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Die schönsten Dörfer Frankreichs

Vier auf einen Streich

Hilke Maunder

Rocamadour ist erst seit 2022 eines der 168 Plus Beaux Villages de France, © Hilke Maunder

30. Juni 2022

Beaulieu-sur-Dordogne, Bergheim, Martel und Rocamadour: Das sind die vier Dörfer, denen das Netzwerk der Plus Beaux Villages de France im 40. Jahr seines Bestehens 2022 ihr prestigeträchtiges Label verliehen hat.

Beaulieu-sur-Dordogne (Corrèze)

Erst nach zwei Anläufen gelang es Beaulieu (youtube-Video) am rechten Ufer der Dordogne, die begehrte Auszeichnung zu bekommen. Seine mittelalterliche Cité umschließen bis heute hohe Stadtmauern. Wuchtige Tore gewähren Einlass. Mitten im Gewirr der alten Kopfsteingassen erhebt sich der Turm der einstigen Benediktinerabtei Saint-Pierre, die Rudolf de Turenne als Erzbischof von Bourges im Jahr 856 gründen ließ.

Beaulieu blühte, wuchs – und stieg auf zur wichtigsten Etappe zwischen Limoges und Aurillac auf dem französischen Jakobsweg via Toulouse nach Compostela. 1095 wurde das Kloster der Abtei Cluny angegliedert, reformierte sich und erlebte große Bauvorhaben. In jener Zeit entstand die heutige Abteikirche mit ihrem berühmten Skulpturenschmuck. Ihr Portal gilt als Meisterwerk der romanischen Kunst. Bis heute ein Pilgerziel ist auch die romanische Jungfrau Maria im Innern. In einer Vitrine sitzt sie, mit Silber und Edelsteinen geschmückt, auf dem Thron der Weisheit, das Jesuskind auf dem Schoß.

In den Gassen rund um die Abteikirche scheint die Zeit stillzustehen. Wilde Männer – und sogar eine Meerjungfrau – schmücken das Schnitzwerk der mittelalterlichen Häuser. Da Läden fast völlig fehlen, stört keine moderne Reklame die Zeitreise im Herzen der Cité. Umso mehr Trubel herrscht am zweiten Sonntag im Mai auf dem Marktplatz. Dann feiert Beaulieu auf der Place Marbot im Schatten des berühmten Generals seine Erdbeersorte „Gariguette“  bei der „Fête de la fraise“ mit Bauernmarkt, Bootsausflügen und einer riesigen Erdbeertorte. Sie hievte Beaulieu 1990 ins Guinness-Buch der Rekorde und verschaffte dem Dorf die Auszeichnung Site Remarquable du Goût – ein „bemerkenswerter Ort des Geschmacks“. Seit 2021 engagiert sich Beaulieu auch im Programm der Petites villes de demain (Kleinstädte von morgen) und versucht, Kulturerbe und Lebensraum über den historischen Kern hinaus aufzuwerten. Damit konnte es nun bei der Wahl der schönsten Dörfer Frankreich 2022 punkten.

Bergheim (Haut-Rhin)

Etwa 15 Kilometer nördlich von Colmar versteckt sich Bergheim (youtube-Video) mit schmucken Winzerhäusern hinter seiner mittelalterlichen Stadtmauer. Als doppelter Mauerring mit zahlreichen Wehrtürmen umschließt sie das Dorf, das mit 2900 Einwohnern eigentlich zu groß ist für die Auszeichnung. Doch andere Kriterien überwogen.

Bergheim ist ein typisch elsässisches Idyll, aber nicht so überlaufen wie andere Kleinode in der Region. Zugang gewährt das westliche Obertor aus dem 14. Jahrhundert. Das östliche Untertor existiert nicht mehr. Den einstigen Zwinger zwischen beiden Stadtmauern nehmen heute Gärten ein, darunter der Jardin d’Aneth (Dillgarten) mit alten Pflanzensorten und der Jardin médiéval mit mittelalterlichen Heil- und Küchenkräutern.

