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Antiisraelische Proteste

„Da gibt es absolut keinen Platz mehr für andere Sichtweisen“

Ein Gespräch mit Klaus Kinzler

Sciences Po Paris am 26. April 2024 (Copyright: Imago)

6. Juni 2024

Klaus Kinzler lehrte fast ein Vierteljahrhundert an Sciences Po Grenoble deutsche Sprache und Kultur. Vor drei Jahren löste eine Kontroverse um ihn eine Debatte über Cancel Culture in der Wissenschaft aus. Er protestierte gegen die Verwendung des Begriffes „Islamophobie“ in einem Atemzug mit Antisemitismus und Rassismus und wurde zur Zielscheibe vornehmlich extrem linker Studierender. Mit ihm haben wir über die derzeitigen antiisraelischen Proteste an französischen Hochschulen gesprochen.

Andreas Noll: Seit einigen Wochen gibt es an französischen Hochschulen antiisraelische und auch antisemitische Proteste. Die meisten Institute von Sciences Po waren zwischenzeitig betroffen, aber auch Universitäten in Lyon, Straßburg oder die Sorbonne. Haben Sie diese Proteste überrascht?

Klaus Kinzler: Was mich gewundert hat, ist, dass die Studenten in Paris so spät reagiert haben. In den USA ist das schneller passiert. Das ist sehr überraschend, denn alles, was mit Islamophobie zu tun hat, ist seit Jahren hochexplosiv.

Noll: Ende April haben Studenten an der Sorbonne ein Solidaritätscamp für Gaza errichtet. Wenig später folgte Sciences Po Paris. Ist das ein Import aus den USA wie so vieles in kulturellen Fragen oder erkennen Sie da auch eine eigene europäische Dimension?

Kinzler: Dass es eine ausgeprägte Israelfeindlichkeit an französischen Universitäten gibt, ist nichts Neues. Der Gaza-Konflikt spielte im Grunde genommen nur die Rolle eines Katalysators, der der extremen Linken in die Hände spielte. Diese extreme Linke ist antikapitalistisch, postkolonial; sie hat vieles aus der Woke-Bewegung aus Amerika aufgesogen und bekämpft alles, was unsere westliche Demokratie darstellt.

Noll: Und wer sind die Antreiber der Proteste, die wir gerade in Sciences Po erleben?

Kinzler: Eine Organisation, die in Berkeley ihren Sitz hat, Students for Justice in Palestine. Die ist in Amerika an 350 Unis präsent. Und sie hat auch einen Verein in Sciences Po gegründet, gleich zehn Tage nach dem Massenmord in Israel. Erstaunlicherweise hat Sciences Po Paris diesen Verein genehmigt, obwohl es von Anfang an klar war, dass er die Gewalt der Hamas verherrlicht. Und dann hat sich relativ schnell La France insoumise eingeschaltet. 

Noll: Und natürlich Jean-Luc Mélenchon.

Kinzler: Der kam dann später persönlich vorbei, aber andere Mitglieder von LFI hatten sich schon vorher den Protesten angeschlossen. Inzwischen ist der ganze Europawahlkampf von LFI auf die Verteidigung der Palästinenser und die Kritik an Israel ausgerichtet.

Jean-Luc Mélenchon auf einer Großkundgebung in Paris, 2. Dezember 2023 (Copyright: Imago)

Noll: Wie groß ist der Druck auf die Universitätsleitung in Sciences Po? Eine der Hauptforderungen des Vereins Students for Justice in Palestine ist ja, dass Sciences Po die Zusammenarbeit mit israelischen Hochschulen beendet. 

Kinzler: Ich glaube nicht, dass es denkbar ist, und zwar auch deshalb, weil Sciences Po das Geld ausländischer Studenten braucht. Es gab außerdem eine sehr starke Intervention von Präsident Macron, der gefordert hat, dass Sciences Po Paris sofort geräumt wird. Es ist lustig, denn unser Institut in Grenoble wird seit 15 Jahren immer wieder blockiert, mit wechselnden Themen. Niemand ist bisher auf die Idee gekommen, die Polizei kommen zu lassen. Aufgrund der Autonomie der Universitäten in Frankreich kann nur ein Universitätspräsident die Polizei anrufen – und unser Präsident in Grenoble hat immer gesagt: „Nein, da gäbe es zu viel Skandal! Polizei auf der Hochschule, das geht nicht! Das ist ein absolutes Tabu.“ Sciences Po Paris ist jedoch eine international bekannte Institution, wo quasi jeder bekannte Politiker studiert hat, – und siehe: Die Polizisten sind sofort da.

Noll: Nun gibt es von jüdischen Studenten die Klage, dass sie seit dem 7. Oktober ausgegrenzt würden. Ist das aus Ihrer Sicht ein tiefsitzender Antisemitismus, der sich hier Bahn bricht?

Kinzler: Dafür gab es, soviel ich weiß, nur ein einziges konkretes Beispiel. Doch dass Studenten jüdischen Glaubens sich nun weniger sicher fühlen, auch in Paris, das ist für meine Begriffe absolut verständlich. Für sie ist das eine sehr kritische Phase. Der Antisemitismus war aber schon immer da.

Noll: Der Philosoph Alain Finkielkraut schreibt, dass Antisemitismus an den Hochschulen in Frankreich das Resultat eines als Antirassismus verstandenen Israelhasses sei. Ist das aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?

