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Françoise Sagan

Anders als die anderen

Julia Korbik

© Alexander Antonoff, Shutterstock

30. April 2021

Paris, März 1954. Eine junge Frau betritt einen Buchladen auf dem Boulevard Saint-Germain. Sie betrachtet die Auswahl an Büchern und greift schließlich zu einem gerade erschienenen Roman. Bonjour Tristesse heißt er, aber die Verkäuferin rät sogleich vom Kauf des Buches ab.

 „Ein kleines Luder hat es geschrieben. Ich habe darin herumgeblättert, und, nun Mademoiselle, darin werden abscheuliche Dinge erzählt.“ Die Kundin beeindruckt das nicht, sie zahlt – 390 Francs für 180 Seiten – und verlässt den Laden. Was die Verkäuferin nicht ahnt: Bei ihrer Kundin handelt es sich um die gerade einmal 18-jährige Autorin von Bonjour Tristesse, Françoise Sagan.

Die heißt eigentlich Françoise Quoirez: eine Tochter aus gutem Hause, die eine schwierige Schullaufbahn und ein abgebrochenes Studium hinter sich hat, und sich nun als Schriftstellerin versucht. Angeblich hat Sagan ihren Debütroman in nur wenigen Wochen geschrieben. So ganz stimmt das nicht: Tatsächlich hatte Sagan schon länger an ihrem Buch gearbeitet, es dann aber innerhalb kurzer Zeit im Sommer 1953 überarbeitet und fertiggestellt.

Der Roman über eine lebenshungrige Internatsschülerin, die zusammen mit ihrem Casanova-Vater und dessen Geliebter Elsa einen Sommer an der Côte d’Azur verbringt, entwickelt sich schnell zum Bestseller – und das ohne große Werbeaktion seitens des Verlags. Zwar sind die Sexszenen in Bonjour Tristesse weder besonders zahlreich noch besonders detailliert, aber sie reichen aus, um im prüden Frankreich der 1950er Jahre für Aufregung zu sorgen. Noch empörender ist für die konservative Leserschaft allerdings die Tatsache, dass die 17-jährige Protagonistin Cécile Sex hat, und dafür nicht bestraft wird, zum Beispiel in Form einer ungewollten Schwangerschaft. Sagan kommentierte: „Man hatte etwas dagegen, dass (…) ein Mädchen dieser Zeit einfach über seinen Körper verfügte und an ihm Vergnügen fand, ohne dass darauf eine bis dahin als unerlässlich betrachtete Sanktion erfolgte.“

Phänomenaler Erfolg

Durch den phänomenalen Erfolg von Bonjour Tristesse – bis Oktober 1954 werden in Frankreich mehr als 100.000 Exemplare des Romans verkauft, zahlreiche Übersetzungen sind in Arbeit – wird Françoise Sagan in den 1950ern zu einer öffentlichen Figur, zum Gesicht eines neuen Frankreichs; einer Generation, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt und nun genau ein Ziel hat: sich in die Zukunft zu werfen, ungehemmt, frei und furchtlos. Sagan gilt als Prototyp der hedonistischen Jugendlichen, als Sprachrohr einer wachsenden Gegenkultur und sexuellen Revolution. Sie ist, auch dank ihres Erfolgs, frei und unabhängig in einem Moment, wo junge Frauen das in der Regel nicht sein können, und verkörpert die Hoffnungen und Sehnsüchte einer ganzen Generation.

Julia Korbik, © Paula Winkler

Weil Bonjour Tristesse als skandalös gilt, geht man davon aus, dass seine Autorin es auch ist: mondän, wild, eigenwillig. Und Sagan befördert diesen Eindruck. Sie rauscht in teuren Autos durch Paris, macht Urlaub in Saint-Tropez, trinkt, feiert und hat offensichtlich jede Menge Spaß. Doch sie hadert mit dieser öffentlichen Wahrnehmung und hat Schwierigkeiten, sie damit zu vereinen, wie sie sich selbst sieht. Frustriert stellt sie fest: „1954 musste ich zwischen den beiden Rollen wählen, die man mir anbot: Skandalschriftstellerin oder junges bürgerliches Mädchen, dabei war ich weder das eine noch das andere.“

Sagan erkennt früh, dass sie, um sich zu schützen, in der Öffentlichkeit eine Maske aufsetzen muss. Die Maske ist ihr Schutzschild. Sie erlaubt es Sagan, eine Rolle zu spielen: die der berühmten Schriftstellerin Françoise Sagan, die vieles, aber eben nicht alles, mit Françoise Quoirez gemeinsam hat. Wenn die Maske Sagan wenig stört, dann auch deshalb, weil sie ihren „offensichtlichen Neigungen entspricht: der Geschwindigkeit, dem Meer, Mitternacht, allem, was leuchtet, allem, was schwarz ist, allem, was einen in die Irre führt und dadurch ermöglicht, dass man sich findet.“

Sie muss akzeptieren, dass sie kaum Einfluss darauf hat, wie andere sie sehen: „Meine einzige Lösung, zu der ich mich lebhaft beglückwünsche, war zu tun, wozu ich Lust hatte: feiern.“ So verkörpert Sagan genau das Bild, das andere von ihr haben wollen – mit allen Vorlieben und Widersprüchen. Und von diesen Widersprüchen gibt es viele. Françoise Sagan ist eine Frau, die mit ihrem Ruhm eine komplizierte Hassliebe verbindet; die nach außen hin das lustige Partygirl gibt, und sich in Wahrheit unendlich einsam fühlt; die sich darüber ärgert, auf Klischees reduziert zu werden, und diese Klischees gleichzeitig gekonnt bedient; die augenscheinlich frei ist, und doch gefangen in sich selbst.

Anhaltende Strahlkraft

Heute, siebzehn Jahre nach ihrem Tod, erliegen die Menschen immer noch ihrem Charme: Als im Spätsommer 2019 ein bisher unveröffentlichter Roman von Françoise Sagan erschien, Die dunklen Winkel des Herzens (Les Quatre Coins du Coeur), war das in Frankreich eine literarische Sensation. Fünfundsechzig Jahre nach ihrem aufsehenerregenden Debüt, bewies sich wieder einmal die anhaltende Strahlkraft der Françoise Sagan. Sie war und ist unwiderstehlich.

Sagan selbst hingegen sah ihr Leben und Werk durchaus kritisch. In einem Nachruf auf sich selbst schrieb sie Ende der 1980er: „Wurde 1954 mit einem schmalen Roman berühmt, Bonjour Tristesse, der für einen weltweiten Skandal gesorgt hat. Nach einem Leben und einem Werk, die genauso angenehm wie verpfuscht waren, war ihr Tod nur noch für sie selbst ein Skandal.“ In diesen wenigen Zeilen steckt so viel von dem, was Sagan ausmachte: ein leiser Humor, Selbstironie, aber auch eine gewisse Melancholie. Es lohnt sich deshalb nicht nur, Bonjour Tristesse erneut zu lesen – oder eines der anderen zahlreichen Bücher von Sagan, in denen es um zeitlose Themen wie Einsamkeit und Liebe geht. Sondern auch, die Frau, die diese Bücher geschrieben hat, noch einmal neu zu entdecken. Mit all ihren Widersprüchen und ihrer ungestümen Bereitschaft, sich ins Leben zu werfen. Und ihrem unbändigen Bedürfnis, nicht so zu sein wie alle anderen.

Julia Korbik, Bonjour Liberté. Françoise Sagan und der Aufbruch in die Freiheit. Hanser, Berlin, 2021

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