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Welche Rolle für Deutschland und Frankreich in Europa?

Bedingt führungsfähig? Eine Stimme aus Finnland

Minna Ålander

Demonstration in Helsiniki gegen den russischen Angriff auf die Ukraine
Demonstration in Helsinki am 5. März 2022 gegen den russischen Angriff auf die Ukraine © Depositphotos

28. März 2024

In Folge 5 unserer Reihe „Bedingt führungsfähig“ gibt die Sicherheitsexpertin Minna Ålander die finnische Perspektive wieder. Sie schreibt: „Bei Deutschland fehlt es noch an Risikobereitschaft. Frankreich wiederum muss noch lernen, seine Partner besser mitzunehmen und sie nicht mehr mit unkoordinierten Aussagen vor den Kopf zu stoßen.“

Als Russland im Februar 2022 seinen bereits seit 2014 tobenden Krieg in der Ostukraine auf das ganze Land ausweitete, mussten die USA in guter transatlantischer Tradition die Führung übernehmen. Die drei großen europäischen Länder, Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich waren alle auf ihre Weise führungsunfähig: Die deutsche Bundesregierung, seit drei Monaten im Amt, war mit der Situation völlig überfordert; Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war durch die anstehenden Wahlen innenpolitisch eingeschränkt, und das Vereinigte Königreich hatte aufgrund des Brexits mit innenpolitischer Instabilität sowie ernsthaften Wirtschaftsschwierigkeiten zu kämpfen. Zwei Jahre später hat sich an der Konstellation nichts Wesentliches geändert, nur dass die USA aufgrund des innenpolitischen Wahljahr-Wahnsinns nicht mehr imstande sind, die Rolle zu spielen, die sie 2022 übernommen hatten.

Macron muss noch einiges lernen

Der französische Präsident hat die Wahlen überstanden, er verfügt aber nicht mehr über die absolute Mehrheit im Parlament. Nach einem Fehlstart in der frühen Phase des Krieges – man erinnert an der Stelle an seine Telefondiplomatie mit Putin – hat Macron eine beeindruckende Lernkurve hinterlegt. Während er noch vor zwei Jahren sagte, wir dürfen Russland nicht demütigen, bezeichnet er nun den Ausgang des Krieges als „existenziell” für Europa: nicht zuletzt, weil Russland mit seinen Cyberangriffen auf Frankreich, seinen Lügen und seinem Mangel an Respekt den Präsidenten verprellt hat. Der neue französische Kurs, Verbündete im Baltikum sowie in Mittel- und Osteuropa zu suchen, ist zu begrüßen, zumal Frankreich in der Region einiges gutzumachen hat. Jedoch fehlt es Macron weiterhin an Fingerspitzengefühl. Wer führen und überzeugen will, muss sich zunächst einmal für seine Partner interessieren. Macron hat leider viel zu lange die nordöstlichen europäischen Länder außen vor gelassen: umso steiler ist nun die Lernkurve.

Deutschland verlässt nicht die Komfortzone

Minna Aalander © Liisa Valonen

Deutschland hat seinerseits den ausgeklügelten Spagat geschafft, nach den USA zum größten militärischen Unterstützer der Ukraine zu werden (allerdings nicht gemessen an der Wirtschaftskraft), ohne dabei einen ukrainischen Sieg klar zu befürworten. Das spiegelt sich in der Qualität der gelieferten Waffen wider: Deutschland hat die ukrainische Luftverteidigung mit allem unterstützt, was es hat – und zum Teil, was die Bundeswehr noch nicht mal hat, nämlich dem IRIS-T System. Auch bei der Artillerie hat Deutschland viel getan; Panzer hat Deutschland inzwischen zudem auch geliefert, allerdings erst nachdem die russischen Truppen schwer zu brechendenden Verteidigungslinien gezogen hatten.

Langstreckenflugkörper und Kampfjets zu liefern, hieße aber, die Komfortzone zu verlassen: Das kommt nicht in Frage. Dies zeigt, dass die Angst vor einer (nuklearen) Eskalation die Entscheidungen im Kanzleramt weiterhin bestimmt. Ein Sieg Russlands wäre in diesem Zusammenhang zwar ein schwerer Schlag, aber Putin wäre nicht geneigt, auf Atomwaffen zurückzugreifen. Dabei ist Bundeskanzler Scholz, im Gegensatz zu Präsident Macron, in seiner Position konsistent geblieben. Sein Ziel: eine Eskalation hin zum Krieg zwischen Russland und der NATO zu verhindern, damit Deutschland nicht zur Kriegspartei wird. 

Die unterschiedlichen strategischen Ziele Deutschlands und Frankreichs zeigen sich inzwischen in einem offen ausgetragenen Streit, der Europas Einigkeit und der Ukraine maximal schadet. Bei Deutschland fehlt es nach wie vor an Risikobereitschaft. Frankreich wiederum muss noch lernen, seine Partner besser mitzunehmen und sie nicht mehr mit unkoordinierten Aussagen vor den Kopf zu stoßen.

Mehr Führung, aber nur mit den anderen

Zwar sind die jüngsten Versuche, das Weimarer Dreieck wiederzubeleben, zu begrüßen. Inzwischen haben aber schon kleinere europäische Länder die Führung in vielen Bereichen übernommen, wo Frankreich, Deutschland und Großbritannien nicht mehr präsent sind: Dänemark und die Niederlande stellen der Ukraine F-16 Kampfjets zur Verfügung, Estland hat in Kaja Kallas eine führende Stimme in Europa, und Tschechien hat eine Initiative zur Beschaffung von 800.000 Schuss Artilleriemunition für die Ukraine ergriffen. Bei der militärischen Unterstützung der Ukraine nach Anteil am BIP führen die baltischen und nordischen Länder.

Deutsch-französische Führung wird nicht mehr ohne Einbezug anderer europäischer Partner funktionieren. Die beiden Staaten müssen ihre Differenzen dennoch überwinden und eine gemeinsame Stimme für die Sicherheit Europas finden. Die Zeiten sind zu ernst, um Energie in Sticheleien zu verschwenden.

Die Autorin

Minna Ålander ist Research fellow am Finnish Institute of International Affairs in Helsinki und non-resident fellow am CEPA in Washington D.C. Zuvor arbeitete sie an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind deutsche und finnische Außen- und Sicherheitspolitik, NATO und Sicherheit in Nordeuropa, Verteidigungszusammenarbeit der nordischen Länder sowie arktische Sicherheit.

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