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Frankreich-Zentrum der Universität Freiburg

Gelebte Interkulturalität

Guillaume Fiedler-Plas

Das Frankreich-Zentrum im „Haus zur Lieben Hand“ – eine Bezeichnung der Benediktiner, die es um 1460 bauen ließen – ist mit dem Kollegiengebäude III der Universität Freiburg verbunden, gebaut in den 1960er Jahren. © Thomas Kunz / Universität Freiburg

09. Dezember 2020

Derzeit florieren Frankreich-Zentren an deutschen Hochschulen. Das erste seiner Art wurde bereits 1989 an der Universität Freiburg gegründet.

Damals stand die Idee der deutsch-französischen Freundschaft als „Motor Europas“ angesichts der Neugestaltung des Kontinents, die sich nach dem Fall der Berliner Mauer anbahnte, hoch im Kurs. Wie aber ist es heute um diese Idee bestellt? Der hohen Anzahl an Studierenden nach zu urteilen, die sich Jahr für Jahr zum Zulassungstest für einen der drei Studiengänge des Frankreich-Zentrums der Universität Freiburg anmelden, hat sie offenbar nichts an Aktualität eingebüßt.

Diversifizierung und Spezialisierung

Anders als an einem Seminar für Romanistik hat das Frankreich-Zentrum von Anfang an ausschließlich Masterstudiengänge angeboten. Im Laufe der Jahre wurde dieses Angebot diversifiziert und auch spezialisiert. Es ist heute auf drei unterschiedliche Studiengänge verteilt: Interkulturelle Studien Deutschland-Frankreich (IKS), Internationale Wirtschaftsbeziehungen (IWB) und Deutsch-Französische Journalistik (DFJ).

Diese drei Studiengänge sind binational (und werden somit am Ende der zwei Studienjahre sowohl mit einem deutschen als auch einem französischen Masterdiplom abgeschlossen): IKS ist eine Kooperation mit der Université Lyon 2 und der Lyoner Grande École ENS, IWB eine Kooperation mit der Université de Strasbourg und der Université de Créteil (Paris XII), und DFJ eine Kooperation mit der Journalismusschule der Université de Strasbourg, dem CUEJ.

Ein ausgeprägtes Profil

Jeder Studiengang hat ein ausgeprägtes Profil, und damit einhergehend auch einen spezifischen Praxisbezug, wenngleich bei allen drei ein Praktikum jeweils vorgesehen bzw. obligatorisch ist.

  • Der IKS-Studiengang umfasst im ersten Jahr bewusst ein sehr breites Spektrum an geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern, die Spezialisierung (in Romanistik oder Germanistik, in Soziologie, Politikwissenschaft oder Information-Communication) erfolgt erst im zweiten Jahr in Lyon.
  • Der IWB-Studiengang ist mehr der Praxis zugewandt; er ermöglicht eine Karriere sowohl im Bereich der Wirtschaft als auch in (z. B. internationalen) Institutionen.
  • Der DFJ-Studiengang hat den größten Praxisbezug; bereits im ersten Jahr bestehen die Kurse zu einem guten Teil aus praktischen bzw. technischen Übungen, die auch „reale“ journalistische Produktionen wie die Verfassung einer Beilage der Badischen Zeitung einschließen. Die starke Praxis-Gewichtung führt dazu, dass in diesem Studiengang die Auswahl am größten ist: Jedes Jahr werden nur sechs Studierende auf französischer und sechs Studierende auf deutscher Seite zugelassen. Auch hier erfolgt die Spezialisierung (Presse, Rundfunk oder Fernsehen) erst im zweiten Jahr, in Straßburg.

Intensiver Austausch

Alle drei Studiengänge prägt der rege Austausch zwischen deutschen und französischen Studierenden: Einzig die Sprachkurse finden in getrennten Gruppen statt, alle anderen Kurse besuchen beide Gruppen gemeinsam. So wird Interkulturalität bis in den (Studien-)Alltag gelebt. Und in der Tat werden die Studierenden aus dem jeweiligen Land Jahr für Jahr mit einer Reihe an „interkulturellen Friktionen“ konfrontiert, wenn sie das Hochschulsystem des anderen Landes entdecken (über die Beflissenheit – und den ausgeprägten Sinn fürs Diskutieren der deutschen Studierenden auf der einen Seite und auf der anderen Seite den – diplomatisch ausgedrückt – Sinn fürs Improvisieren an französischen Hochschulen wird am häufigsten berichtet). Allerdings scheinen diese Überraschungsmomente immer nur als Folge einer an sich bereichernden Vielfalt wahrgenommen zu werden, höchstens vielleicht als Herausforderungen, denen man sich gerne stellt. Das Profil von Studierenden in binationalen Studiengängen ist ja grundsätzlich von einer ausgeprägten Offenheit und Neugier gegenüber dem Anderen gekennzeichnet.

