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Emmanuel Macron im Bundestag

Die hohe Kunst der vieldeutigen Rede

Michaela Wiegel

Emmanuel Macron im Bundestag, 22. Januar 2024 (Copyright: Imago)

13. Februar 2024

Im Bundestag verabschiedeten sich am 22. Januar europäische und deutsche Politiker von Wolfgang Schäuble. In einer in großen Teilen auf Deutsch gehaltenen Rede erinnerte Emmanuel Macron an dessen Einsatz für Europa. Seine Rede barg auch etliche Botschaften an Deutschland.

Es geht ein kaum merklicher Ruck durch den Plenarsaal, kaum hat Präsident Emmanuel Macron zu seiner Rede auf Wolfgang Schäuble angehoben. Der Bundeskanzler guckt verdutzt. Die anwesenden Minister, die Abgeordneten, der Bundespräsident und sein Vorgänger, Altkanzlerin Merkel, Journalisten und Ehrengäste greifen verwundert nach den Kopfhörern und ziehen sie von den Ohren. Nur Zentralbankchefin Christine Lagarde lässt sich schnell ein Headset reichen.  Die Überraschung ist gelungen. „Meine sehr verehrten Damen und Herren!“: In Macrons Begrüßungsformeln in deutscher Sprache kommt langsam Schwung. Auf dem acht Seiten langen Redetext, den der Elysée-Palast hinterher verteilen wird, gibt es ausnahmsweise zwei Farben: Blau sind die Passagen, die in Deutsch, schwarz, die in Französisch gesprochen wurden. Es ist viel Blau auf den Blättern!

Er stehe bereit für einen neuen Aufbruch

Auf Deutsch hat sich schon lange kein Präsident der Französischen Republik mehr vor den Deutschen verneigt. Macron nutzte die Würdigung des verstorbenen Bundestagspräsidenten und langjährigen Finanzministers als Signal, dass er für einen neuen Aufbruch bereitstehe – gerade jetzt, wo sich die Generation der Europa-Gestalter des späten 20. Jahrhunderts verabschiedet. „Nacheinander hat Europa zwei seiner größten Vordenker verloren, Jacques Delors und Wolfgang Schäuble“, sagte Macron.

Bis zuletzt hat der Präsident an seiner Aussprache gefeilt. Seine Deutschkenntnisse aus seiner Schulzeit am Jesuitengymnasium La Providence in Amiens hatte er lange nicht aufgefrischt. Zu seinen Gastfamilien in Dortmund, der Partnerstadt von Amiens, wo er zwei Mal zum Austausch war, ist der Kontakt abgebrochen. Aus einem geplanten längeren Aufenthalt am Jacques-Delors-Institut und an der Hertie School of Government in Berlin –organisiert vom zwischenzeitlich verstorbenen Direktor Henrik Enderlein –, wird 2014 nichts, weil Präsident Hollande ihn zum Wirtschaftsminister ernennt.

Im engen Austausch

Wolfgang Schäuble bei der Karlspreisverleihung in Aachen, 2012 (Copyright: Wikimedia Commons)

Als der Außenseiter im Präsidentschaftswahlkampf im Januar 2017 an der Humboldt-Universität in Berlin einen Vortrag halten darf, erwägt er kurz, sich in deutscher Sprache zu äußern. Doch dann verwirft er die Idee wieder, zu wenig Zeit, zu holprig erscheint ihm sein Deutsch. Drei Sätze bringt er über die Lippen. Die Rede hält er in englischer Sprache, Joschka Fischer ist trotzdem begeistert.  Wolfgang Schäuble wird auf ihn aufmerksam, empfängt ihn im März 2017. Kurze Zeit später, bei einer Debatte mit der damaligen EU-Abgeordneten Sylvie Goulard im Deutschen Theater, spricht der CDU-Politiker eine Wahlempfehlung für Macron aus. Wenn er Franzose wäre, dann würde er für Macron stimmen, sagt er. Bei den Republikanern, der Schwesterpartei der CDU, ist man empört. Der Austausch zwischen Macron und Schäuble sollte seither nicht mehr abreißen. Sie unterhielten sich meist auf Englisch.

