceculture. Die Banden würden ihren Mitgliedern das geben, was sie sonst nirgendwo fänden: soziale Anerkennung und Macht.

Snapchat, TikTok, Twitter & Co.

Die sozialen Medien haben das Phänomen der Bandenkriege noch verstärkt. Für Experten, Polizei und die französische Bevölkerung ist klar: Soziale Netzwerke wie Snapchat, TikTok, Twitter, Facebook und Instagram sind ein wichtiges Instrument für die Auseinandersetzungen. Immer wieder beginnen Beleidigungen und Provokationen auf diesen Kanälen im quasi abgeschotteten Raum. Treffen werden virtuell vereinbart, Auseinandersetzungen danach auf der Straße ausgetragen. Live-Videos von Prügeleien werden im Internet hochgeladen und sind für alle sichtbar. So erreichen die Szenen bewaffneter und vermummter Jugendlicher schnell ihr Publikum und führen ebenso schnell zu Zulauf.

„Konfrontiert mit immer jüngeren, immer gewalttätigeren Personen, die neue Arbeitsweisen wie soziale Netzwerke nutzen, müssen sich alle Akteure anpassen“, twitterte Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin am 1. März anlässlich einer Pressemitteilung der Regierung zu den jüngsten Vorfällen. Bildungsminister Jean-Michel Blanquer, Innenminister Gérald Darmanin und Justizminister Éric Dupond-Moretti haben gemeinsam mit Präfekten, Schulen und Richtern einen Maßnahmenkatalog erarbeitet, um gegen die Bandenkriminalität vorzugehen. Ziel ist ein nationaler Plan mit speziellen regionalen Anpassungen – wie bereits 2010 und 2019.

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