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AbiBac auf Réunion

Tor nach Europa

Ortwin Ziemer

Der AbiBac-Jahrgang 2019 des Lycée Leconte de Lisle in St-Denis, © Ortwin Ziemer

08. Februar 2020

2003 regte die damalige Schulrätin für Deutsch auf Réunion, Christiane André, die Einführung des AbiBac in ihrem Übersee-Departement an. Zwei Jahre später begann am Lycée Leconte de Lisle in St-Denis der erste AbiBac-Jahrgang der Insel.

Ein Jahr später kamen in Le Tampon weitere AbiBac-Klassen hinzu. Seitdem haben auf Réunion mehr als 500 Schülerinnen und Schüler das doppelte, deutsch-französische Abitur erworben und sehr vielfältige und größtenteils äußerst positive Erfahrungen gemacht.

Mehrwert in Übersee

Am Rande der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Elysée-Vertrags wurde Christiane André 2013 von AbiBac-Schülern für eine  Lokalzeitung der Inselhauptstadt St-Denis interviewt. Bei dieser Gelegenheit erklärte sie den besonderen Mehrwert des AbiBac gerade für Schülerinnen und Schüler in Übersee:

„Damit das Leben lebenswert bleibt, muss man überzeugt sein von dem, was man tut. Sich zu engagieren verlangt, bereit zu sein, über sich hinauszuwachsen. Und das haben Sie getan, indem Sie sich entschieden haben – und in ganz besonderer Weise auf Réunion – Deutsch zu lernen und zudem das AbiBac abzulegen. Denn noch viel mehr als für Ihre Schulkameradinnen und -kameraden im Mutterland ist dieser Abschluss bei unserer extremen Insellage ein Tor nach Deutschland und Europa. Wenn ein Arbeitgeber auf Ihrem Zeugnis den Vermerk Abibac liest, weiß er, dass die Bewerberin oder der Bewerber Arbeit nicht scheut und sich hineinkniet in das, was er in Angriff nimmt. Ihre Generation hat das verstanden. Eine Sprache zu lernen bedeutet anzufangen, den anderen zu verstehen und schätzen zu lernen, wie er ist. Sie, Abiturientinnen und Abiturienten aus Réunion, werden in ganz besonderem Maße Träger dieser Botschaft sein.“

Erfahrungsberichte

Gerade aus dieser Perspektive ist es aufschlussreich, frühere Absolventinnen und Absolventen einige Jahre nach ihrem doppelten Abitur auf Réunion – einer Insel, die als Beispiel einer multikulturellen Gesellschaft gilt – zu fragen, welche Rolle der binationale Abschluss im Studium, bei der Job- und Arbeitssuche und ggf. bereits im Berufsalltag spielte und spielt.

Dazu schreibt Sébastien: „Bei einem Vorstellungsgespräch hat man die Möglichkeit, die Neugierde des potenziellen Arbeitgebers zu wecken. Er weiß möglicherweise weder, was genau das AbiBac ist, noch wo Réunion liegt, geschweige denn, was die soziodemografischen und interkulturellen Besonderheiten der Insel ausmacht. Es liegt an uns, diese als Schlüsselkompetenzen darzustellen, die auch in seiner Firma von Nutzen sein könnten. Beispielsweise, um in interkulturell bedingten Konfliktsituationen zu vermitteln, die in global ausgerichteten Unternehmen mit internationaler Belegschaft immer wieder auftreten. So ist es mir jedenfalls selbst ergangen bei der Suche nach einem Ferienjob in Deutschland während meines Ingenieursstudiums. Gerade für Schülerinnen und Schüler aus Réunion ist das AbiBac folglich ein großer Vorteil auf dem internationalen Arbeitsmarkt.“

Noémie präzisiert: „Das AbiBac hat mir zwar nicht per se Tür und Tor geöffnet. Laut meinem Praktikumsleiter im Rahmen meines deutsch-französischen Jurastudiengangs sind es meine Begeisterungsfähigkeit und mein bedingungsloser Einsatz beim Deutschlernen und im Studium, die mich dahin gebracht haben, wo ich jetzt bin. Aber auf jeden Fall ist die deutsche Sprache integraler Bestandteil sowohl meines beruflichen als auch meines sozialen Lebens. Und letztlich ist es wiederum das AbiBac, das mich dazu veranlasst und es mir gleichzeitig ermöglich hat – gerade weil ich aus einem französischen Überseegebiet komme – über den Tellerrand hinauszuschauen und mein Studium außerhalb der Insel zu absolvieren. Denn besonders wir Überseefranzosen zeichnen uns durch soziale und berufliche Mobilität aus.“

Bleibt zu hoffen, dass die seit der französischen Unter- und Mittelstufen-Reform von 2015 drastische Reduzierung des Deutschunterrichts an den Collèges, die den AbiBac-Sektionen nicht nur auf Réunion erheblich zu schaffen macht, zumindest mittelfristig korrigiert wird, um die für AbiBac-Klassen notwendigen Sprachkenntnisse wieder besser gewährleisten zu können.


Ortwin Ziemer unterrichtet in AbiBac-Klassen auf La Réunion.


Informationen zum AbiBac

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