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La Petite Ceinture de Paris

Von der Ringbahn zum Park

Martin Vogler

Die Trasse der ehemaligen Pariser Ringbahn nahe der Porte Dorée, © Martin Vogler

6. August 2022

Die ungewöhnlichste Pariser Grünanlage ist im Prinzip 32 Kilometer lang, oft nur fünf Meter breit und den meisten unbekannt. Doch die jahrzehntelang vergessene und verwilderte Trasse der Ringeisenbahn Petite Ceinture ist ein Geheimtipp für Entspannungssuchende und Abenteurer.

Ein Besuch der Petite Ceinture ist das Gegenteil des Top-Touristenziels Eiffelturm. Er verlangt Abenteuerlust und Entdeckergeist. Immerhin können mittlerweile weite Strecken legal betreten werden, andere Passagen erfordern Courage, um illegal Zäune zu überwinden oder dunkle Tunnel zu erkunden. Doch die Zahl der öffentlich zugänglichen und immerhin gelegentlich ausgeschilderten Streckenabschnitte wächst mehrmals im Jahr um einige hundert Meter.

Ein Katzensprung zum Pariser Leben

Die verwaiste Strecke führt an vielen Stellen durch Wohngebiete. © Shutterstock

Die großenteils verwilderte ehemalige Bahnstrecke verläuft nur wenige hundert Meter innerhalb der fast immer verstauten Peripherie-Autobahn. La Petite Ceinture (der kleine Gürtel) wurde so genannt, um sie von der weiter außerhalb verlaufenden großen Ringeisenbahn zu unterscheiden. Wer sie sucht, nimmt am besten einen traditionellen Stadtplan aus Papier, weil die alte Strecke – anders als digital – oft noch wie eine Eisenbahnlinie verzeichnet ist. Dabei sieht sie heute eher wie eine Parklandschaft aus.

Bei der Orientierung helfen die meist sehr nahe gelegenen, parallel verlaufenden, äußeren Boulevards, zum Beispiel die Boulevards Ney, Mortier, Davout oder Kellermann. Auf diesen verkehren interessanterweise heute die Straßenbahnen T3a und 3b, die – außer im Westen – ringförmig um Paris herumfahren. So gesehen hat die Straßenbahn die Nachfolge der legendären Petite Ceinture angetreten, die auch unter der Bezeichnung PC bekannt war. Dieses Kürzel prangte allerdings jahrzehntelang ebenfalls auf Bussen und stand für Paris Circulaire. Die PC-Busse kreisten in der Nachfolge der Eisenbahn auf den Boulevards rund um die Stadt – um dann ab 2006 wiederum von der Straßenbahn verdrängt zu werden.

Ein Projekt Napoleons III.

Richtung Bercy oder Nation? © Martin Vogler

Als die Ringbahn ab 1851 auf Wunsch Napoleons III. gebaut wurde, ging es nicht um normale Personenbeförderung, sondern um drei andere Ziele: Die Regierung wollte die Anlagen der Stadtbefestigung optimal mit Truppen und Material versorgen. Zudem konnte sie viele Kopfbahnhöfe der schon immer sternförmig auf Paris zulaufenden Bahnstrecken miteinander verbinden, so dass nicht mehr so viele Pferdefuhrwerke mit Waren die Straßen verstopften. Drittens sollte das Bauprojekt, das Teil des „programme de redressement économique de la France“ war, schlicht Arbeitslose von der Straße holen.

