Welche Rolle für Deutschland und Frankreich in Europa?
Bedingt führungsfähig? Eine Stimme aus Malta
17. April 2024
In Folge 7 unserer Serie „Bedingt führungsfähig?“ erinnert Daniel Fiott an die Schlüsselrolle des Inselstaats Malta für Sicherheit und Stabilität in Europa. Paris und Berlin sollten dies nicht aus den Augen zu verlieren, auch wenn aus maltesischer Sicht der deutsch-französische Motor alternativlos ist.
Malta unterhält enge Beziehungen sowohl zu Deutschland als auch zu Frankreich, auch wenn sein Ansatz zur europäischen Integration eher südeuropäisch geprägt ist. Dies betrifft vor allem Themen wie irreguläre Migration, Flüchtlingspolitik, EU-Erweiterung, Stabilität im Nahen Osten, Klimawandel. Als kleinster EU-Mitgliedstaat (519.000 Einwohner) hat Malta jedoch gelernt, pragmatisch zu handeln: Es gesteht dem deutsch-französischen Tandem in vielen Politikfeldern eine Führungsrolle zu.
Krieg und Neutralität
Ungeachtet der Meinungsverschiedenheiten über die Einführung qualifizierter Mehrheiten erwartet Malta, dass Deutschland und Frankreich die Führung übernehmen: Aus maltesischer Sicht gibt es keine Alternative zum deutsch-französischen Motor. Obwohl das Land neutral ist, hat es nichts gegen Waffenlieferungen einzuwenden. Es lehnt aber eine allzu kriegerische Haltung gegenüber Russland ab, wie sie sich zuletzt in der Äußerung Emmanuel Macrons zeigte, wonach die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine nicht ausgeschlossen werden dürfe. Dies erklärt, warum sich Malta – etwa in seiner Funktion als OSZE-Vorsitz (2024) – um diplomatische Lösungen bemüht und sich immer wieder als Gastgeber für internationale Friedenskonferenzen anbietet. Jüngstes Beispiel: das internationale Ukraine-Treffen am 28. Oktober 2023, an dem 65 Staaten teilnahmen, die „Selenskyj-Formel“ diskutierten und einen Friedensgipfel zur Beendigung des Krieges vorbereiteten.
Naher Osten: auf einer Linie
Der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 führte zu einer Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Malta, Deutschland und Frankreich. Seit dem 1. Januar 2023 ist Malta zudem nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und kann so auf diplomatischer Ebene noch enger mit Paris und Berlin an einer Lösung des Konflikts zwischen beiden Seiten mitwirken.
Wie Deutschland und Frankreich hat auch Malta den Angriff vom 7. Oktober auf das Schärfste verurteilt. Es teilt die Auffassung beider Länder, dass Israel im Rahmen des Völkerrechts ein legitimes Recht auf Selbstverteidigung hat, setzt sich aber gleichzeitig für die Anerkennung des Staates Palästina ein: Gemeinsam mit Deutschland, Frankreich und anderen EU-Partnern vertritt Malta die Auffassung, dass eine Zwei-Staaten-Lösung die Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden ist. Auch hier ist die maltesische Regierung der Ansicht, dass Paris und Berlin für eine gemeinsame europäische Reaktion auf die Krise und für die Bereitstellung humanitärer Hilfe für die Palästinenser von entscheidender Bedeutung sind.
Herausforderung Mittelmeerraum
In Nordafrika und im Mittelmeerraum erwartet Malta von Paris Führung. Malta gehört zusammen mit Frankreich, Kroatien, Zypern, Griechenland, Italien, Portugal, Slowenien und Spanien der EuroMed 9″-Gruppe an. Gemeinsam mit Paris will Malta die europäische Solidarität in Fragen des Klimawandels und der Energiesicherheit stärken.
Migration ist eine Herausforderung, die kein Land allein bewältigen kann. Auch hier ist Malta auf Deutschland und Frankreich angewiesen. Gleiches gilt für die Lösung des langjährigen Konflikts in Libyen und die Stabilität in Tunesien (in enger Partnerschaft mit Italien).
Angesichts der wachsenden Sicherheitsherausforderungen, mit denen Europa an seinen Grenzen konfrontiert ist, setzt Malta vor allem auf Paris und Berlin. Als pragmatisches Land mit begrenzten Ressourcen hat es deren Führungsrolle seit langem akzeptiert. Malta ist zwar ein kleines Land mit begrenztem Handlungsspielraum, kann aber aufgrund seiner Neutralität, Erfahrung und moralischen Autorität eine wichtige Vermittlerrolle spielen. Schließlich kann Malta als Inselstaat mit besonderer Sensibilität für die Belange der Staaten an der Peripherie Europas einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der Vorhaben des Strategischen Kompasses leisten. Paris und Berlin täten gut daran, dies nicht aus den Augen zu verlieren.
Der Autor
Daniel Fiott ist Leiter des Programms „Verteidigung und Staatskunst“ am Zentrum für Sicherheit, Diplomatie und Strategie (CSDS) der Freien Universität Brüssel (VUB). Er ist Gastforscher am Real Institut Elcano in Madrid. Daniel Fiott studierte an der Universität Cambridge und promovierte an der VUB. Von 2016 bis 2022 war er Redakteur für Sicherheit und Verteidigung am EU Institute for Security Studies (EUISS) und anschließend Gastprofessor an der University of Kent.
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