Template: single.php

US-Wahlen

Im Schatten der US-Wahlen

Ein Gespräch mit Sophia Besch, James Bindenagel und Tara Varma

Copyright: Depositphotos

10. Mai 2024

Am 5. November 2024 wird ein (neuer) US-Präsident gewählt. Ist Europa für Trump gewappnet? Und was würde ein Sieg Joe Bidens für die EU, Deutschland und Frankreich bedeuten? Darüber hat dokdoc mit Sophia Besch, James Bindenagel und Tara Varma gesprochen.

dokdoc: Frau Besch, welche Rolle spielt Europa im US-Wahlkampf?

Sophia Besch: Viele hochrangige Mitglieder der Biden-Administration sind instinktiv pro-europäisch. Sie sind allerdings nicht unbedingt mit einer europäischen Agenda ins Amt gekommen. Nach dem 24. Februar 2022 haben sie aber als überzeugte Transatlantiker reagiert. Das war nicht selbstverständlich und es kann und wird nicht ewig anhalten. Schon seit dem Ausbruch des Gaza-Krieges ist Europa in Washington in den Hintergrund getreten. Die Wahlen führen außerdem dazu, dass der Fokus eher auf innenpolitische Themen gerichtet wird. Europa spielt dann nur wieder im Kontext altbekannter Fragen (z.B. wer gibt 2% für Verteidigung aus) eine Rolle.

dokdoc: Im Kontext des Krieges gegen die Ukraine hat sich immer wieder gezeigt: Olaf Scholz betreibt eine bis ins Extreme getriebene Politik der Anlehnung an die USA. Emmanuel Macron geht einen anderen Weg. Wie wird in den USA darüber gesprochen?

Copyright: Sophia Besch

Sophie Besch: In den USA ist die Wahrnehmung der französischen Herangehensweise gespalten – auf der einen Seite wird die materielle Unterstützung der Ukraine durch Frankreich häufig als ungenügend kritisiert. Auf der anderen Seite suchen viele nach europäischen Ländern, die strategisch die Führung übernehmen könnten, und Frankreich hat sich hier in den letzten Monaten klar hervorgetan. Die Sturheit der deutschen Regierung bezogen auf gewisse Waffensysteme, nicht zuletzt die Taurus-Marschflugkörper, wird mit Frustration wahrgenommen. Scholz ist so entschlossen transatlantisch, dass er sich weigert, ohne Amerikas Rückendeckung zu handeln. Und obwohl man den Schulterschluss mit Washington wertschätzt, wünschen sich viele hier mehr deutsches Engagement in Europa.

dokdoc: Wir sprechen fast ausschließlich vom Worst-Case-Szenario Trump. Worauf sollte sich Europa einstellen, sollte Joe Biden wiedergewählt werden?

Sophia Besch: In einer zweiten Biden-Administration wird es innenpolitisch viel um Implementation gehen – sei es der CHIPS Act oder der Inflation Reduction Act: Der Pitch des Präsidenten ist ja „to finish the job“. Das Best-Case-Szenario für uns Europäer wäre eine Kontinuität der US-Unterstützung für die Ukraine, vier weitere Jahre, in denen wir uns militärisch stärken und so die eigene Abhängigkeit von den USA verringern können. Es wäre allerdings ein Fehler, sich in diesem Szenario zurückzulehnen. Denn es kann auch gut sein, dass der Handlungsspielraum einer zweiten Biden-Administration stark eingeschränkt wird, wenn die Republikaner das House und vielleicht sogar den Senat gewinnen. Dann müssten die Europäer weiter um militärische Unterstützung bangen. Wir müssen letztlich unsere Souveränität nicht nur gegen Trump, sondern auch gegen den Senat absichern.

Copyright: James D. Bindenagel

James D. Bindenagel: Auch wenn Joe Biden wiedergewählt werden sollte, wird der Druck auf Europa anhalten, mehr Verantwortung für konventionelle Streitkräfte zu übernehmen. Der Aufstieg Chinas und der Ausbruch des Hamas-Israel-Krieges haben die Krise noch verschärft. Die Koalition aus Russland, China, Iran und Nordkorea verfolgt gemeinsame Interessen: Und das geht über das Ziel hinaus, Israel zu vernichten. Sie will die von den USA angeführte Weltordnung stürzen, die in den letzten 75 Jahren für Frieden gesorgt hat.

