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ÖPNV in Frankreichs Provinz

Ohne Auto mobil

Wolfgang O. Hugo

U-Bahn-Arbeiten in Lyon, © Sytral, photo : Nicolas Robin

29. Januar 2022

Frankreich fördert massiv den öffentlichen Personennahverkehr – auch außerhalb von Paris und der Hauptstadtregion Ile-de-France. Neben den Fahrgästen profitieren vor allem die französischen Bahn- und Straßenbahnhersteller davon.

Bereits zum 4. Mal wurden Fördergelder für Straßenbahn- und Schnellbus- (BHNS) Projekte, U-Bahnen, Seilbahnen sowie multimodale Umsteigepunkte (PEM) vergeben.

Mit der französischen Verkehrswende „transition écologique“ verteilt das Umweltministerium Ministère de la transition écologique in großem Umfang Fördergelder für ÖPNV(TCSP)-Projekte im ganzen Land – denn die Verbesserung des Personennahverkehrs gerade auch außerhalb von Paris deutlich zu verbessern, ist erklärtes Ziel der französischen Zentralregierung. Mit 900 Millionen Euro fördert sie 95 ÖPNV-Projekte, darunter 25 neue Straßenbahn-Linien und 74 BHNS-Linien, d. h. Buslinien auf abgetrennter Fahrspur und mit erhöhter Frequenz. Premierminister Jean Castex unterstrich bei der Vorstellung der 162 Sieger-Projekte des Programms Grenelle pour l‘environnement 4 (2021–2025) am 6. Oktober 2021 in Lille, dass die Fördergelder damit verdoppelt werden. Es ist das vierte diesbezügliche Förderprogramm seit 2008.

Beispiel Lyon

Mit einem Investitionsprogramm von 2,55 Milliarden Euro für den Zeitraum bis 2026 (d. h. bis zu den nächsten Kommunalwahlen) und damit doppelt so viel wie im Mandat davor, nimmt der ÖPNV in Lyon mit dem Programm Destinations 2026 an Fahrt auf. Es sieht die Schaffung eines erweiterten Tramway-Netzes vor, eine Ausweitung der Trolleybus-Linien, mehr Kapazität bei der Métro-Linie B sowie die Automatisierung der U-Bahnen.

Das neue Design der Züge von Lyons Métro-Linie B, © Alstom/Design&Styling-RCP

Beschleunigt werden die Projekte vom 2020 gewählten grünen Oberbürgermeister von Lyon, Grégory Doucet (48), und dem Präsidenten der örtlichen Verkehrsgesellschaft Sytral, Bruno Bernard (50), der auch Präsident der Métropole de Lyon ist. Trotz der Rekord-Investitionen ist es indes jedoch eher fraglich, ob es eine fünfte Métro-Linie E (vom Hôtel-de-Ville unter dem Fourvière-Hügel in den Südwesten) geben wird. Zunächst sollen die bestehenden Linien A, B und D verlängert und die Straßenbahnen und Bus-Linien ausgebaut werden. Bürgerproteste stellen zudem die geplante Seilbahn-Verbindung zwischen der Métro-Station Francheville (Linie B) und der Métro B- und Tramway-T10-Station Gerland mit drei möglichen Korridoren in Frage.  

Die Agglomeration „Grand Lyon“ mit 59 Gemeinden, 1,3 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern und 538 qkm Fläche kann insgesamt mit über 90 Mio. Euro Fördergeldern rechnen. Dabei geht es um das Straßenbahnnetz der tramway (T6 nord, T9, T10), mehr Kapazitäten für die T1 und T2 (allein für die Verlängerung der Tramway-Züge auf 43 Meter gibt es 3 Mio. Euro); für zwei BHNS-Projekte und Verbesserungen von Busspuren gibt es insgesamt 14,51 Mio. Euro; dazu kommt das Seilbahn-Projekt Francheville – Lyon (7 Mio. Euro).

