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Meinungen

Westliche Truppen in der Ukraine?

Bruno Tertrais, Thomas Jäger

Ukraine-Konferenz in Paris, 26. Februar © Imago

01. März 2024

Die Bodentruppen-Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron haben in Europa hohe Wellen geschlagen und einen neuen Streit zwischen Deutschland und Frankreich ausgelöst. Wir haben Bruno Tertrais von der Fondation pour la Recherche Stratégique nach seinen Einschätzungen gefragt. Professor Thomas Jäger von der Universität zu Köln antwortet ihm. 

Bruno Tertrais

In der letzten Staffel von The Crown (derzeit auf Netflix) sieht man den britischen Premierminister Tony Blair, wie er sich – wir schreiben das Jahr 1999 – darüber freut, dass die Drohung, Bodentruppen nach Serbien zu entsenden, Präsident Slobodan Milošević im Kosovo zum Einlenken brachte. Emmanuel Macron beabsichtigt wahrscheinlich nicht, Wladimir Putin allein durch seine Äußerungen am Montagabend zum Rückzug zu bewegen, aber indem er andeutete, dass die Präsenz westlicher Truppen in der Ukraine nicht ausgeschlossen sei, sorgte er für ordentlichen Wirbel. Man muss sowohl die unmittelbare Bedeutung der Äußerungen des Präsidenten relativieren als auch ihren symbolischen Wert würdigen.

Die Erklärung des Staatspräsidenten hat nichts mit einer spontanen Eingebung zu tun: Sie ist Teil einer kohärenten Abfolge, die mit der Unterzeichnung eines Sicherheitsabkommens mit Kyjiw begann und mit der Konferenz in Paris fortgesetzt wurde, die auf die Intensivierung und Verstetigung unserer Unterstützung für die Ukraine abzielte.

In erster Linie, so könnte man meinen, soll sie den defätistischen Tendenzen einiger Amtskollegen des Präsidenten, insbesondere in Ungarn und der Slowakei, entgegenwirken. Vor allem aber kündigt sie in keiner Weise einen massiven Einsatz von Kampftruppen an. Daran muss erinnert werden: Es geht lediglich darum, die logischen Konsequenzen aus dem zu ziehen, was bereits angekündigt wurde.

Bruno Tertrais © Bruno Tertrais/FRS

Emmanuel Macron erwähnte ausdrücklich die Abwehr von Cyberattacken, die Koproduktion von Waffen, die Minenräumung, die Sicherung der Grenze zu Belarus, den Schutz Moldawiens… Man könnte noch die Aktivitäten für Ausbildung, Training oder Reparaturen der nach Kyjiw verlagerten Ausrüstung hinzufügen. Und er drückte sich sehr vorsichtig aus: „Wenn diese Punkte vollständig umgesetzt würden, dürfe nicht ausgeschlossen werden, dass Sicherungsmaßnahmen erforderlich würden, die dann gewisse Einsatzoptionen rechtfertigen würden“. Er begnügte sich, noch hinzuzufügen, dass die Entsendung von Bodentruppen „auf offizielle, abgestimmte und unterstützte Weise“ nicht ausgeschlossen werden dürfe. Wir haben schon Politiker erlebt, die mehr auf Krieg aus waren.

Nichtsdestotrotz hat Emmanuel Macron die politischen Linien auf spektakuläre Weise verschoben. Russland scheint zuversichtlich, Amerika zögerlich, Deutschland kleinmütig? „Ausgezeichnete Lage, ich greife an“, mag der französische Präsident gedacht haben, um Marschall Foch zu paraphrasieren. In der Diplomatie wie auch anderswo muss man zuweilen das Unterste zuoberst kehren. Indem er ein Tabu bricht, versucht der Präsident in erster Linie, den Kreml zu destabilisieren, der uns als schwach wahrnimmt. Die Souveränisten, die die Gefahr eines Krieges mit Russland heraufbeschwören, wären gut beraten, sich auf die Worte General de Gaulles zu besinnen, an den sie bei anderen Gelegenheiten so gern erinnern: „An einem bestimmten Punkt der Bedrohung durch einen ehrgeizigen Imperialismus hat jedes Zurückweichen zur Folge, den Aggressor noch mehr zu reizen, ihn dazu zu bringen, seinen Druck zu verdoppeln, so dass sein Angriff letztlich nur noch erleichtert und beschleunigt wird. Alles in allem haben die westlichen Mächte derzeit keinen besseren Weg, dem Weltfrieden zu dienen, als aufrecht und stark zu bleiben.“