Tara Varma: Die meisten Kommentare konzentrieren sich tatsächlich auf den Schaden, den ein Sieg von Donald Trump anrichten würde und sprechen letztlich kaum darüber, wie eine Regierung Biden 2 aussehen würde. Diese beiden Szenarien würden sich natürlich ganz unterschiedlich auf die Sicherheit der Europäer auswirken. Während ein mutmaßlicher Kandidat Donald Trump sagt, er würde Wladimir Putin ermutigen, mit Staaten, die nicht 2% ihres BIP in die Verteidigung investieren, „zu machen, was er will“, hat die Biden-Administration vor und nach der Invasion in der Ukraine politische und militärische Führungsstärke bewiesen. Das verschaffte den Europäern letztlich genügend Zeit, sich zu organisieren. In einem ungewissen amerikanischen Kontext müssten die Europäer auf jeden Fall mehr tun.

dokdoc: Was können Deutschland und Frankreich unternehmen, um Biden im Wahlkampf zu „unterstützen“?

Sophia Besch: Nicht viel. Ein entscheidender Moment wird der NATO-Gipfel in Washington sein. Das öffentliche Narrativ um die Ukraine, die NATO, und die transatlantischen Beziehungen wird sich in dieser Woche herauskristallisieren und den weiteren Diskurs um Europa bis in die Wahlen dominieren. Es ist wichtig, dass die Ukraine gestärkt in den Summit geht. Wenn sich allerdings das Aufrüstungsrennen zwischen Russland und der Ukraine weiter zu Ungunsten letzterer entwickelt, dann wäre der Vorwurf der Republikaner an Biden, dass er all die Steuergelder zur Unterstützung der Ukraine umsonst ausgegeben hat. Es hilft, wenn die Europäer in ihre Verteidigungsbudgets (und damit auch in US-Rüstungsindustrien) und in die Ukraine-Hilfe investieren, so dass sich Biden nicht vorwerfen lassen muss, dass er sich von der NATO ausnutzen lässt. Die Herausforderung für Europa ist es dann, auf der einen Seite ihren eigenen Rüstungsmarkt grundlegend umzustrukturieren, aus der Logik der Kurzgfristigkeit auszubrechen und die langfristige Unterstützung der Ukraine sowie Sicherheit Europas zu priorisieren (unter anderem durch EU-Investitionen in die europäische Rüstungsindustrie), und auf der anderen Seite die USA davon zu überzeugen, dass die transatlantischen Beziehungen ein „guter Deal“ für amerikanische Firmen sind. Allerdings muss auch ganz klar gesagt werden, dass sich Donald Trump wahrscheinlich wenig von den Fakten beeindrucken lässt.

James D. Bindenagel: Deutschland, Frankreich und Polen können einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung einer Politik der „strategischen Ambiguität“ durch die Konsolidierung seiner zersplitterten Rüstungsindustrie leisten. Die Europäer haben ihre vorhandenen Waffen- und Munitionsvorräte durch die Unterstützung der Ukraine aufgebraucht. Jetzt ist es an der Zeit, dass sie bei der Beschaffung von Waffen stärker zusammenarbeiten und die Produktion konkurrierender Systeme den EU/NATO-Standards für die kooperative europäische Beschaffung von Verteidigungsgütern unterordnen. Der Wettbewerb um die Aufstockung der Arsenale mit neuen Waffen und Munitionen ist zu einem kritischen Punkt im Krieg Russlands gegen die Ukraine geworden. Selbst innerhalb der EU werden nur 18 % aller Verteidigungsausgaben der Mitgliedsstaaten gemeinsam getätigt. Historisch gesehen dauerten Umwälzungen oft Jahrzehnte, es sei denn, sie wurden durch Kriege beschleunigt. Der russische Krieg gegen die Ukraine ist eine solche Krise – eine Zeitenwende.

dokdoc: Wie schauen die USA heute auf die französische Politik?