In de Gaulles Fußstapfen

Einen neuen Anlauf nimmt Macron im Mai 2023, kurz vor dem geplanten Staatsbesuch in Deutschland. Ein Deutschlehrer, der bereits mit Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire die Kenntnisse auffrischte, wird engagiert. Doch dann erschießt ein Polizist einen jugendlichen Raser bei einer Kontrolle und die Banlieue brennt lichterloh. Statt in Ludwigsburg auf den Spuren Charles de Gaulles zu wandeln, sagt Macron die Reise ab.

De Gaulle hatte sich 1962 ohne Redemanuskript oder Teleprompter an die etwa 10.000 jungen Leute gewandt, die im Schlosshof zusammenstanden. „Ich beglückwünsche Sie ferner, junge Deutsche zu sein, das heißt Kinder eines großen Volkes. Jawohl! Eines großen Volkes, das manchmal im Laufe seiner Geschichte große Fehler begangen hat“, sprach er versöhnlich. Insgesamt sechs Reden hielt der General bei seiner Tournee gänzlich in deutscher Sprache, er hatte sie auswendig gelernt. Im Ruhrgebiet, in Duisburg, sprach er die Arbeiter der Thyssen-Stahlfabrik mit „Sehr geehrte Herren“ an, was diese zutiefst beeindruckte, in Hamburg wandte er sich an Bundeswehr-Soldaten als „Kameraden“. Am letzten Tag seiner Deutschlandreise am 9. September 1962 berief sich de Gaulle in Münsingen, südlich von Stuttgart, sogar auf einen bislang unbekannten Vorfahren: „Ich werde Ihnen ein Geheimnis anvertrauen, das ich noch nie jemandem erzählt habe. Der Großvater meines Großvaters stammte aus Baden. Er war 1761 in Dürlach geboren und hieß Ludwig-Philipp Kolb.“ Die Presse war begeistert. Der Spiegel schrieb: „Er kam als Präsident der Franzosen und fuhr heim als Kaiser von Europa“. Dennoch soll der Präsident auf der Rückreise verärgert gewesen sein, weil er einige Deutschfehler machte, wie er seinem Dolmetscher gestand. Dieser versicherte ihm, niemand habe das bemerkt.

De Gaulle in Bonn, 4.-5. September 1962 (Copyright: Wikimedia Commons)

De Gaulle hatte Deutsch gelernt, weil sein Vater wollte, dass er die Sprache des Feindes beherrschte. Die Niederlage Frankreichs 1870/71 hatte er nie verwunden. Er schärfte dem Sohn den Gedanken der Revanche, ja sogar der Rache, ein. Mit 15 Jahren verfasste der junge de Gaulle eine Erzählung, in der ein General de Gaulle die Deutschen besiegt und Frankreich rettet. Zum Abschluss seiner Schulzeit verbrachte de Gaulle im Sommer 1908 einen Sprachaufenthalt in Bayern. In Saint-Cyr, der Kaderschmiede für zukünftige Offiziere, vertiefte de Gaulle seine Deutschkenntnisse. Wieder galt es, den Feind besser vorhersehen zu können. Im Ersten Weltkrieg geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft. Auf der Wülzburg bei Weißenburg soll er seine Zeit mit deutscher Lektüre verbracht haben.

Eine Hommage und eine klare Botschaft

Zur „Feindeskunde“ lernte die Generation Emmanuel Macrons nicht mehr deutsch. Macron ist im Dezember 1977 zur Welt gekommen, zu einer Blütezeit des deutsch-französischen Austausches. Zwischen dem hanseatisch geprägten Helmut Schmidt (SPD) und dem aristokratisch auftretenden Valéry Giscard d’Estaing (UDF) gab es einen starken Willen zur Zusammenarbeit – und zur Überwindung der Interessengegensätze. Die Freundschaft sollte viele Jahrzehnte über die aktive Regierungszeit der beiden hinaushalten. Ob Macron, der älteste Sohn, deshalb Deutsch lernen sollte? Vermutlich stand bei der Entscheidung seiner Eltern, beides Bildungsaufsteiger, die Ärzte geworden waren, der Ruf der deutschen Sprache als anspruchsvoll im Vordergrund. Ihr Sohn sollte in einer leistungsstarken Klasse landen und der deutsche Spracherwerb galt als Garantie dafür. Entstanden ist auf jeden Fall ein unermüdliches Interesse an Deutschland. In seinen bald sieben Amtsjahren als Präsident hat Macron nichts unversucht gelassen, das Verhältnis zu vertiefen – nicht immer mit Erfolg.

