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Nachtzüge

Zurück in Europa

Adrienne Rey

Das Nightjet-Streckennetz gibt es seit 2015. © ÖBB, Harald Eisenberger

3. Oktober 2022

Nachdem sie Mitte der 1990er-Jahre mit dem Aufkommen der Billigflüge in Vergessenheit geraten waren, kehren die Nachtzüge in Europa zurück. Neue Verbindungen, neue Wagen: Die Eisenbahnunternehmen ziehen alle Register, um Reisende anzulocken.

Als Vorreiter dieser Renaissance haben die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) Ende 2016 ihre Nachtzugmarke Nightjet eingeführt, indem sie rund 40 Wagen von der Deutschen Bahn kauften ­– die den Betrieb ihrer City Night Line 2015 mangels Rentabilität eingestellt hatte. 2018 machten die Nightjets zwischen 15 und 20 % des Umsatzes der ÖBB aus, mit nicht weniger als 1,4 Millionen Fahrgästen pro Jahr.

Reise ans Ende der Nacht

Heute bieten die österreichischen Nachtreisezüge zahlreiche Verbindungen nach Deutschland, Italien, Belgien, in die Schweiz oder in die Niederlande an. Seit Dezember 2021 ist im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen der ÖBB, der Deutschen Bahn, den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) und der SNCF auch Frankreich auf der Liste der Reiseziele. Die 2020 begonnene Initiative sieht die Einführung einer Verbindung zwischen Paris und Berlin Ende 2023 sowie Zürich und Barcelona 2024 vor. In Zukunft soll das neue Nachtzugnetz nicht weniger als 13 europäische Großstädte miteinander verbinden.

Das Interieur der ab 2023 bereitgestellten neuen Abteile, © ÖBB

Parallel zu diesen neuen Reiseangeboten werden die Nachtzüge modernisiert, um mehr Komfort zu bieten. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn hat die ÖBB im Juli 2022 ihre 22 neuen Reisewagen vorgestellt: Sie sind geräumiger, verfügen über WiFi, Steckdosen zum Aufladen des Telefons und dimmbare Lampen und erlauben es, Fahrräder und Kinderwagen unterzubringen. Auch für Personen mit eingeschränkter Mobilität ist der Zugang erleichtert. Die neuen Abteile werden in den Nightjets in der Komfortklasse verfügbar sein und „sollen die Zahl der Reisenden bis 2026 verdoppeln“, so Sabine Stock, Vorsitzende des ÖBB-Fachbereichs Personenverkehr.

Auf dem Weg zu einem Europa der Schiene

Im Jahr 2021 feierte die Europäische Union das „Jahr der Eisenbahn“, eine Initiative zur Förderung des Schienenverkehrs und der Entwicklung einer grünen und nachhaltigen Mobilität im Rahmen des im Green Compact festgelegten Ziels der Klimaneutralität bis 2050. Der Eisenbahnsektor ist für weniger als 0,5 % der verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen verantwortlich, hat aber mit nur 7 % der Reisenden noch Schwierigkeiten, die Massen anzuziehen.

Karima Delli, die Vorsitzende des Ausschusses für Verkehr und Tourismus im Europäischen Parlament (TRAN), setzt sich seit langem für die Rückkehr der Nachtzüge ein und hofft, dass sich etwas ändern wird. Die grüne Europaabgeordnete, die eine Petition zur Wiederbelebung der Zugverbindung Paris-Brüssel-Berlin mit über 12.000 Unterschriften initiiert hat, freut sich, an der „Schaffung des ersten europäischen Nachtzugnetzes, einer der umweltfreundlichsten Lösungen für internationale Reisen“ teilzunehmen, wie sie Slate.fr anvertraute.

Diese Meinung teilt auch Matthias Gastel, eisenbahnpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, der der Meinung ist, dass „Deutschland einen geografischen Vorteil hat, um (im Schienenverkehr) eine führende Rolle zu spielen“. Darüber hinaus fordert der Abgeordnete die Schaffung eines echten Netzwerks europäischer Anbieter.

Die alten Schlafwagen sollen nach und nach ersetzt werden. © ÖBB, Harald Eisenberger

Zugfahren ist immer noch zu teuer

Es bleibt abzuwarten, ob die Rückkehr der Nachtzüge Reisende vermehrt überzeugen wird. Viele in Europa, die ihren CO2-Fußabdruck reduzieren wollen, entscheiden sich bereits für die Bahn: 2021 werden 25 Millionen Franzosen ihren Urlaub mit der Bahn verbringen. Laut einer YouGov-Studie, die im selben Jahr in mehreren Ländern (Deutschland, Polen, Frankreich, Spanien und den Niederlanden) durchgeführt wurde, ist eine große Mehrheit der Befragten (69 %) bereit, das Erlebnis Nachtzug auszuprobieren. Allerdings sind 73 % der Befragten der Meinung, dass die Bahn günstiger sein sollte als der Luftverkehr, was noch lange nicht der Fall ist.

Hier liegt vielleicht das Hauptproblem. Angesichts der konkurrenzfähigen Preise der Airlines, der vergleichsweise niedrigen Mautgebühren und der fehlenden Harmonisierung des Schienenverkehrs auf europäischer Ebene hat das Angebot der Bahn noch Mühe, wettbewerbsfähig zu sein. „Es ist also nicht der Zug, der zu teuer ist, sondern das Flugzeug, das nicht teuer genug ist“, meinte der Vorstandsvorsitzende der SNCF, Jean-Pierre Farandou, im Dezember 2021. Er beklagte das Fehlen einer Kerosinsteuer und forderte „eine Ausweitung der Versteuerung fossiler Brennstoffe auf die gesamte Transporttätigkeit“. Diese Aussage sorgte für Polemik, lange bevor der Krieg in der Ukraine die Preise für Energie in die Höhe trieb.

Übersetzung: Jörg-Manfred Unger

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