Beispiel Lille

Lille war für die Präsentation des Förderprogramms durch den Premierminister gut gewählt, denn allein 120 Mio. Euro der Gesamtinvestitionssumme gehen in den Großraum der nordfranzösischen Stadt mit 1,175 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern, darunter Lille (233.000) und die Nachbarstädte Roubaix (98.000) sowie Tourcoing (97.000). Sechs Projekte sollen hier die Straßenbahn stärken, indem fünf neue Tramway-Linien entstehen. Zusätzlich wird die Erneuerung des Rollmaterials der „Mongy“ (nach dem Ingenieur Alfred Mongy) genannten Straßenbahn zwischen Lille, Roubaix und Tourcoing mit 17,38 Mio. Euro gefördert.

Die Städteverbindung in Meterspur, einer der drei Betriebe, die das Straßenbahn-Sterben nach 1945 überlebt hatten, geht auf das Jahr 1909 zurück. Zeitweise haben deutsche Düwag-Altfahrzeuge dort als Zwischenlösung gedient. Ab 1981 waren sechs gebrauchte Düwag-Wagen aus Herten (Länge 14,29 m) auf den „Mongy“-Linien unterwegs, dazu kamen ab 1992 insgesamt 23 sechsachsige Düwag-Gelenktriebwagen (Länge 20,6 m), später zehn weitere Züge aus Bochum und Genf (CH). Sie wurden 1993/94 von 24 29,9 Meter langen, 2,40 Meter breiten Niederflurwagen des Herstellers Breda abgelöst und ab 2012 modernisiert. Im Frühjahr 2004 waren im Depot Barres-Rouges noch ein Düwag-Sechs-Achser 362 und ein Düwag-Gelenkzug 369 in der rot-weißen TCC-Version abgestellt.

Caen, Le Havre, Tours, Nantes, Nizza, Brest, Straßburg

Der Citadis von Strasburg, © Alstom, photo : Arnaud Fevrier

Volle Förderung mit je 40 Mio. Euro erhalten die Städte Caen und Le Havre, die eine Ost-West-Linie (Caen) und eine Linie C (Le Havre) bauen. Tours erhält für den Bau der Straßenbahn-Linie B 40 Mio. Euro, wobei es vor Ort noch zahlreiche Fragen zu klären gilt. Nantes ist mit 17,95 Mio. Euro für den Bau der Straßenbahn-Linien 6, 7 und 8 zum neuen Uni-Klinikum auf dem Gebiet der früheren Werften auf der Ile-de-Nantes dabei, Nizza mit 49,25 Mio. Euro für den Ausbau seiner Straßenbahn. Das Doppel-Projekt Straßenbahn-Linie B und BHNS-Linie D in Brest wird mit 17,09 Mio. Euro bzw. 3,81 Mio. Euro gefördert.

Straßburg, eine der Pionierstädte bei der Renaissance der Straßenbahn, erhält Gelder für die West-Verlängerung der Linie F (15,1 Mio. Euro) und für eine Ringverbindung Mitte-Nord (23,52 Mio. Euro), die den Umsteige-Knotenpunkt Homme de Fer im Stadtzentrum entlasten soll, hinzu kommen 950.000 Euro für die Verlängerung der BHNS-Bus-Linie G und drei PEM-Projekte in Mundolsheim, Vendenheim und Schiltigheim-Bischheim, die mit 1,3 Mio. Euro unterstützt werden.

Seilbahnen und mehr Fahrgast-Kapazität

In Grenoble, Lyon und Nizza werden u. a. Seilbahn-Projekte gefördert, Rennes erhält Gelder für zusätzliche Züge der Métro-Linie A (7,63 Mio. Euro), Le Mans 2,07 Mio. Euro für die Verlängerung seiner Straßenbahnen auf 43 Meter Länge. Der Wettbewerb um Fördergelder beschleunigt so manches Projekt: Clermont-Ferrand will seine Tramway-Linie plötzlich doch durch zwei BHNS-Linien ergänzen und bekommt dafür 21,59 Mio. Euro. An seine Grenzen zu geraten scheint der ÖPNV in Grenoble: Die Stadt hat nur das Seilbahnprojekt Fontaine Saint-Martin-le-Vinoux zur Förderung eingereicht und wird dafür 5,11 Mio. Euro bekommen. Bordeaux erhält 7,63 Mio. Euro für die Verlängerung der Tramway-Linie A zum Flughafen Mérignac und 4,89 Mio. Euro für das BHNS-Projekt Hôpital Pellerin – Malartic. 

