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Zeitzeugenstimmen

Kurz bevor der Vorhang fällt

Ein Interview mit Dirk Schneemann

Francois Mitterrand empfängt Erich Honecker im Élysée-Palast (Copyright: ddrbildarchiv/Burkhard Lange)

28. Mai 2024

Staatsbesuch: Ein Wort in aller Munde. In dieser Woche blicken wir auf einen Staatsbesuch der besonderen Art zurück: Erich Honecker reiste vom 7. bis 9. Januar 1988 nach Frankreich. Es war der einzige Besuch eines DDR-Staatschefs bei einer der drei alliierten westlichen Siegermächte. Dirk Schneemann war dabei.

dokdoc: Dirk Schneemann, Sie waren von Mai 1987 bis September 1990 Mitarbeiter der DDR-Handelsvertretung in Paris. Was wussten Sie von Paris, bevor man Sie dorthin beorderte?

Dirk Schneemann: Frankreich, angefangen mit der Sprache, hat mich eigentlich schon frühzeitig sehr interessiert. Bereits in der Grundschule war für mich schnell klar, dass ich als zweite Fremdsprache – nach Russisch – Französisch lerne – und nicht wie die meisten Mitschüler Englisch. Das hatte den Nebeneffekt, dass man einer von ganz wenigen war, die Französisch sprachen, was später einige Türen öffnete. Der zweite Punkt: Ich habe mich während meines Studiums weiter für Frankreich interessiert und habe meine Diplomthesen zum Thema „Die Beziehungen Frankreichs zum RGW (COMECON) geschrieben. Die Arbeit kam offensichtlich gut an – der zuständige Hauptabteilungsleiter im DDR-Außenhandelsministerium war Diplombetreuer und setzte sich für eine Stelle in Paris ein. Es sollte bis dahin aber noch fünf Jahre dauern. Das war die Zeit, als man das Personal verjüngen wollte, deswegen war es für mich möglich, mit meinen erst 29 in eine Handelsvertretung ins Ausland zu gehen. Paris und Frankreich kannte ich wie jeder andere in der DDR lediglich aus der Literatur oder den wenigen Filmen, die man gesehen hatte. Mit der Realität hatte das allerdings wenig zu tun.

dokdoc: Welche waren Ihre Aufgaben?

Schneemann: Eigentlich klassische Auslandsarbeit, Wirtschaftskontakte herstellen und halten. Ich war meinerseits für die Wirtschaftspresse, Internationale Messen und Ausstellungen und französische Wirtschaftsorganisationen zuständig.

dokdoc: Gibt es an der Stelle eine Anekdote, die Sie mit uns teilen wollen? Etwas, das Sie besonders geprägt hat?

Schneemann: Besonders geprägt hat uns als junge Familie die Tatsache, dass wir mitten in einer Welt wohnten, mit der wir nicht einfach kommunizieren durften – schwierig mit zwei kleinen Kindern auf dem Spielplatz. Das hat dazu geführt, dass wir schon Sehnsucht nach Hause empfunden haben. In Berlin war das Leben einfacher, und organisierter als das in einer Auslandsvertretung – im sogenannten kapitalistischen Ausland – mit sehr restriktiven Regeln. Da war der alltägliche Blick auf den Eiffelturm nur ein schwacher Trost. Eine permanente Kommunikation mit der „Heimat“ gab es nicht. Wenn man Briefe schrieb, musste man schon vorsichtig sein mit dem, was man schrieb; Post hin und zurück, das dauerte schon mitunter mehrere Wochen. Man hatte nur begrenzte finanzielle Mittel, die sogenannte Valutaauslöse. Reisen im Land waren limitiert und beim Verlassen des Großraum Paris benötigte man die Genehmigung der Botschaft.

dokdoc: Und vor Ort? Wie gestaltete sich Ihre Arbeit? Wie blickten Ihre Ansprechpartner auf die DDR?

Auf den Champs Élysées (Copyright: Dirk Schneemann)

Schneemann: Man wurde überall sehr offen und freundlich empfangen. Es war die Zeit, wo die sogenannte westliche Welt Schlange stand, um Termine mit Erich Honecker oder mit anderen Vertretern der DDR zu vereinbaren (schwer vorstellbar heute). Insofern war es eine sehr offene Atmosphäre.

dokdoc: Und welche Verhältnisse unterhielten Sie zu Ihren Kollegen aus Westdeutschland? Haben sich Ihre Wege oft gekreuzt?

Schneemann: Alles, was geschäftlich notwendig war, war erlaubt. Als der verantwortliche Repräsentant der DDR beim Büro für internationale Weltausstellungen kam ich zudem mit allen Vertretern aller Botschaften zusammen. Ansonsten gab es striktes Kontaktverbot zu allen westlichen Botschaften – so war das nun mal im „Kalten Krieg“. Kontakte bestanden nur zu den sozialistischen Bruderländern, wo man sich zumindest bis Anfang 1989 noch regelmäßig getroffen und ausgetauscht hat.

dokdoc: Premierminister Laurent Fabius begab sich im Juni 1985 in die DDR, mit dem Wunsch, die beiderseitigen Beziehungen weiterzuentwickeln. Bei dieser Gelegenheit übermittelte er Erich Honecker eine Einladung zu einem offiziellen Besuch in Frankreich. Warum dauerte es bis zum 7. Januar 1988, bis der Besuch realisiert werden konnte?

