Paris entdecken
An außergewöhnlichen Orten
6. Mai 2022
Frankreichs Metropole hat weit mehr zu bieten als den Louvre, den Eiffelturm und das Centre Pompidou. Zum Beispiel die größte Bibliothek und Moschee des Landes, Katakomben, versteckte Parfümerien und Streetart am Canal de l‘Ourcq.
Die Très Grande Bibliothèque (TGB)
Einen kleinen Wald hätte man hier nicht erwartet. Üppig wuchert er inmitten der größten Bibliothek von Paris, deren Architektur an vier aufgeschlagene Bücher erinnert. Das Publikum sieht ihn durch die Glasfenster, fast so, wie man früher in einem Kloster auf den Garten als meditativen Ruhepol blicken konnte. Und wie bei einem Kloster mit vier Eckpfeilern verfügt auch die Bibliothèque nationale de France (BnF) in Paris am Standort Site François Mitterrand über vier hohe Türme.
Benannt wurde sie nach dem damaligen Präsidenten François Mitterrand (1916–1996), der ihren Bau bis zur Einweihung 1995 vorangetrieben hat. Die Bibliothèque François Mitterrand beherbergt 20 Millionen Bücher in Regalen mit einer Gesamtlänge von 400 Kilometern. Und eben den dschungelhaften Wald auf einer Fläche von gut einem Hektar.
„Die Natur“, sagt Marie, Spezialistin für die drei Pariser Standorte der französischen Nationalbibliothek, „kann sich hier entfalten, ohne dass Menschenfüße in ihr herumtrampeln, denn Zugang haben nur die Gärtner.“ Beim Rundgang erklärt sie die Architektur der wuchtigen Gebäude aus Metall, Beton und Glas. Marie öffnet schwere Türen, die sonst verschlossen bleiben, und zeigt die ausgeklügelte Schienentechnik an den Decken, mit der die Bücher transportiert werden. Es rattert und scheppert hinter den Kulissen der Bibliothek, in deren Lesesälen es ganz still ist.
Der Höhepunkt des Rundgangs kommt am Schluss, als es in die 22. und letzte Etage eines der vier Türme in 80 Meter Höhe geht. Von hier aus eröffnet sich ein sagenhafter Ausblick auf Paris. Und wenn man fast senkrecht nach unten blickt, erspäht man auch den Wald, der wie ein grünes Juwel inmitten der Büchertürme liegt.
Bibliothek François Mitterrand
Quai François Mauriac, Metro 14 oder RER C, Führungen dienstags bis sonntags um 15 Uhr auf Französisch, Touren in englischer und deutscher Sprache müssen vorab reserviert werden, online über visites@bnf.fr oder telefonisch +33 153 79 49 49, Tarif: 3 Euro.
Die Grande Mosquée de Paris
Es sind nur ein paar Treppenstufen, die Paris vom Orient trennen. Schlenderte man gerade noch durch das belebte Studentenviertel Quartier Latin und die quirlige rue Mouffetard, so steht man jetzt in einem türkis gehaltenen, mit weißen und dunkelblauen Kacheln verzierten Innenhof, der von Säulen umgeben und mit üppigen Pflanzen bewachsen ist: Oleander, Pinien, Palmen. Vom Brunnen dringt ein beruhigendes Plätschern her.
Die Große Moschee von Paris ist das prächtigste muslimische Bauwerk der Stadt. 1926 war sie zum Dank Frankreichs an die Muslime errichtet worden, die in den kolonialen Hilfstruppen im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten. Vom Patio aus, dessen Wände mit prächtigen Mosaiken verziert sind, geht es in die Bibliothek mit ihrem knarzenden Boden und der hohen Decke, wo schwere, mit goldener Schrift verzierte Bücher in den Regalen stehen. Es gibt einen offenen Gebetsraum; die Gebetszeiten sind umfangreich.
So viel Ruhe in dem einen Teil des Gebäudes herrscht, so quirlig geht es in dem anderen zu. Die beiden Terrassen sind voll von kleinen Tischen, um die Menschen sitzen, reden, lachen. Kellner schlängeln sich gekonnt zwischen ihnen hindurch und balancieren auf ihren Tabletten Gläser mit dampfendem Minztee, dessen süßliches Aroma sich in der Luft verbreitet. Eine junge Frau trägt eine Platte mit orientalischem Gebäck aus Pistazien, Nüssen und Honig. Berge davon locken in einer Auslage am Eingang – für alle, die sich ein köstliches Souvenir von dieser exotischen Oase mitnehmen wollen. Zur Moschee gehört auch ein Hammam mit angeschlossenem Restaurant.