Spezifische Leitfragen

Die drei Studiengänge des Frankreich-Zentrums haben ihre jeweils spezifischen Leitfragen. Im Rahmen von IKS stellt sich die Frage der Relevanz des bis in den Namen des Studiengangs bemühten Interkulturalitätsbegriffs und insbesondere seiner Einschränkung auf das Deutsch-Französische. Wäre eine Erweiterung mindestens in Richtung des angelsächsischen Sprachraums nicht wünschenswert? Und vor allem: Lassen sich noch Divergenzen zwischen französischer und deutscher Kultur festhalten, oder führt die gemeinsame Zugehörigkeit zu Europa (wie auch immer diese Zugehörigkeit bestimmt und erlebt wird) dazu, dass diese Divergenzen allmählich obsolet werden?

Die Frage stellt sich bei jedem Jahrgang – und wird auch anlässlich des jährlichen Lektürekreises zur Theorie der Interkulturalität zwischen Studierenden und Dozenten immer neu verhandelt. Letztere wollen ihren Standpunkt zu dieser Frage dabei nicht dogmatisch vermitteln, vielmehr versuchen sie möglichst vielfältige Argumente anzuführen, damit sich alle ihre eigene Meinung bilden können.

Guillaume Fiedler-Plas, © Tilman Werner

Im Studiengang IWB wiederum wird festgestellt, dass nationale kulturelle Besonderheiten im Kontext der Unternehmenswelt langlebiger sind, als die Fürsprecher einer globalen Transkulturalität, die jede Grenze und Differenz zwischen Kulturen aufheben würde, es behaupten. Trotz der Globalisierung besteht ein historisch gewachsenes französisches Rechtssystem fort, das anders konzipiert ist als das deutsche; genauso bestehen in Frankreich bestimmte Praktiken im Bereich der Wirtschaftsbeziehungen, bis in den Bereich der alltäglichen Kommunikation, die Deutschen bewusst sein sollten, wenn sie sich problemlos in den französischen Arbeitsmarkt integrieren wollen.

Man könnte denken, dass der Journalismus am wenigsten von solchen Kulturunterschieden geprägt ist. Das ist aber nur bedingt richtig. Wenngleich der deutsche und der französische journalistische Stil relativ ähnlich sind, sind bestimmte Unterschiede bei näherer Betrachtung weiterhin unüberseh- bzw. -hörbar. So greifen französische Journalistinnen und Journalisten öfter als die deutschen auf Bildlichkeit zurück; sie verwenden genauso gern Anglizismen, sprechen diese aber bewusst mit französischem Akzent aus, während Deutsche möglichst nah an der Originalaussprache bleiben möchten.

In diesen drei Studiengängen erfolgt die Annäherung an die kulturellen Eigentümlichkeiten des jeweils anderen Landes (und im Gegenzug die – genauso wichtige und bereichernde – Wahrnehmung der kulturellen Eigentümlichkeiten des eigenen Landes) nuanciert, indem sowohl Ähnlichkeiten im Allgemeinen als auch Unterschiede im Detail festgehalten werden.

Relevanz binationaler Studiengänge

Die Relevanz binationaler bzw. deutsch-französischer Studiengänge angesichts des Fortbestehens solcher interkulturellen Problematiken wird im Übrigen von den Einstellungsperspektiven ihrer Absolventinnen und Absolventen bestätigt. Im Frankreich-Zentrum der Universität Freiburg finden mindestens 70 % von ihnen spätestens 3 Monate nach Abschluss des Masters eine Anstellung; bei den DFJ-Absolventinnen und Absolventen sind es sogar 90 %.

Dr. Guillaume Fiedler-Plas ist der Französischlektor am Frankreich-Zentrum der Universität Freiburg i. Br.

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