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Krieg im Nahen Osten

Nahost: Sie ziehen am selben Strang, setzen aber unterschiedliche Akzente

Gisela Dachs

Annalena Baerbock in Israel, 13.10.2023 © Imago

21. November 2023

In Fragen der Weltpolitik driften Berlin und Paris oftmals auseinander. So mächtige Krisen wie Putins Krieg gegen die Ukraine führten dann aber letzlich doch zur Annäherung. Als Emmanuel Macron und Olaf Scholz sich am 10. Oktober zu einer – langfristig als neues Gesprächsformat geplanten – Kabinettsklausur in Hamburg trafen, hatte ein anderes Drama die Tagesordnung überschattet: das barbarische Massaker der Hamas, mit über tausend ermordeten Israelis und mindestens zweihundert Geiseln, darunter viele französische und deutsche Staatsbürger.

Für den Moment war man sich über den klaren Standort an der Seite Israels ganz einig. Israel habe das Recht, sich gegen diese menschenverachtenden Angriffe zu verteidigen, sagte Scholz in der gemeinsamen Pressekonferenz. Zugleich gehe es auch darum, eine weitere regionale Eskalation zu vermeiden: „Dazu stehen wir in intensivem Kontakt mit vielen Staaten der Region“.

Für Israel markiert der „Schwarze Schabbat“ am 7. Oktober eine historische Zäsur. Nach dem minutiös geplanten Überfall der Hamas, der überraschend kam und deshalb auch ein kolossales Versagen der Sicherheitskräfte darstellt, wird nichts mehr sein wie zuvor. So viele Juden sind seit dem Holocaust nicht ermordet worden. Der brutale Angriff traf auf Entsetzen bei westlichen Regierungen, zugleich aber auch auf unterschiedliche Resonanzböden. Washington dachte an 9/11, in Paris wurden traumatische Erinnungen an die islamistischen Attentate von Charlie Hebdo und dem Bataclan wach. In Berlin stellte sich die Frage nach der nie so genau ausformulierten Bedeutung der viel beschworenen Formel von der deutschen Staatsräson.

Mangelnde Weltpolitikfähigkeit

So reiste Scholz als einer der ersten Regierungschefs zum Zeichen der Solidarität zehn Tage später nach Israel (18. Oktober). Seine Außenministerin war da schon vor Ort gewesen (13. Oktober), und am 11. November kam sie zum dritten Mal. Macron stieg eine Woche nach Scholz ins Flugzeug nach Tel Aviv. Die Besuche vermittelten den Israelis – immer noch tief im Schockzustand – ein Gefühl des Nicht-Allein-Gelassenseins, aber es war auch klar, dass der Spielraum der Europäer begrenzt sein würde. Denn der einzige relevante westliche Player im Nahen Osten sind die Vereinigten Staaten, Israels enger Verbündeter. Es ist die einzige Macht, die im Notfall auch aktiv werden kann. Mit Blick auf die Hizbollah im Libanon hat Washington zur Abschreckung unlängst auch zwei amerikanische Flugzeugträger ins östliche Mittelmeer geschickt. Die USA „müssen im Fahrersitz sein, sonst ist eine Lösung nicht möglich“, hatte der deutsche Außenminister einst bei seinem Besuch 2003 in Ramallah die europäische Rolle relativiert. Daran hat sich nicht viel verändert. An Weltpolitikfähigheit (Jean-Claude Juncker, 2018) mangelt es auch noch heute.

Die Europäer bleiben bei ihrer Softpower. Weil man das will, oder nicht anders kann. Frankreich hätte zwar die Möglichkeit, um in der Region Präsenz zu zeigen, allein schon aufgrund seines Flugzeugträgers und entsprechender Kampfflugzeuge – es hat alles, was die Deutschen nicht haben. Der Bestand der Bundeswehr ist ohnehin zum größten Teil marode. Die Abhängigkeit ist da eher umgekehrt. Im Zuge des russischen Angriffskriegs hat Berlin gerade erst das israelische Abwehrsystem Arrow 3 gekauft.

Beide sehen ihre Aufgabe ausschließlich in der Krisendiplomatie. Man will in der Geiselfrage vermitteln und versucht den zunehmend schwierigeren Balanceakt zwischen der Unterstützung Israels in ihrem Kampf gegen die Hamas und der Hilfe für palästinensische Zivilisten.

Gesprächskanäle offenhalten 

© Adobe Stock

Je länger die israelische Militäroperation andauert, desto eher geht das perfide Kalkül der Hamas auf. Denn der Fokus der Weltöffentlichkeit richtet sich inzwischen fast ausschließlich auf den Gazastreifen. Die Bilder, die unter der strengen Kontrolle der Hamas nach draußen dringen, zeigen ausschließlich die leidenden Menschen, das wachsende Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung – nicht die immer noch unzähligen Waffenlager unter Krankenhäusern und Schulen, nicht die Angriffstunnel, nicht die immer noch aktiven Raketen-Abschussrampen. Unter wachsenden Rufen nach einer Waffenruhe setzte sich die deutsche Außenministerin Baerbock für humanitäre Hilfe für die Palästinenser in Gaza ein, blieb aber konsistent in ihrer Unterstützung von Israels Recht, sich zu verteidigen. Sie verstehe den Impuls, aber wer nun einen allgemeinen Waffenstillstand fordere, müsse auch sagen, was dies für die Sicherheit Israels bedeute. Aus dem Gazastreifen dürfe keine Gefahr mehr von der Hamas ausgehen.