Große Moschee von Paris
2 bis place du Puits de lʼErmite, Metro 7, place Monge, samstags bis donnerstags von 9 bis 12 Uhr und von 14 bis 18 Uhr (außer an muslimischen Feiertagen), Tarif: 3 Euro.
Die Catacombes de Paris
„Bleib stehen! Hier ist das Reich des Todes.“ Die Aufschrift an einer Steinmauer gebietet Einhalt. Aber kneifen gilt jetzt nicht mehr da, wo man bereits 130 Treppenstufen hinabgestiegen ist, 20 Meter in die Tiefe. Also rein in das „Reich des Todes“, wie sich die Katakomben von Paris hier nennen.
Knapp zwei Kilometer ist das öffentlich zugängliche Areal lang. Eigentlich handelt es sich um ein rund 300 Kilometer langes System aus labyrinthisch verschlungenen Gängen und finsteren Räumen, in denen illegal hinabgestiegene „Kataphile“ Partys feiern.
Dabei ist der offizielle Teil gruselig genug. Die Luft ist kühl und abgestanden und das Licht schummerig. Weit entfernt ist hier der Trubel der französischen Metropole. In den Pariser Katakomben lagern die Gebeine von sechs bis sieben Millionen Menschen – Knochen und Schädel zumindest an den Gängen ordentlich gestapelt und aufgereiht. Religiöse Inschriften erinnern an die Vergänglichkeit des Lebens. Algen und Schimmelpilze ziehen sich über die schmierigen Wände.
Der Ursprung der Katakomben fällt mit dem von Paris zusammen: Zum Bau der Stadt wurde Kalkstein aus der Tiefe hervorgeholt, zunächst in offenen Steinbrüchen; ab dem 13. Jahrhundert erfolgte der Abbau nur noch unter Tage. Die fortschreitende Unterhöhlung führte jedoch immer wieder zu tödlichen Unfällen. Da zugleich die überfüllten Friedhöfe der Stadt zu einem Hygiene-Problem wurden, wurden sie geschlossen; bis Mitte des 19. Jahrhunderts verlegte man Millionen Skelette unter die Erde, wo sie immer noch liegen. Damit das so bleibt, müssen am Ausgang alle Taschen geöffnet werden …
Katakomben von Paris
1 avenue du Colonel Henri Rol-Tanguy, Metro 4/6 Denfert-Rochereau, RER B Denfert-Rochereau, dienstags bis sonntags von 9.45 bis 20.30 Uhr, Führungen sollten rund acht Wochen im Voraus gebucht werden; Gruppen müssen reservieren; Tarif: 29 Euro (mit Audioguide), 5 Euro für 5- bis 17-Jährige.
Rendez-vous Parfum
„Es ist nicht leicht, Worte für Gerüche zu finden“, sagt Sophie. Und das bestätigt ihre olfaktorische Tour zu mehreren kleinen Parfümerien im Marais-Viertel – kreative Nischen fernab der großen Marken: bei Parle moi de Parfum (10 rue de Sévigné), Editions de Parfums Frédéric Malle (13 rue des Francs Bourgeois) und im Szeneladen État Libre dʼOrange (69 rue des Archives). Schräge Düfte gibt es hier: „Like this“ riecht nach Karotte und Ingwer, und wer sich „Putain des Palaces“ („Palast-Schlampe“) aufs Handgelenk sprüht, riecht wie ein pudriges Schminktäschchen.
Wer bis dahin immer glaubte, einen ganz guten Geruchssinn zu haben, kann jetzt vor Ort den ultimativen Test machen: Gelingt es, bestimmte Duftnoten zu identifizieren? Mit wissendem Lächeln stellt Sophie Glasbehälter auf den Tisch, deren Inhalt es zu erschnuppern gilt. Außerdem reiht sie Duft-Teststreifen nebeneinander auf, die sie in verschiedene Essenzen getunkt hat.
Sophie Irles hat lange in der Parfüm-Branche gearbeitet und sich danach mit ihren Parfümtouren, denen eine Einführung in einem Café vorangeht, selbstständig gemacht. Die zartrosa schimmernden Steinchen im ersten Behälter weiß schon das Auge nicht einzuordnen – die Nase erst recht nicht! Sophie klärt auf: Es handelt sich um Weihrauch-Harzperlen. Schon die alten Ägypter benutzten getrockneten Harz, um ihr Gebet mit duftendem Rauch hinauf zu den Göttern zu schicken – vom lateinischen Ausdruck „per fumum“, „durch Rauch“, kommt denn auch das Wort Parfüm. Eine Duftpyramide besteht aus einer Kopf-, Herz- und Basisnote, die sich unterschiedlich schnell verflüchtigen.