Schneemann: Es gab zwei wesentliche Fakten, weshalb das so lange gedauert hat. Zum einen, ich sagte es vorhin: Ab 1986 gab es eine ganze Reihe von Anfragen für Staatsbesuche, u.a. in Belgien, in den Niederlanden, in Skandinavien und so weiter, und zum anderen, ein wenig bekannter Grund: Der Besuch in Frankreich war zwar angekündigt, aber Francois Mitterrand bestand darauf, dass Erich Honecker zuerst in Bonn von Helmut Kohl empfangen wurde. Und deshalb gab es relativ kurzfristig den Termin Anfang September 1987 in Bonn und nur vier Monate später, Anfang Januar, den Besuch in Paris.

dokdoc: In welcher Atmosphäre fand der Besuch statt? Welchen Eindruck machte Honecker auf Sie?

Schneemann: Wir, in der Handelsabteilung, haben Honecker nur zweimal gesehen, beim Empfang von Jacques Chirac, dem damaligen Bürgermeister von Paris, und bei einem Empfang der Schule und des Kindergartens der DDR am Eiffelturm.

Honecker mit Jacques Chirac im Rathaus (Copyright: Actualités diplomatiques/MEAE)

Die Vorbereitungen fanden in einer sehr offenen und konstruktiven Atmosphäre statt, weil um den Staatsbesuch herum auch bedeutende Wirtschaftsverträge abgeschlossen werden sollten. Und wenn man dann die Champs-Élysées hochfährt, und die Bäume sind rechts und links alle mit DDR-Fahnen drapiert, dann hat das für uns Gänsehaut-Feeling verursacht. Es war wohl das einzige Mal, dass ein Ostblockland seine Fahnen auf den Champs drapieren durfte.

dokdoc: Und was folgte daraus? Bis zur Wende waren es nur noch ein paar Monate.

Schneemann: Schon im zweiten Halbjahr ’88 und dann im Frühjahr ’89 waren die Veränderungen in der DDR auch im Ausland deutlich spürbar. Wir sahen es u.a. an den Handelsbilanzen – die außenwirtschaftlichen Verpflichtungen, die die DDR eingegangen war, stießen zunehmend an Grenzen. Ab Mitte 1989 gingen dann immer mehr Länder aus dem Ostblock zu uns auf Distanz, Sowjetunion, Bulgarien, Rumänien und ganz besonders Kuba.

dokdoc: Wie gestaltete sich Ihre Arbeit vom Mauerfall bis hin zur Wiedervereinigung?

Schneemann: In dieser Zeit waren schon viele Mitarbeiter der Auslandsvertretung in die DDR zurückgegangen. Die wenigen, die noch da waren, wurden mehr oder weniger durch das Land geführt, wie eine „aussterbende Spezies“, die man schnell noch mal sehen wollte. Auch wir sind von Podium zu Podium geeilt. Es herrschte aber auch eine skurrile Goldgräberstimmung. Man hoffte, mit den Regierungsvertretern Schnäppchen-Verträge zu machen. Und – auch das war eigenartig – jeder Minister hatte offensichtlich den Drang verspürt, er müsse jetzt noch, bevor der Vorhang fällt, mindestens in Paris, London, Madrid, Rom gewesen sein. Unsere französischen Gesprächspartner konnten mit solchen Terminen immer sehr wenig anfangen – und es blieb bei höflichem Smalltalk.

Einladung zum Empfang im Rathaus von Paris (Copyright: Dirk Schneemann)

Vielleicht noch zwei weitere Anekdoten. Es gab einen sehr prominenten Scheich, der seine Residenz in Paris hatte und mit der Idee spielte, 100 Kilometer Autobahn in der DDR zu kaufen, um dort seine Kinder mit den Rennwagen fahren zu lassen, die zu Hause im Wüstenstaat nicht zum Einsatz kamen. Andere wollten historische Gebäude kaufen in ostdeutschen Großstädten, um Luxushotels daraus zu machen. Aus all dem ist (zum Glück) nichts geworden.

dokdoc: Und die letzte Anekdote?

Schneemann: Ich war, wie bereits erwähnt, verantwortlich für die Weltausstellungen seitens der DDR. Es gab im Frühjahr 1990 die Endabstimmung zur Weltausstellung 2000 und in der letzten Runde waren nur noch Toronto und Hannover als Kandidaten übrig. Hannover gewann mit genau einer Stimme: Nur deshalb, weil Deutschland zwei hatte. Die eine war von mir und die andere vom westdeutschen Botschafter, Franz Pfeffer. Sowohl der damalige Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg als auch die niedersächsische Wirtschafts- und Finanzministerin, Birgit Breuel, sagten dann: Ja, da ist es doch gut, dass es noch zwei Deutsche Staaten gibt, aber das war ein Halbsatz, der nie wiederholt wurde.

Unser Gast

Dirk Schneemann (Copyright: Dirk Schneemann)

Dirk Schneemann ist Präsident des Deutsch-Französischen Wirtschaftskreises Berlin und Initiator der „Frankreich-Initiative Ostdeutschland“. In Jena geboren und in Berlin studiert, verfügt über eine mehr als 35-jährige Erfahrung in den deutsch-französischen Beziehungen – angefangen von der Handelsvertretung der DDR in Paris, Managementstationen in Frankreich und Deutschland bis hin zu verschiedenen Beratertätigkeiten des von ihm 2013 gegründeten Unternehmens euraccess GmbH.

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