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Begegnung mit einem Hundertjährigen

„Herr Troller: Sind Sie glücklich mit Ihrem Leben?“

Michael Krons

(© Michael Krons)

28. Juli 2023

Was fragt man einen Hundertjährigen? Ob er noch Pläne für die Zukunft hat? Was er sich noch wünscht? Wohl kaum. Die zentrale Frage ist sicher, ob er mit seinem Leben zufrieden ist. Als ich Georg Stefan Troller in seiner Pariser Wohnung besuche, will ich genau das als Erstes von ihm wissen. Er lächelt milde und meint, diese Frage sei unzulässig. Er selbst hat sie unzähligen Menschen gestellt. Und nicht selten unerwartete Antworten erhalten.

Georg Stefan Troller, 1921 in Wien geboren, ist eine Ikone des deutschsprachigen Journalismus. Noch heute ist sein Interviewstil Inhalt der Journalistenausbildung. Die Wiederholungen seiner unzähligen Filme und Reportagen erreichen hohe Aufmerksamkeit. Und das sechzig Jahre nach seinen Anfängen im Paris der 1960er Jahre.

„Sind Sie glücklich mit ihrem Leben?“ Mit welch einer Frage konfrontiert der junge Fernsehjournalist Georg Stefan Troller da Prominente vom Film, aus der Literatur und der Kunst? Allesamt Stars der französischen Kulturszene. In den 1960er Jahren sind solche Fragen nicht nur völlig neu, sondern unerhört und frech. Troller, der als Autor in Paris lebt, bekommt von der ARD den Auftrag über die französische Hauptstadt und ihr Kulturleben zu berichten. Und geht mit seinen Fragen ein großes Wagnis ein.

Das war nicht die freundlich unbeschwerte Art der üblichen Fragestellungen in Interviews. Aber Georg Stefan Troller zieht mit diesen Fragen die Zuschauer seines „Pariser Journals“ ab 1962 in den Bann. Denn plötzlich antworten weltbekannte, sonst nur im Blitzlichtgeflimmer etwa in Cannes zu sehen, ganz persönlich und oft berührend offen.

(© Michael Krons)

Troller blickt für die deutschen Zuschauer in die Seele Frankreichs

Die Interviews verschaffen Troller innerhalb kurzer Zeit den Zugang zu den ganz Berühmten des Nachbarlandes für seine Sendungen, in denen ganz selbstverständlich die Deutschen in den 1960er Jahren die Kultur Frankreichs auf unnachahmliche Weise präsentiert bekommen. Die sehr erfolgreichen Reaktionen bei den Zuschauern lassen die Redakteure damals schnell verstummen. Sie hatten ihm noch vor der ersten Sendung vorgeschlagen, die Prominenten etwa mit den damals üblichen braven Fragen nach ihren Lieblingsspeisen zu konfrontieren. Das „Pariser Journal“ ist ein Quotenhit, läuft mit Einschaltquoten von über 50% in der ARD bis ins Jahr 1971.

Mit seinen Sendungen lenkt Troller den Blick der Deutschen von Beginn an auf ein Protagonisten Frankreichs und lässt sie in den einfühlsamen Interviews und Beschreibungen der Gesprächspartner eine französische Welt entdecken, die weit über die Klischees von Eiffelturm, Baguette, Käse und Wein hinausgehen. Er selber ist vom Erfolg seines Blicks auf das französische Leben und die französische Mentalität überrascht. Er habe damals Paris als Zentrum der Geistigkeit und Romantik präsentieren wollen, sagt er im Interview. Das sei dann zu seiner Überraschung auch genau das gewesen, was die Leute sehen wollten. Troller kannte das Frankreich und das Paris, was er da in seinen Sendungen beschrieb bestens.

Troller: einmal Emigrant, immer Emigrant

Der Wiener, Sohn eines jüdischen Händlers, entdeckt früh seine Leidenschaft für die französische Literatur und das französische Lebensgefühl des „savoir-vivre“, das auch seiner Geburtsstadt nicht fremd ist. Mit dem Erstarken der Nazis auch in Österreich muss er mit seinen Eltern 1938 nach Frankreich fliehen. Dort lebt er zwischen Angst und Neugier schwankend, in den dunklen Gassen der zu dieser Zeit bei weitem nicht mondänen französischen Hauptstadt. Paris ist zwei Jahre später besetzt und die Gefahr für den jüdischen Emigranten Troller wird von Tag zu Tag größer. Immer wieder entgeht er den Kontrollen der Polizei nur im letzten Augenblick.

Eines Nachts erwischt ihn ein Flic nach der Sperrstunde und führt ihn zu einer älteren Dame an der nächsten Straßenecke. Ob dieser Mann der Voyeur sei, der sie am Fenster beobachtet habe. Die Dame winkt ab. Männer sehen in seinem Alter alle gleich aus, antwortet sie, und rettet damit Troller das Leben: „Monsieur, vous pouvez disposer.“ Das sollte nicht das letzte Mal sein, dass er durch eine solche Reaktion vor dem Tod gerettet wird.