Rendez-vous Parfum
Hôtel de Jobo, 10 rue dʼOrmesson, Metro 1 Saint-Paul, Tarif: 45 Euro; es gibt auch eine Tour mit größerer Gruppe in einem anderen Stadtviertel, die kürzer (1,5 Stunden) und günstiger (17 Euro) ist, und in der es um die Geschichte des Parfüms in Frankreich geht.
Filmtipp: Das Parfum
Am Ufer der Streetart Avenue
Auf geht es zu einer Tour aus der Stadt hinaus Richtung Norden auf dem Canal de lʼOurcq. Was bis vor nicht allzu langer Zeit noch als gefährliche „Bronx von Paris“ verschrien war, ist heute ein hipper Ort, an dem sich viele junge Leute, Künstlerinnen und Künstler niederlassen.
Deren Spuren sind deutlich erkennbar, unter anderem in Form von Straßenkunst, die man hier findet, wo immer sie sich anbietet: an Brücken und Booten, auf Mauern und alten Fabriken. Entlang der „Street Art Avenue“ ziehen sich über eine Strecke von neun Kilometern Graffiti- und Straßenkunstwerke unterschiedlichster Stile. Nicolas, unser Tourführer und selbst Künstler will sie uns heute zeigen. Natürlich lässt sich der Weg auch statt auf dem Wasser auf der Straße zurücklegen, zu Fuß oder mit dem Rad.
Gleich zu Beginn unserer Fahrt prangt an der Mauer neben einer Brücke das Abbild einer stolzen Frau – langer Hals, dunkle Haut, feuerrotes Kleid; es geht direkt über in ein schwarz-weißes Frauenporträt und dann wiederum in das futuristisch anmutende Bild eines grünen Monsters in der Brückenunterführung. Alle paar Minuten geht es an einem neuen Werk vorbei, das durch seine Qualität oder seine schiere Größe überrascht; von der Fassade eines weißen Betonklotzes blickt plötzlich ein bekanntes Gesicht – das der Schauspielerin Marion Cotillard, im Format 20 mal 15 Meter verblüffend echt abgebildet von der US-amerikanischen Künstlerin BK Foxx. Eine Hommage an den „französischen Glamour“ sagt Nicolas – ausgerechnet an einem Ort, der denkbar wenig Glamour ausstrahlt. Andererseits hat gerade der Kontrast zwischen den sterilen grauen Bauten und den Farbexplosionen der Straßenkünstler seinen eigenen Reiz.
So wie bei dem riesigen Bild einer japanischen Geisha in goldenem Gewand, das nun unversehens auftaucht und sich über eine komplette Häuserwand erstreckt. Fin Dac nennt sich der Urheber des Werks. Nicolas erklärt alles erst auf Französisch, dann wiederholt er es auf Englisch.
Über die Kunst gilt es hier eine Gegend zu entdecken, die nur ein paar Kilometer von Paris entfernt ist und die zugleich wirkt wie eine andere Welt! Die stolzen, historischen Pariser Bauten erscheinen in den Vororten wie diesem, den banlieues, weit entfernt. Durch die Stadtteile Pantin und bis zum dahinter gelegenen Bobigny fahren wir, bevor das Boot wendet und zurück zum Ausgangspunkt fährt – nach einem Museumsbesuch unter freiem Himmel.
Seine-Saint-Denis Tourisme
Bassin de la Villette, Metro 2/5/7B Jaurès, Führungen auf dem Boot samstags im Sommer um 14.30 Uhr, im Juli und August mit einem Shuttle-Boot (Abfahrt alle 40 Minuten) oder jederzeit zu Fuß auf eigene Faust; Dauer: Ungefähr 2 Stunden; Tarif: 12 Euro (Bootstour), Shuttle-Boot 1 Euro (samstags) oder 2 Euro (sonntags). Der Tourführer spricht Französisch, gibt aber auf Wunsch auch Erklärungen und beantwortet Fragen auf Englisch.
Buchempfehlung:
Birgit Holzer, Paris – Stadtabenteuer. Michael Müller Verlag, Erlangen, 2022