Copyright: Tara Varma

Tara Varma: Die USA verfolgen mit Interesse die Turbulenzen in der französischen Politik. Die Demonstrationen gegen die Rentenreform im letzten Jahr und die jüngsten Proteste der Landwirte haben für Schlagzeilen gesorgt, wobei einige die Demonstrationen als Verkörperung eines angeblich typisch französischen Chaos bezeichnet haben. Die USA verfolgen die außen- und sicherheitspolitischen Bestrebungen Frankreichs auch genau, insbesondere im Hinblick auf Macrons Streben nach strategischer Autonomie. Lange war diese Idee für die USA nur auf Kosten der NATO vorstellbar, doch heute ist klar: Ein militärisch besser ausgestattetes Europa und eine stärke Verteidigungsindustrie sind in beiderseitigem Interesse. Es bleibt nun zu klären, wie diese Projekte gleichzeitig auf europäischer Ebene und im transatlantischen Format vorangetrieben werden können.

dokdoc: Nach der Veröffentlichung der Revue nationale stratégique und dem Besuch von Emmanuel Macron in Washington (November-Dezember 2022) sprachen einige von einer Angleichung der französischen und amerikanischen Politik. Ist Frankreich ein zuverlässigerer Verbündeter als Deutschland? 

Tara Varma: Frankreich und die USA teilen gemeinsame Werte und Interessen. Beide Länder sind die ältesten Verbündeten des jeweils anderen. Dennoch wehrt sich Paris gegen die Idee der „Gefolgschaft“ und beansprucht oft einen eigenen, einzigartigen Standpunkt: Emmanuel Macron hebt es in seinen Interviews mit der in- und ausländischen Presse regelmäßig hervor. Das macht die außenpolitischen Ziele Frankreichs manchmal schwer verständlich. Abgesehen davon ist Frankreich Mitglied der EU und der NATO und trägt Verantwortung in den beiden Organisationen. Paris wünscht sich für die EU eine stärkere Rolle bei der Festlegung und Umsetzung der europäischen Außenpolitik, insbesondere mit passenden Finanzierungen und der Koordinierung der europäischen Rüstungsindustrie. Für die NATO wünscht sich Frankreich den Aufbau eines europäischen, dem amerikanischen gleichwertigen Pfeilers, um so die für die kollektive Verteidigung Europas zuständigen europäischen Bündnisaktivitäten besser koordinieren zu können. Genau das steht übrigens in der im November 2022 veröffentlichten Revue Nationale Stratégique.  

Die Fragen stellte Landry Charrier

Unsere Gäste

Sophia Besch ist Fellow im Europa-Programm der Carnegie-Stiftung für Internationalen Frieden. Ihr Fachgebiet ist die europäische Verteidigungspolitik. Vor Carnegie war sie Senior Research Fellow am Centre for European Reform (CER) in London und Berlin. Sie war zudem als Sachverständige für den Verteidigungsausschuss des britischen Unterhauses, den Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments und den EU-Ausschuss des Bundestags tätig. Sie hat am King’s College London in Europastudien promoviert und an der Sciences Po Paris und der London School of Economics Abschlüsse in internationalen Beziehungen und internationaler Sicherheit erworben.

James D. Bindenagel gilt als führender Experte für transatlantische Beziehungen. Er blickt auf rund 30 Jahre Erfahrung im diplomatischen Dienst der USA zurück und war für das State Department tätig sowie für US-Konsulate und Botschaften. Von 1996 bis 1997 amtierte er als US-Botschafter in Deutschland. 2014 übernahm James D. Bindenagel die Henry-Kissinger-Stiftungsprofessur an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Nach Ende seiner Amtszeit (September 2019) führte er seine Arbeit als Senior Professor und als Senior Fellow am Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (Universität Bonn) fort.

Tara Varma ist Gastwissenschaftlerin am Center of the United States and Europe bei Brookings. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die aktuellen französischen Sicherheitsvorschläge im europäischen Rahmen sowie die laufenden Bemühungen, die europäische Souveränität in traditionellen und nicht-traditionellen Sicherheitsbereichen zu verwirklichen. Sie befasst sich zudem mit der wachsenden Verflechtung von Innen- und Außenpolitik innerhalb der EU sowie mit dem Indopazifik.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Social media & sharing icons powered by UltimatelySocial