Es stimmt, dass jede westliche Militärpräsenz in einem Kampfgebiet durch einen absichtlichen oder versehentlichen Schlag Russlands vernichtet werden kann. Diejenigen, die die Gefahr einer „Eskalation“ heraufbeschwören, sollten jedoch bedenken, dass tatsächlich Putin die Lage seit Februar 2022 immer wieder eskaliert: durch Cyberattacken, Angriffe auf Unterseekabel, massive Desinformation oder gefährliche und immer wieder offen bedrohliche Militärmanöver gegen westliche See- und Luftstreitkräfte.

Es geht auch darum, Kyjiw zu beruhigen und Berlin mit seiner Verantwortung konfrontieren. Durch Kanzler Scholz‘ schroffe Reaktion und – unvorsichtige – Behauptung, niemals würden EU- oder NATO-Truppen in die Ukraine entsendet, ging die Debatte in Deutschland erst richtig los. Würde uns das zu „Kriegsteilnehmern“ machen? Vielleicht, wenn die eingesetzten militärischen Einheiten sich direkt an ukrainischen Kriegshandlungen beteiligen würden. Aber das ist eher eine akademische Debatte. Würde dies die Gefahr einer direkten Konfrontation zwischen der NATO und Russland heraufbeschwören? Diese Frage vergisst, dass Moskau bereits seit zwei Jahren gegen alle Beweise behauptet, Russland befinde sich im Krieg mit dem Atlantischen Bündnis. Und dass Wladimir Putin trotz all seiner Provokationen noch nie den Verteidigungsfall nach Artikel 5 NATO-Vertrag riskiert hat, die NATO-Defensivklausel, die im Falle eines Angriffs auf verbündetes Territorium ausgelöst würde.

Es wird wahrscheinlich nie westliche Kampftruppen in der Ukraine geben, außer vielleicht, wenn Russland direkt gegen die außerhalb des ukrainischen Hoheitsgebiets eingesetzten See- und Luftstreitkräfte vorginge. Aber vielleicht wird es im Rahmen unserer Unterstützung in Kyjiw europäische Militäreinheiten auf ukrainischem Territorium geben. Und es ist gut, dass wir dieses Tabu gebrochen haben. Anstatt ständig Angst vor dem Überschreiten hypothetischer russischer „roter Linien“ zu haben, sollten wir vielleicht aufhören, Wladimir Putin durch die Preisgabe unserer eigenen „roten Linien“ zu beruhigen, die ihn bislang nur dazu ermutigt haben, seine Aggression fortzusetzen.

© 2024 LE POINT

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Version eines Artikels, der in der Zeitung Le Point unter dem Titel Le coup de Poker de Macron veröffentlicht wurde.

Übersetzung: Norbert Heikamp

Thomas Jäger

Der russische Präsident führt einen Krieg um die Gestaltung der europäischen Staatenordnung, die aus seiner Sicht nicht weiter von der Europäischen Union geprägt werden soll. Die erste Etappe dieses Krieges soll die Einnahme der Ukraine sein. Seit Herbst 2021 organisierten die USA eine kohärente Antwort. Alleine hätten die Mittelmächte der EU dies nicht gekonnt.

Nachdem die G7 in Vilnius 2023 der Ukraine eine hybride Sicherheitsgarantie in Aussicht stellten, weil der Beitritt zur NATO durch den Krieg versperrt ist, setzen einzelne Staaten bilaterale Sicherheitsvereinbarungen um. Die Konferenz von Paris (26. Februar) formuliert in diesem Prozess die wichtigsten Aufgaben. Das ging ein wenig unter, weil der französische Präsident am Ende ein neues Thema öffnete. Doch gab es wichtige Ergebnisse: Die EU wird mehr in die Verteidigung der Ukraine investieren, gemeinsame Schulden für Rüstung aufnehmen, Munition aus Drittstaaten kaufen und Raketen mittlerer und längerer Reichweite liefern. Jeder Punkt ein Volltreffer zur Ertüchtigung der EU und Präsident Macron hätte das feiern können.