Doch rasch wuchs die Bedeutung der Ringbahn auch für die Bevölkerung. 1900 zählte sie stolze 39 Millionen Passagiere. 1927 waren es dann nur noch sieben Millionen. Schuld am Niedergang trugen die seit 1900 gebauten Metrolinien, die die Menschen rascher zum Ziel brachten – la Petite Ceinture wurde deshalb wieder verstärkt für den Gütertransport genutzt. Auf den meisten Streckenabschnitten war bereits 1934 der Personennahverkehr eingestellt worden. Andererseits konnte man noch Ende der 1970er-Jahre an der Porte Maillot in einen Zug steigen, der in Richtung Norden die alte Ringbahntrasse nutzte. Auch Fernverkehrszüge waren bis 1989 weiterhin in einigen Bereichen unterwegs. Der Güterverkehr wurde im Süden und Osten 1993 stillgelegt. In anderen Teilbereichen gab es noch im 21. Jahrhundert in Ausnahmefällen Transporte. Bis 2003 fuhren auf Teilstrecken auch touristisch-nostalgische Züge (youtube-Video). Und auf drei Kilometern im Westen, zwischen Pereire Levallois und Henri-Martin, nutzt seit 1988 die RER-Vorortlinie C die alte Trasse. Was in diesem Teilstück eine Umwidmung zum Park natürlich ausschließt.

Ideale Orte für Graffiti, © Sylvie Kaufmann

Spezielle Anziehungskraft

Der Großteil der Strecke lag jahrzehntelang brach und wurde trotzdem nur selten durch Bauprojekte angetastet, obwohl in Paris Grundstücke extrem rar und teuer sind. Die Umnutzung scheiterte schon daran, dass das Gelände Eigentum der Eisenbahngesellschaft SNCF ist. Weil die verwilderte Trasse aufgrund der baulichen Situation und wegen ihrer Zäune schwer zu betreten war, entwickelte sie eine spezielle Anziehungskraft für ebenso spezielle Nutzer. Sie kletterten illegal aufs Gelände, viele Obdachlose wohnten dort, abenteuerlustige Spaziergänger wagten sich über baufällige Brücken oder durch dunkle Tunnel voller Ratten und Fledermäusen. Vor allem im Osten beim Viertel Belleville gibt es viele lange Tunnel, so auch beim Park Buttes Chaumont, wo der Kontrast zur bezaubernden Parklandschaft besonders krass wirkt. Und mutige Biologen empfanden auf ihren heimlichen Exkursionen das Gelände der Ringbahn immer schon als Paradies in Sachen Spontanvegetation und Tierwelt.

Der einstge Bahnhof gare de Charonne, © Adobe Stock

Seit 1992 bemüht sich eine private Initiative, die Association Sauvegarde de la Petite Ceinture de Paris et de son Réseau Ferré (ASPCRF), darum, das Gelände zugänglich zu machen. Die Mitglieder, darunter Eisenbahnenthusiasten und Naturfreunde, wussten von Anfang an, dass ein durchgehender 32-Kilometer-Spazierweg wegen der vielen langen Tunnel und der in kleinen Teilen anderweitigen Nutzung ein unrealistisches Ziel ist. Die Initiative, die keine Subventionen erhält und u. a. von Spenden lebt, half zumindest mit, dass mittlerweile knapp zehn Kilometer der Strecke legal zugänglich sind. Die ASPCRF möchte für die Bewohner der meist dicht besiedelten benachbarten Viertel Angebote für die Freizeitgestaltung ermöglichen und bietet auch naturkundliche Führungen an. Wer sich wundert, dass auf der Trasse meist noch Schienen liegen: Die Gleisanlagen zu belassen, war lange im Sinne der SNCF, die die Option für eine Wiederaufnahme des Verkehrs nicht verlieren wollte. 

2006 einigten sich die Stadt Paris und die SNCF, die Belebung der Petite Ceinture – diesen eigentlich gar nicht so kleinen grünen Gürtel – zu fördern. Es sollten hier kaum mehr Eisenbahnen fahren, sondern Raum für Tiere, Pflanzen und für Erholung in der Großstadt geschaffen werden. Hinzu sollte in noch vorhandenen Bahnhöfen ein kulturelles und gastronomisches Angebot kommen. Mit unterschiedlichem Erfolg. Aber immerhin konnte sogar bereits an und auf der Trasse gefeiert werden, etwa bei einer Fête de la Petite Ceinture oder bei Open-Air-Festivals mit Musik und Freiluftkino.