Kinzler: Finkielkraut schätze ich sehr, aber ich finde, in diesem Kontext schießt er manchmal ein bisschen über das Ziel hinaus. Was sicher ist, ist, dass wir an Frankreichs Universitäten, aber auch anderswo in der Welt, eine Art Begriffsverwirrung haben. Meine Geschichte an Sciences Po Grenoble zeigt, dass man gerne Antisemitismus, Rassismus und Islamophobie in einen Topf wirft. Der Begriff Islamophobie ist eine Art Kampfbegriff von Linksextremen geworden, die sich mit islamistischen Bewegungen verbandelt haben. Für die ist der Begriff ein perfektes Werkzeug, um jegliche Kritik am Islam zu unterbinden. Diese Unterbindung funktioniert sehr gut in Frankreich, vielleicht besser als anderswo. Sicherlich auch weil wir viel mehr Muslime, viel mehr Linksextreme und viel mehr Islamisten als anderswo haben. Die traditionelle Opferrolle wird auf einmal umgekehrt. Früher waren die Juden diejenigen, die millionenfach ermordet wurden, und jetzt ist auf einmal Israel das genozidäre Land. Die Muslime sind nun die Juden von gestern. Aber in Frankreich werden keine Muslime ermordet, hier werden Juden ermordet, oder Lehrer und Journalisten, und zwar von Islamisten.

Noll: Wenn Sie von Ihrer eigenen Geschichte sprechen, muss man daran erinnern, dass Sie vor drei Jahren von Studentenvertretern als islamophob tituliert wurden, weil Sie bei einem Hochschulprojekt den Begriff der Islamophobie in Frage gestellt hatten. Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?

Kinzler: Was ich erlebt habe, ist noch relativ harmlos gewesen. Die Situation hat sich seitdem deutlich verschlimmert.

Klaus Kinzler (Copyright: Klaus Kinzler)

Noll: Woran machen Sie das fest?

Kinzler: Ich habe weiterhin Kontakt zu Kollegen, die dort arbeiten, und die erzählen mir: Früher hat man Leute zu den verschiedensten Themen eingeladen, auch Leute, die nicht unbedingt linksextrem waren und eine andere Meinung vertraten. Heute werden nur noch militante Vertreter von militanten Gruppen eingeladen. Wenn Sie bei uns durch die Gänge gehen und die Plakate anschauen von den angekündigten Veranstaltungen, das ist ausschließlich antikolonial, antikapitalistisch, radikal feministisch und alles, was Sie überhaupt nur wollen. Da gibt es keinen Platz mehr für andere Sichtweisen.

Noll: Wenn ich das jetzt mal so zusammenfasse: Der Aktivismus in der Wissenschaft, in der Bildung hat massiv zugenommen, mit welchen Folgen? Was bedeutet das für die Qualität auch der Wissenschaft und der Bildung an den Hochschulen?

Kinzler: Die Forschung kann nur darunter leiden, aber auch für die Studenten ist diese Situation höchst bedenklich, weil sie ja ihren Lehrern ausgesetzt sind. Ein Beispiel ist unser wahrscheinlich zukünftiger Direktor. Der ist jung, hat Charisma und ist wahnsinnig beliebt bei den Studenten. Und als vor zwei Jahren unser Institut wegen der Rentenreform blockiert war, sagte er in der Öffentlichkeit: „Das Blockieren unseres Instituts ist zwar illegal, aber notwendig, weil die Regierung Macron keine Legitimität besitzt, die Rentenreform durchzuführen.“ Was wollen Sie da sagen? Er kann kein Forscher sein, und eigentlich dürfte er auch kein Lehrer sein. Das ist jemand, der vom Staat bezahlt ist und versucht, die Leute zu indoktrinieren, aufzuhetzen.

Noll: Glauben Sie, dass die Proteste, von denen wir am Anfang sprachen, ihren Höhepunkt erreicht haben oder erwarten Sie, dass sie noch weiter anhalten?

Kinzler: Frankreich ist bankrott. Deswegen hat ja auch Macron in seiner Sorbonne-Rede die Werbetrommel nochmal kräftig gerührt. Der braucht nun dringend europäisches Geld, weil er selber keins mehr hat. In Frankreich gab es schon einen nationalen Herzinfarkt, als man daran ging, das hoch defizitäre Rentensystem ein klein wenig zu reformieren. Und jetzt heißt es: Frankreich muss in den nächsten Jahren deutlich weniger Geld ausgeben. Es ist nicht auszuschließen, dass es dann zu Gewaltausbrüchen kommt, und genau das bereitet mir große Sorgen.

Bei diesem Interview handelt es sich um eine gekürzte Fassung des Franko-viel-Podcastes Folge 63 – Umkämpfter Campus – Die Anti-Israel-Proteste und die extreme Linke – Franko-viel – Der Frankreich-Podcast (podigee.io) vom 16. Mai 2024.

Der Autor

Klaus Kinzler war nach dem Abitur zunächst Offizier bei der Bundeswehr. Danach hat er 35 Jahre lang an französischen Universitäten deutsche Sprache und Kultur unterrichtet. Seit Oktober 2023 ist er im Ruhestand. Seitdem kümmert es sich um seinen Blog (siehe unten) und veröffentlicht Gastkommentare in Zeitungen wie Le Point und Atlantico.

Mehr zum Thema

EUROPE IN TROUBLE. The world through the lens of a concerned liberal, https://kinzler.org/

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