Die Hommage auf Schäuble ist in erster Linie – eine Hommage. Aber geschickt nutzt Macron die Gelegenheit, um einige Grundsätze des deutsch-französischen Verhältnisses in Erinnerung zu rufen, die mit der „Zeitenwende“ aus dem Blick zu geraten scheinen. Schäuble „vertrat vehement die Interessen Deutschlands, wusste aber auch, dass in Europa niemand versuchen kann und darf, der Erste zu sein, niemals“. Das klang wie ein Echo auf die wiederholten Aussagen Bundeskanzler Scholz, Deutschland werde „die größte konventionelle Armee“ in Europa haben.  Auch schien es auf die Vorhaltungen gemünzt, andere Europäer beteiligten sich nicht hinreichend an der Militärhilfe für die Ukraine. Macron erinnerte daran, dass Schäuble verstanden habe, dass Europa sicherheitspolitisch durch den Krieg in der Ukraine tief erschüttert sei. „Vom ersten Tag des russischen Angriffs auf die Ukraine an setzte er sich für die Ukraine ein und war für einen Beitritt zur EU und zur NATO“, sagte Macron. Das war ein Wink an den Bundeskanzler, der sich beim NATO-Gipfel in Vilnius gegen einen NATO-Beitritt gestemmt hatte. Schäuble hatte in einem Zeitungsgespräch im März 2022 eingestanden, dass er sich in der Frage geirrt hatte. „Aus heutiger Sicht war es ein Fehler, der Ukraine beim Nato-Gipfel in Bukarest 2008 keine feste Aufnahmeoption gegeben zu haben. Damals allerdings war ich auch skeptisch. Auch ich dachte, wir müssen mit Russland kooperieren. Heute weiß ich: Ich lag falsch, wir alle lagen falsch“, sagte Schäuble.

Das französische Potenzial nutzen

Auch die Debatte über die „europäische Dimension“ der nuklearen Abschreckung Frankreichs ging Schäuble wesentlich beherzter an, als es der Bundeskanzler wagt. Letzterer hat kürzlich im Gespräch mit der Wochenzeitung Die Zeit gesagt, er wolle darüber nicht diskutieren. Deutschland vertraue auf die nukleare Teilhabe mit Amerika. In seinem letzten Interview zu Weihnachten in der Welt am Sonntag sagte Schäuble hingegen: „Realistischer ist jedenfalls, das derzeitige französische Potenzial zu nutzen. Die größere Gefahr besteht doch darin, dass wir Europäer eines Tages ohne atomare Abschreckungsgarantie der Vereinigten Staaten dastehen, also ungeschützt – und das bei einem revisionistischen Russland.“

Die Autorin

© Faz.net

Michaela Wiegel ist seit Februar 1998 als politische Korrespondentin für Frankreich für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) in Paris tätig. Nach einem Studium der Politischen Wissenschaften, der Geschichte und Philosophie und einem Diplomabschluss am Institut d’Etudes Politiques de Paris ging sie an die Harvard University und erwarb an der Kennedy School of Government einen Master in Public Administration. 1995 trat sie als Redakteurin in die politische Nachrichtenredaktion der F.A.Z. ein.

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1 Kommentare/Commentaires

  1. Zeit das man in kenntniss nimmt, die Sprache spricht sich wenn die Eltern unterstuzten, sowie der Vater von de Gaulles. Auch ein verlanges von den Eltern von Macron. Das « theorestische » lernen für eine Zertifizierung gibt nicht der Sinne zum sprechen. In Erinnerung und Achtsamkeit auf meinen deutschen Gross Vater: die Liebe zu der deutschen Sprache. In dem Austauch spricht man für sich zu verständigen.

    Zeit das man verlangt das unsere Kinder deutsch und franzosich sprechen.

    Danke für diesen Artikel.

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