Immer wieder sorgen Tunnel für eigenwilligen Charme, © Sylvie Kaufmann

La Petite Ceinture vs. Coulée verte René Dumont

Die zugänglichen Zonen wurden in Parks, Kleingärten und kleine Sportanlagen umgewandelt. Und es werden ständig mehr Streckenbereiche, in denen sich Spaziergänger, Radfahrer und Jogger quasi hinter den Wohnhäusern in oft überraschend tiefen Geländeeinschnitten, über Brücken und durch Tunnel fortbewegen. Allerdings trifft man auch auf lautstark feiernde Jugendliche und Graffiti, deren künstlerischer Anspruch zumindest umstritten ist. Neben den überwucherten Bahngleisen und Eisenbahnschwellen findet sich hin und wieder sogar noch ein alter Signalmast. Gelegentlich bieten Tafeln mit Landkarten und historischen Fotos wertvolle Detailinformationen. Wobei man dazu erst einmal einen der oft versteckten offiziellen Einstiege finden muss. Und wer sogar die illegalen Zugänge in die eigentlich gesperrten Bereiche sucht, braucht extrem viel Spürsinn, Klettergeschick und Mut.

Auf dem Grünstreifen Coulée verte René Dumont, © Shutterstock, Christopher George

Auch nach der Instandsetzung wird die Petite Ceinture nie so schick und populär sein wie ihre prominente Schwester Coulée verte René Dumont– früher als Promenade plantée bekannt. Es handelt sich ebenfalls um eine frühere Bahnstrecke. Sie reicht von der Bastille bis zur rue Édouard-Lartet, wo auch ein Zugang zur Petite Ceinture besteht, und bietet in einer aufwändig gestalteten Parkpromenade auf einem sieben Meter hohen Viadukt einen großartigen, insgesamt vier Kilometer langen Spazierweg, der auf dem ersten Stück der Stecke Blicke in die Fenster der umliegenden Wohnhäuser erlaubt. Die Coulée verte ist so beliebt, dass sich hier Touristen und Einheimische oft gegenseitig den Weg versperren; die Preise der Immobilien in der Nachbarschaft sind angesichts der neuen Attraktion enorm gestiegen – Effekte, die die Gestalter der Petite Ceinture unbedingt vermeiden wollen.

Linktipps:

Offizielle Zugänge zur Petite Ceinture

© Martin Vogler

12. Arrondissement: 1,7 Kilometer zwischen der avenue de Saint-Mandé (in der Sackgasse Villa du Bel Air) und der rue de Charenton

13. Arrondissement: 500 Meter zwischen der rue du Moulin-de-la Pointe und südlich von der place de Rungis

14. Arrondissement: 750 Meter zwischen der avenue du Général-Leclerc und der rue Didot; gut für Radfahrer geeignet

15. Arrondissement: 1,5 Kilometer zwischen der place Balard und dem Haus 101 rue Olivier-de-Serres; besonders interessante Tierwelt

16. Arrondissement: 1,5 Kilometer zwischen der porte d’Auteuil und dem boulevard de Beauséjour; mit Restaurant in der gare d’Auteuil und Kleingartenanlagen

18. Arrondissement: mehrere lebhafte Bereiche mit Jardins du Ruisseau, dem Bahnhof Ornano und seiner Gastronomie an der porte de Clignancourt und dem alten Bahnhof Saint-Ouen

19. Arrondissement: 240 Meter zwischen dem Haus 2 rue de l’Ourcq und der rue de Thionville; 600 Meter zwischen der avenue de Flandres und der gare Rosa Parks; im Bahnhof gibt es einen Jazzclub

20. Arrondissement: 200 Meter zwischen der rue de Ménilmontant und der rue des Couronnes; hier engagieren sich naturbegeisterte Anwohner in Kleingärten.

Bis 2026 sollen in den Arrondissements 12 und 15 sowie 17 bis 20 laut Ankündigung der Pariser Stadtverwaltung weitere offiziell zugängliche Streckenabschnitte mit rund vier Kilometern Länge hinzukommen.

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