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Neuübersetzung

Waschtinkndiso?

Thomas Laux

© Shutterstock

23. September 2019

„Zazie dans le métro“ von Raymond Queneau (1903–1975) ist einer der bekanntesten französischen Romane des 20. Jahrhunderts. 60 Jahre nach seinem Erscheinen wurde der Klassiker neu ins Deutsche übersetzt.

Die etwa 13-jährige Göre Zazie kommt zusammen mit ihrer Mutter, die sich in Paris mit ihrem Liebhaber treffen will, in die französische Hauptstadt und wird, damit die Mutter freie Bahn hat, noch am Bahnhof ihrem Onkel Gabriel übergeben. Doch dieser Onkel ist kein seriöser Herr und nicht, wie zunächst behauptet, Nachtwächter von Beruf, sondern er tritt in einem Kleinkunstkabarett als „danseuse de charme“ auf, er ist eine „pédale“ (1960 in der ersten Übersetzung von Eugen Hemlé ein „Hinterlader“, jetzt eine „Schwuchtel“). Und die Hinweise verdichten sich, dass Gabriel, obschon verheiratet, eine Art Doppelleben führt; das Interesse der rotzfrechen Zazie ist da gleich aufs allerhöchste entfacht, sie wird ihren Onkel immer wieder mit frivolen Fragen triezen, will herausbekommen, ob er „hormosessuel“ ist – womit sie zu erkennen gibt, dass sie nicht im Entferntesten weiß, wovon sie spricht.

Zazie ist von dem einen Wunsch beseelt, an den zwei Tagen ihres Pariser Aufenthalts mit der Metro zu fahren, doch die wird gerade bestreikt, sodass daraus nichts wird und sie ihren Frust an den Erwachsenen auslässt. Das macht sie konsequent und hervorragend; ihre wiederkehrenden Flüche sind deftig („Leck mich!“). Der Streik hindert all die handelnden Personen indes nicht daran, loszuziehen und dem Leser ein sehr lebendiges Paris zu präsentieren. Gabriel tritt da als vermeintlicher Touristenführer in Erscheinung, wobei sich zeigt, dass er sein Paris nicht so gut kennt, wie er vorgibt, und ihm einiges durcheinandergerät. Das alles wird mit viel Humor erzählt. Hinzu kommt eine Tiefendimension, die sich nicht ad hoc erschließt; einiges müsste einem im Grunde anhand von Anmerkungen nähergebracht werden (was Frank Heibert in der Neuübersetzung von 2019 auch streckenweise unternimmt).

Das Problem zeigte sich schon bei Louis Malles Verfilmung von 1960: Sie setzte die vielen textlichen (philosophischen, mythischen) Anspielungen vornehmlich in eine surreale Bildsprache um, die zwar viel optischen Szenenklamauk bot, die Subtexte aber nicht mitlieferte: Anspielungen und intertextuelle Verweise etwa (z. B. auf Sartre) oder Hinweise auf Geschichte und nationale Mythen (Roland Barthes). Die liefert nur der Text. Und in der neuen Übersetzung wohnt man nicht nur einem einzigen Feuerwerk surrealistischer Volten, sondern auch gleich einer kompletten sprachlichen Neujustierung bei.

„Dasisn Schock!“

Wobei die erste deutsche Übersetzung Eugen Helmlés durchaus auf der Höhe der (damaligen) Zeit ist; dass sie nun arg verstaubt wirkt, zeigt sich erst im Vergleich mit dieser Neufassung, die moderne Alltagssprache widerspiegelt, ohne mit modischem Schnickschnack aufzuwarten. Woraus sich die Frage ergibt: Wenn der Ausgangstext derselbe ist und selbstredend bleibt – was sagt das über eine Übersetzung, die sechzig Jahre später eine ganz neue Dimension erschafft, eine, die die semantischen Voraussetzungen beibehält und kurioserweise so wirkt, als wäre der Urtext gerade erst (und nicht Ende der 1950er Jahre) entstanden?

Bei dem berühmten Intro „Doukipudonktan“ kann man darüber streiten, ob Heiberts „Waschtinkndiso“ gelungener ist als Helmlés legendäres „Fonwostinktsnso“, das aber ist nur eine spitzfindige Detailfrage. Für „C’est tout cuit“ hieß es bei Helmlé: „Da ist schon alles in Butter“, bei Heibert nun pfiffiger: „Der Drops ist gelutscht“. Auch die Beschimpfung „Petite nature!“ kommt mit „Weichei!“ zeitgerechter daher als noch der „Schwächling“ bei Helmlé.

Abgesehen von einzelnen Begriffen werden oftmals auch ganze Dialoge phonetisch neu kalibriert: „Jte lrappelle, simplement.“ – „Y a pas à me lrappeler. Jlavais pas oublié“ lautet bei Helmlé: „Ich erinnere dich ja auch nur daran“ – „Da gibt’s nichts zu erinnern. Ich hatte es nicht vergessen.“ Bei Heibert kommt das jetzt viel schmissiger daher: „Wolltsnurnochma ins Gedächtnis rufen.“ – „Da gipsnix zu rufen. Hatts nicht vergessen.“

Bessergehtsnich

Als Tabu gelten eigentlich Manipulationen an Eigennamen, aber Heiberts Angebote sind gleich so überzeugend und herzerwärmend, dass man davon ausgehen kann, dass selbst Queneau diesen originellen und dabei an der Vorlage sich orientierenden Vorschlägen zugestimmt hätte. Einerseits sind da wunderbare Verballhornungen: „Myves St. Fleurant“ ist schlichtweg genial, im Original heißt es da übrigens auch schon nicht „Dior“, sondern „Fior“ (Helmlé behält es bei), andererseits sind da die selbstreferenziellen, mithin sprechenden Nachnamen: Mado Ptits-pieds heißt nun ganz direkt: Mado Clainefousse, aus Jeanne Lalochère („Les loches“ steht im Argot für einen wuchtigen Busen) wird Jeanne Grossestittes. Die spießige und notgeile Witwe Madame Mouacque heißt hier „Madame Dassemire“, und der Polizist, auf den sie es abgesehen hat, nicht mehr „Touscaillou“, sondern „Ramlère“.

Das alles zieht seine Berechtigung aus dem Kontext des Originals, Heibert steuert in seinem lesenswerten Nachwort einige Erklärungen bei. Man darf sagen, dass sich die Übersetzung hier auf Augenhöhe mit dem Original befindet. Oder zumindest fast. Bessergehtsnich.

Raymond Queneau, Zazie in der Metro. Roman; aus dem Französischen übersetzt, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Frank Heibert; Suhrkamp Verlag, Berlin, 2019, 238 Seiten

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