Was man sich vornahm, ist beachtlich. Cybersicherheit, gemeinsame Produktionsstätten in der Ukraine, die Unterstützung verletzlicher Staaten wie Moldau, nicht-militärische Hilfe und Minenräumung sind wichtige Themen. Doch dann kam die Frage, die der slowakische Ministerpräsident, ein Gewährsmann Putins, in die Öffentlichkeit geworfen hatte. Bodentruppen in der Ukraine? Präsident Macron ging darauf ein. Wollte er in die Initiative gehen? Viel spricht dafür, denn der zögerliche Bundeskanzler aus Deutschland bekam einen Hieb nach dem anderen. Bundeskanzler Scholz hatte am Vormittag der Konferenz die Lieferung des deutschen Taurus abgelehnt, wo das Thema doch später in Paris ganz oben auf der Liste stand. Also wurde er erinnert, wie das war mit Helmen, Schlafsäcken, „niemals Panzer“ und „niemals Kampfflugzeuge“… alles Positionen über die die Zeit hinwegging. In der Sache hatte Präsident Macron völlig recht: Man kann längerfristig nichts ausschließen, weil man nicht weiß, wie sich die Lage entwickelt. Es sei denn, man kapituliert. Dann sind die Grenzen des eigenen Handelns schnell gezogen.

Thomas Jäger © Thomas Jäger

Präsident Macron hatte auch im Stil recht, denn es gehört zur strategischen Ambiguität der Kommunikation, den Gegner nicht vollständig über die eigenen Handlungsoptionen zu informieren. Er soll Zweifel haben, auf was er sich einlässt – und am Ende besser von der Gewalt zurückschrecken.

Doch öffnete Präsident Macron zugleich zwei Fallgruben und sie nahmen ihn auch auf. Denn jeder Zweifel über die eigenen Absichten muss mit Handlungsfähigkeit versehen sein. Was nützt die beste Absicht, wenn man nicht handeln kann? Nichts. Im Gegenteil, man sieht, dass der Kaiser nackt ist. Putin ließ das einen Tag später alle sehen, als er Transnistrien um Schutz vor Moldau bitten ließ, einem der verletzlichen Staaten, denen die EU helfen sollte. Doch womit?

Und für die deutsch-französische Konkurrenz um die Führung in Europa taugt das Thema auch nicht. Zu verschieden sind Politik, Kultur und Anspruch auf diesem Gebiet. Das Wunder, das Präsident Macron in seiner Sorbonne-Rede 2017 für die strategische Kultur versprach, blieb aus. Dass Bundeskanzler Scholz sich aufschwang, sogleich den Einsatz von Bodentruppen für alle EU- und NATO-Staaten auszuschließen, ließ ihn in die Fallgrube fallen, in der Präsident Macron schon auf ihn wartete.

Niemand weiß, wie der Krieg verlaufen wird, welche Fronten noch eröffnet und welche politischen Verwerfungen den Handlungsspielraum der EU-Staaten beengen werden. Wenn die wenigen halbwegs handlungsfähigen europäischen Staaten nicht beisammenstehen, kann Putins politisches Kalkül aufgehen. Gerade weil Bodentruppen in der Ukraine derzeit kein Thema sind, sollten die Regierungen in Paris und Berlin die Lehren aus den letzten Tagen ziehen. Denn für Frankreich, Deutschland und die EU gilt, dass nur die Bindung nach innen die Freiheit nach außen gewährleistet.

Unsere Gäste

Bruno Tertrais ist stellvertretender Direktor der Fondation pour la recherche stratégique, dem führenden französischen Think-Tank für internationale Sicherheitsfragen. Er ist Jurist und Politikwissenschaftler und promovierte bei Pierre Hassner. Nach seiner Tätigkeit bei der Parlamentarischen Versammlung der NATO war er im Verteidigungsministerium und bei der RAND Corporation tätig. Er trat 2001 der FRS bei. Tertrais war zudem Mitglied der Kommissionen für das Weißbuch zur Verteidigung und nationalen Sicherheit in den Jahren 2007-2008 und 2012-2013. Er veröffentlichte kürzlich „La Guerre des mondes: Le retour de la géopolitique et le choc des empires“ (Paris, L’Observatoire, 2023).

Thomas Jäger ist seit 1999 Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Herausgeber der Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik und Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

Dialog Dialogue

1 Kommentare/Commentaires

  1. Es zeigt sich deutlich, dass beide Politiker unfähig sind, sich auf die Emotionalität und Gedankenwelt des anderen einzustellen. Nicht inhaltliche Differenzen, sondern die unterschiedlichen Persönlichkeiten sind das Problem.

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