(© Michael Krons)

Als er wenig später über Marseille in die USA fliehen will, steht er viele Stunden mit seinem Vater vor der US-Botschaft, um ein Visum zu erhalten. Immer wieder kommt es dort zu Verhaftungen. Als der junge Troller wieder einmal dort ist und so tut als sei er auf einem Spaziergang, werden bei einer Razzia viele der Wartenden verhaftet. Ein französischer Polizist steht plötzlich auch vor ihm, schaut ihn an und blickt bewusst zur Seite. Troller flieht. Wieder eine Zehntelsekunde zwischen Leben und Tod.

Er schafft es schließlich über Casablanca nach New York. Dort erhält er ein Stipendium und studiert an der Universität von Kalifornien. Als er als eingebürgerter US-Soldat nach Europa zurückkehrt, hat er den Auftrag, deutsche Kriegsgefangene zu verhören. Ende der 1940er Jahre entschließt er sich, nicht in die USA zurückzukehren. Er zieht nach Paris, wo er seit 1949 lebt.

Im Gespräch mit Prominenten

Den überzeugten Europäer Troller lässt Frankreich und seine neue Heimat Paris nicht mehr los. Seine persönlichen Erfahrungen ermöglichen ihm einen besonderen Zugang zu seinen Gesprächspartnern. Legendär wird sein Interview mit dem damals berühmtesten und erfolgreichsten Autor der Welt W. Somerset Maugham (1963). Er besucht ihn an der Côte d’Azur auf der Halbinsel Antibes im Garten seiner palastähnlichen Villa. Somerset Maugham stellt er die „Troller-Frage“: „Sind sie mit ihrem Leben glücklich?“ Somerset Maugham antwortet zögerlich. Er habe immer mehr gelitten als sich gefreut, sagt der 90jährige. Und dann: „Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte – nie wieder.“ Das Interview ist eine journalistische Sternstunde und öffnet Troller die Türen zu den französischen Stars vom Range eines François Truffaut, einer Catherine Deneuve, eines Jacques Tati, Alain Delon und Edith Piaf.

Und immer wieder gelingt es ihm, in seinen Interviews persönlichste Reaktionen zu provozieren. Edith Piaf interviewt er unmittelbar nach ihrer Heirat mit Théo Sarapo im Oktober 1962. Sie ist noch voller Leidenschaft und Euphorie über die Liebe zu ihrem jungen Ehemann. „Was wollen Sie sein, wenn Sie nicht Sängerin sein könnten“, ist Trollers letzte Frage. Edith Piaf antwortet ohne Umschweife: „Dann will ich tot sein.“

(© Michael Krons)

Als ich mich auf das Gespräch mit Georg Stefan Troller vorbereite, verblüfft mich immer wieder, wie nahe er den Interviewpartnern gekommen ist und wie authentisch und unverfälscht sein Blick auf Paris ist. Denn die Berühmtheiten sind beileibe nicht die Einzigen die bei seinen Filmen zu Wort und ins Bild kommen. Immer wieder wirft er mit der Kamera einen Blick hinter schäbige Fassaden des unglamourösen Lebens. Im Café „La Cage aux Oiseaux“, dem „Vogelkäfig“, treten nachts an der Place Pigalle diejenigen auf, die es nicht geschafft haben. Die gealterten Sängerinnen und Komödianten, die sich gegenseitig etwas vorspielen und sich in einen kurzen Moment ins „Olympia“ träumen.

Ein persönlicher Traum wird wahr

Bild 4 Sich mit dem Schicksal anderer Menschen zu beschäftigen und ihnen Antworten zu existentiellen Fragen zu entlocken, habe ihn erst zu einem Menschen gemacht, ihn erst zu sich selber kommen lassen, erklärt Troller seine Art des Interviews. „Ich gefiel meinem Vater gar nicht“, sagt Troller auf seine Kindheit zurückblickend. Er habe ihn nicht als wirklichen Mann angesehen. Und so habe er einen Großteil seines Lebens versucht, seine innere Zerrissenheit und Unsicherheit in der Beschäftigung mit anderen Personen zu bekämpfen. Als er dies sagt, sitzt neben ihm seine Katze und ich wage einen erneuten Versuch, ihn mit der Troller-Frage zu einem Resümee seines Lebens zu motivieren. „Ich bin zu dem geworden, wozu ich innerlich vorbestimmt war“, antwortet Troller. Und setzt hinzu: „Was ich mir erträumt habe, ist wahr geworden.“

Welch ein glücklicher Blick auf das Leben! Dieses Jahr wird Georg Stefan Troller 102 Jahre alt.

Zum Autor

(© Michael Krons)

Michael Krons hat nach seinem Studium in Köln und Berlin sein Journalistenleben bei der F.A.Z. (1987) begonnen, das erste Nachrichtenfernsehen ntv mit aus der Taufe gehoben und als Korrespondent in Bonn für die Tagesschau gearbeitet. Ab 1998 war er leitender Redakteur beim investigativen Magazin „frontal“. Er leitete ab 2002 die Redaktion von „phoenix“ und moderierte die Abend-News sowie seine eigene Sendung „im dialog/persönlich“. Er war gleichzeitig EU-Korrespondent in Brüssel und Straßburg.

Seit seinem Ruhestand 2023 arbeitet Michael Krons für ein EU-Projekt und berät in politischer Kommunikation.

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