Baerbock äußerte sich damit deutlich zurückhaltender als Emmanuel Macron, der da gerade in einem BBC-Interview Israel vorgeworfen hatte, dass es „keine Rechtfertigung“ für Angriffe auf palästinensische Zivilisten in Gaza gebe. Nach Kritik aus dem Jerusalemer Kriegskabinett korrigierte der Präsident seine Ausage: Nein, er habe Israel nicht vorwerfen wollen, absichtlich Unschuldige ins Visier zu nehmen. Und man werde Israel nicht allein lassen in seinem Kampf gegen Terrorismus. Allerdings plädierte er auch für politische Initiativen für eine langfristige Stabilität. Damit ziehen Frankreich und Deutschland wieder an einem Strang. Beide sehen die Zwei-Staatenlösung als Hoffnungsträger und Zukunftsmodell. Es geht darum, Perspektiven zu eröffnen, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten. So war Macron – anders als Scholz – bei seiner Israel-Reise auch gleich ins Westjordanland zu Palästinenserpräsident Mahmud Abbas gefahren. Nur so könne er sich „nützlich“ machen, befand Macron. Baerbock fuhr erst bei ihrem dritten Besuch nach Ramallah.

Rege Reisediplomatie

Die deutsch-französische Krisendiplomatie besteht somit vor allem aus Gesprächen. Paris befindet sich nach Angaben Macrons auch in direktem Kontakt mit der proiranischen Hizbollah-Miliz im Libanon, zu dem Frankreich aus historischen Gründen eine enge Bindung hat. Die deutsche Außenministerin schafft es in 36 Stunden, Termine in Abu Dhabi, Riad, Ramallah und Tel Aviv aneinanderzureihen. Dabei gehe es ihr darum, sagt sie, stellvertretend die Sichtweise des jeweils anderen darzulegen. Sie sieht sich als Brückenbauerin.

Akut ist aber vor allem die Geiselfrage. Deutschland hat da ja durchaus Tradition als Vermittler. 2011 war zuletzt der frühere BND-Mann Gerhard Conrad bei der Befreiung des israelischen Soldaten Gilat Shalit aktiv gewesen. Shalit, der fünf Jahre lang in einem Verließ in Gaza saß, wurde gegen mehr als tausend palästinensische Gefangene ausgetauscht. Und jetzt?

Diesmal laufen die Fäden in Katar zusammen. Vertreter des amerikanischen und israelischen Geheimdiensts verhandeln dort – indirekt – mit der Hamas. Der kleine Golfstaat, bei der Fußballweltmeisterschaft 2022 von der deutschen Außenpolitik in Sachen Menschenrechte ins Visier genommen wurde, hat eine Aufwertung erfahren. Dem Emir von Katar bescherte das einen Besuch im Kanzleramt. Scholz würdige die „humanitären Bemühungen“ des Golfstaats im Zusammenhang mit den verschleppten Geiseln. Man wollte „in engem Kontakt bleiben.“ Auch Macron betrachtet die Rolle des kleinen Golfstaates, einer der bisherigen großen finanziellen Unterstützer der Hamas, in dieser Frage jetzt als entscheidend.

Kommunikation in alle Richtungen

Emmanuel Macron in Ägypten, 25.10.2023 © Imago

Die Kommunikation in alle Richtungen aufrechterhalten zu wollen, hat seinen Preis. Das wurde deutlich bei der Abstimmung über eine von Jordanien eingebrachte Resolution bei den Vereinten Nationen. Die Resolution forderte eine Waffenruhe in Gaza, ohne allerdings die Massaker an den Israelis oder die Geiselnahme durch die Hamas auch nur zu erwähnen. Während die USA dagegen stimmten, war Frankreich dafür. Und Deutschland enthielt sich – nachdem es Berlin gelungen war, einen noch harscheren ersten Entwurf zumindest ein bisschen zu entschärfen. Ein deutscher Diplomat formuliert die Logik folgendermaßen: Um als Gesprächspartner in der arabischen Welt nicht auszufallen, habe man es bevorzugt, sich zu enthalten, was man in Israel auch gut verstanden habe. Mit dem Ja Frankreichs hingegen tat man sich schon schwerer. Immerhin aber taucht nach dem deutschen Nachbessern jetzt der Ruf nach Frieden innerhalb einer Zweistaatenlösung auf, der in dem ersten Entwurf gänzlich gefehlt hat. So können Paris und Berlin bei ihrer Krisendiplomatie erst einmal weiter an einem Strang ziehen.

Geht es nach Präsenz, so nehmen Berlin und Frankreich durchaus eine europäische Führungsrolle ein. Am 17. November reiste dann auch – erstmals seit 2000 – der französische Verteidigungsminister im Auftrag Macrons nach Israel, nach Stationen in Ägypten und den Golfstaaten. Lecornu traf sich mit Geiselfamilien und begab sich innerhalb von 48 Stunden gleich zwei Mal nach Katar, was ihn im Hinblick auf einen Deal zumindest hoffnungsvoll stimmte. Bei seinem Besuch in Israel ging es auch um Terrorbekämpfung. In diesem Bereich kooperieren israelische und französische Nachrichtendienste schon seit Jahren sehr eng – wie im Übrigen auch die israelischen und deutschen Dienste. Unklar aber ist, wieviel bei Lecornus Besuch noch übrig blieb von Macrons jüngstem Vorschlag, eine „internationale Koalition gegen die Hamas“ aufzubauen, ähnlich der Logik, wie sie 2014 in Syrien und im Irak gegen den Islamischen Staat gekämpft hat. Laut hat man davon zumindest nichts mehr gehört.

Die Autorin

© Gisela Dachs

Gisela Dachs ist freie Publizistin in Tel Aviv sowie Professorin am DAAD-Center for German Studies und am European Forum der Hebräischen Universität in Jerusalem. Sie ist promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und hat während ihrer langen journalistischen Karriere für Libération in Paris gearbeitet und danach als politische Redakteurin und Nahostkorrespondentin für die ZEIT.

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