Geldsegen für französische Hersteller

Das ÖPNV-Förderprogramm sichert nicht zuletzt Arbeitsplätze in der französischen Bahn- und Straßenbahnindustrie, vor allem an den Standorten Belfort, Ayrtré und Petite-Forêt, wo Alstom produziert, der auf dem französischen Straßenbahn-Markt (so wie in Algerien und Marokko) ein Quasi-Monopol hat (und auch in Deutschland vertreten ist).

Über 2600 Straßenbahnen seiner verschiedenen Citadis-Versionen wurden an über 50 Städte auf fünf Kontinenten verkauft. Offen ist, wer die neuen Meterspur-Fahrzeuge für Lille liefern darf. Es geht um 24 neue Straßenbahnzüge und sechs weitere als Option. Länger, maximal 32,4 m, sollen sie sein, und Platz für bis zu 23 Prozent mehr Fahrgäste haben. Die vorhandenen 24 Niederflur-Züge, geliefert 1993/94 von Breda, sind 29,9 m lang und 2,40 m breit. Die Breda-Züge wurden ab 2012 generalsaniert, modernisiert und erhielten ein neues Aussehen. 2024 sollen sie ersetzt werden. Weiteres Ausschreibungskriterium: Die Außentüren sollen maximal 24,5 Meter auseinander liegen, um eine bessere Verteilung und einen besseren Fluss der Fahrgäste zu sichern.

Der Citadis in Bordeaux hat die für Frankreich „normale“ Spurbreite, © TOMA, photo : Richard Nourry

Doch die Zahl der Bewerber um das geschätzte Auftragsvolumen von 150 Mio. Euro ist begrenzt: Denn die Meterspur von Lilles Tramway gibt es in Frankreich nur noch in Saint-Etienne. Alstom aber, Lieferant der meisten Tramway-Netze in Frankreich, hat zwar Werke im Norden (z. B. Petite-Forêt bei Valenciennes), aber keine Meterspur-Version des Citadis. Saint-Etienne hat für seine dritte Linie 16 Urbos-3-Straßenbahnen beim spanischen CAF bestellt, gebaut in Bagnères-de-Bigorre in Frankreich. Nach Übernahme von Bombardier durch Alstom könnte die Meterspur-Version des Flexity in Betracht kommen (der u. a. in Berlin verkehrt) –der aber wird im deutschen Bautzen produziert, 900 km von Lille entfernt, wie man in Frankreich vermerkt. Angebote könnten auch Stadler oder Siemens machen.

Ähnlich ist die Anbieter-Situation im Métro-Bereich: Nur in Rennes ist Siemens als Nachfolger von Matra mit der Linie B im Rennen. Beim Ausbau und der Automatisierung der U-Bahn-Netze von Lyon, Marseille und Lille steht Alstom, u. a. mit neuen Métropolis-Zügen und dem Betriebsprogramm Urbalis 4000 fest, dazu kommt die noch fast 27 km lange TAE-Linie M3 in Toulouse mit Großprofil (2,70 m Breite).

Handlungsbedarf hinsichtlich des ÖPNV besteht auch außerhalb der Metropolen: 80 Prozent des französischen Bahnverkehrs bündeln sich auf einem Drittel des Bahnnetzes; in ländlichen Regionen wurden und werden zahlreiche Bahnhöfe stillgelegt. So führt z. B. die schnellste Fahrt von Lyon nach Bordeaux mit öffentlichen Verkehrsmitteln per TGV über Paris.

Baubeginn bis 2025

Straßenbahnen und BHNS-Projekte dominieren im Förderprogramm. Die Fördermittel im Überblick

  • 7,63 Mio. für U-Bahnen
  • 468,64 Mio. für Straßenbahnen
  • 278,3 Mio. für BHNS-Projekte
  • 13,59 Mio. für Seilbahn-Projekte
  • 131,84 Mio. für PEM-Projekte

Nach den Planungen soll Frankreich 168 km neue Straßenbahn-Strecken und 852 BHNS-Strecken oder vergleichbare, abgetrennte Fahrspuren bekommen. Einzige Bedingung für die Auszahlung der Fördergelder aller Projekte: Der Baubeginn muss vor Ende 2025 erfolgen.  

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