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Virtuelle Kommunikation

Interkultureller Balanceakt

Anna Kauert

Videokonferenz, © fizkes, Shutterstock

20. Juli 2020

Die Herausforderungen interkultureller Kommunikation werden im virtuellen Raum noch verstärkt, weil virtuelle Formate mehr Spielraum für Missverständnisse und Fehlinterpretationen lassen. Vertrauen schaffen auf Distanz ist ein Balanceakt. 

Als interkulturelle Trainerin und deutsch-französische Kulturexpertin beschäftigt mich in den letzten Wochen die Frage nach einer Online-Netiquette, besonders wenn eine interkulturelle oder binationale Gruppe im Online-Format zusammenkommt. Wie kann ich mich auf Online-Seminare, Telefonkonferenzen und Besprechungen auf internationaler Ebene vorbereiten? Wie stelle ich Vertrauen her? Wieviel Small Talk und interaktive Vorstellungsrunden sind tragbar in einer 60–90-minütigen virtuellen Sitzung?

Virtuelle Nähe herstellen

Virtuelle Nähe beginnt mit visueller Verbindung. Eine Grundvoraussetzung für mich ist die Möglichkeit, das Video (kurz) anzuschalten, um mein Gegenüber zu sehen. Wenn es die Plattform zulässt, ermöglicht eine Kachelansicht eine größere Anzahl von Teilnehmenden auf einem Bildschirm gleichzeitig zu sehen. Wenn die Gruppe länger zusammenarbeitet, lohnt es sich, das erste virtuelle Meeting ausschließlich für ein Kennenlernen einzuplanen.

In Frankreich dient die erste Begegnung beispielsweise einzig und allein dem persönlichen Kennenlernen, um eine Vertrauensbeziehung aufzubauen. Ihre französischen (Gesprächs-) Partnerinnen und -Partner werden Sie zunächst „beschnüffeln“ wollen. Stimmt die Chemie, so ist für sie die Basis für eine mögliche Zusammenarbeit mit Ihnen geschaffen.

In sachorientierten Kulturen wie Deutschland gilt häufig das Prinzip, dass Berufliches und Privates nicht miteinander vermischt werden. Das Verhältnis ist eher sachlicher Natur. Oftmals wird Small Talk und Vertrauensaufbau in Deutschland viel kürzer gehalten als in Frankreich und findet abseits des Arbeitskontextes statt.

Eine gemeinsame Basis wird durch viele Besprechungen und dem Austausch von Privatem geschaffen. Als Aufwärm- und Kennenlernübung bietet sich bei kleineren Gruppen bis zu 15 Teilnehmenden beispielsweise folgende Übung an:  Die Moderatorin bzw. der Moderator bittet alle, ein Objekt zu holen, das in der Nähe liegt und in den letzten Monaten an Wichtigkeit gewonnen hat. Alle stellen ihre Objekte und sich kurz vor. Durch das Objekt wird eine räumliche Nähe erzeugt und gibt uns ein Gefühl dafür, wie das Umfeld des anderen aussieht. Es ist auch eine Einladung etwas Persönliches preiszugeben. Eine große Gruppe kann in sogenannte „break-out sessions“, also Kleingruppen aufgeteilt werden, um sich näher kennenzulernen. Wichtig ist, möglichst alle aktiv einzubeziehen.

Nonverbale Kommunikation

Unsere Mimik und Gestik geben uns normalerweise deutliche Hinweise und Informationen. Im virtuellen Format fehlt uns die Körpersprache und ein Großteil des äußeren Erscheinungsbildes des Gegenübers. Fehlinterpretationen können viel schneller hervorgerufen werden. Kopfnicken, erhobener Daumen, Hand heben: In der eigenen Kultur werden Gesten eindeutig erkannt. Wie sieht es beispielsweise mit dem Fingerkreis aus? In Deutschland würde dies als „super“, „in Ordnung“, „hervorragend“ gelten; in Frankreich, Belgien oder Tunesien könnte man die Geste auch als Beleidigung auffassen, nämlich als „Null“, „Versagen“.

Wenn wir virtuell miteinander kommunizieren, bedarf es folglich viel mehr Klarheit und Vorbereitung. Schauen Sie sich vorher an, mit wem Sie sprechen. Welche Kulturen (auch Unternehmens-, Abteilungs- und Arbeitskulturen) sind in dem Gespräch anwesend? Welche Gesten sind in den anwesenden Kulturen tabu? Welche Positionen sind vertreten? Gibt es mehrere Personen aus demselben Unternehmen und wer bekleidet welche Stellung? Dies ist vor allem wichtig bei hierarchischen Kulturen wie beispielsweise in China, Indien, Saudi-Arabien. Sonst spricht man möglicherweise die falsche Person im Hinblick auf Entscheidungen an.

Direkte (explizite) und indirekte (implizite) Kommunikation

Eine weitere Quelle für Missverständnisse ist die explizite und implizite Kommunikation. In einer Kultur mit hohem Kontextbezug (wie Frankreich) ergibt sich ein Großteil der Kommunikation aus dem Kontext, d. h. aus dem impliziten Wissen der am Gespräch Teilnehmenden. Eine Botschaft wird dadurch verständlich, dass man weiß, wer sie wann, wem und in Gegenwart von wem übermittelt hat. Möglich wird dies durch umfassende soziale Netzwerke in Privat- und Berufsleben, in denen ein ständiger Informationsaustausch stattfindet.

Im Gegensatz wird in Kulturen mit niedrigem Kontextbezug (wie Deutschland) nur ein geringes Vorwissen vorausgesetzt. Es müssen alle nötigen Informationen geliefert werden, damit man verstanden wird. In Frankreich achtet man sehr auf die Form von Äußerungen. Sprachlich nähert man sich einer Person sehr vorsichtig. Die Formulierungen können vage und unpräzise wirken, sie enthalten aber eine eindeutige Botschaft. Beispiel: „Eine Kollegin unserer Tochterfiliale erzählte mir, dass sie die Möglichkeit eingeführt haben, unter bestimmten Umständen von zuhause aus zu arbeiten.“ Hinter dieser Formulierung stecken der Wunsch und die Frage, gerne von zuhause aus zu arbeiten.

Der hohe Stellenwert höflicher Umgangsformen kann dazu führen, dass ein „Nein“ nicht deutlich ausgesprochen wird oder eine Frage nicht direkt kommuniziert wird.

Menschen, die an direkte Kommunikation gewöhnt sind (deutsche Kultur), geben Anweisungen oder Informationen eher explizit und deutlich weiter. Beispiel: „Der Bericht muss bis morgen überarbeitet werden, der zweite Absatz ist fehlerhaft.“ Es wird erwartet, klare Positionen zu beziehen und offen sowohl Kritik als auch Zustimmung zu äußern, selbst wenn man dadurch eine soziale Konfrontation riskiert. Konflikte werden sogar als nützlich angesehen, wenn sie zu mehr Wahrheit und Klarheit führen.

Hier ist es für beide Kulturen ratsam, die eigene kulturelle „Brille“ abzusetzen und sich seiner Kommunikationsmechanismen bewusst zu werden. Auch sollten virtuelle Meetings immer moderiert und gut geleitet werden: das bedeutet, im interkulturellen Kontext aktiv und sensibel zugleich zu kommunizieren.

Anna Kauert ist Trainerin für interkulturelle Kompetenz und auf Deutschland und Frankreich spezialisiert.

Anna Kauert online

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