Bergheim im Elsass, © Shutterstock

Auf der äußeren Stadtmauer lässt sich Bergheim vollständig umrunden. Von oben eröffnen sich weite Blicke über die Bergheimer Lagen Kanzlerberg und Altenberg und die Weinberge der Elsässer Weinstraße, die das Château du Haut-Koenigsbourg (Schloss Hochkönigsburg) überragt. Aus dem Gewirr der Dächer hebt sich die Spitze der Pfarrkirche Notre-Dame de l’Assomption empor, deren Wurzeln bis ins Jahr 1320 zurückreichen. 1959 wurden bei der Restaurierung Fresken aus dem Jahr 1480 freigelegt.

Welche unrühmliche Rolle die Kirche bei den Hexenprozessen spielte, verrät das Haxahus. 100 Jahre lang – von 1582 bis 1682 – haben sie in Bergheim stattgefunden. 40 Frauen waren damals bei lebendigem Leibe verbrannt worden. Das Museum listet nicht nur individuelle Schicksale auf, sondern gewährt auch Einblicke in den Alltag der damaligen Gesellschaft. Bereits um 1300 besaß Bergheim eine Synagoge, und bis ins 20. Jahrhundert beherbergte das Dorf eine der größten jüdischen Gemeinden im Elsass. Die heutige Synagoge in der Rue des Juifs wurde in den Jahren 1860 bis 1863 erbaut.

Stattlich sind die Häuser in Bergheim – und üppig geschmückt mit Wein und Geranien in Rot, Weiß und Rosa. Zu den schönsten Gassen gehören die Rue des Cygnes und die Grande Rue, die hinführt zum Marktplatz mit Rathaus und Marktbrunnen aus Sandstein und Schmiedewerk. Entlang der reich geschmückten Fassaden der Grande Rue, an der sich einst auch die Wäscherei befand, geht es zurück zum Obertor. Von dort sollte man durch die Weinberge wandern oder radeln, der Elsässer Weinstraße folgen oder im Schatten der Stadtmauer im Caveau au petit bariga einen Elsässer Tropfen auf der Terrasse trinken.

Martel (Lot)

Auch Martel (youtube-Video) setzt als Petite ville de demain alles daran, die historische Bausubstanz zu sanieren, den Ortskern zu beleben und die Verkehrs- und Touristenströme besser zu steuern. Da kam die Auszeichnung als schönstes Dorf Frankreichs zur touristischen Saison 2022 gerade recht.

Martel gehört zu den wenigen Orten in Frankreich, die ihre Existenz nicht einem Castrum oder einer religiösen Gründung verdanken. Martel entstand aus rein wirtschaftlichen Erwägungen – und hat nichts mit Karl Martel zu tun.

Dort, wo eine antike Nord-Süd-Achse eine West-Ost-Achse kreuzt, auf der das kostbare Salz des Atlantiks und der Wein aus Aquitanien transportiert wurden, ließen die Vizegrafen von Turenne es als „neue“ Stadt errichten. 1219 verlieh der Vicomte von Turenne, Raymond IV., ihr die Rechte einer freien Stadt. Martel musste keine Steuern mehr an den König zahlen und durfte selbst Münzen prägen. Die kleine Siedlung stieg damit zu einer der reichsten Städte der Region auf. Eine doppelte Stadtmauer gab Schutz.

Zur gleichen Zeit ließ sich der Orden der Cordeliers in Martel nieder und baute ein Kloster am Nordrand der Stadtmauer. Martel war damals eine wichtige Etappe auf der Pilgerroute nach Rocamadour. Im 19. Jahrhundert erlebte das Städchen dank des Trüffelhandels eine zweite Blüte. Dem Edelpilz verdankt Martel auch die Auszeichnung einer Site Remarquable du Goût.

Im Winter treffen sich die Trüffelbauern unter dem wuchtigen Kastanienholzdach der Markthalle und verkaufen die berühmten schwarze Knollen des Périgord. Zuvor jedoch werden sie allesamt von der Bruderschaft auf Qualität und Güte kontrolliert. Fast 14 Kilogramm Trüffel wanderten 2022 dort über die Tische – zum Kilopreis von 800 Euro. Günstiger sind die lokalen Köstlichkeiten, die mittwochs und samstags beim großen Wochenmarkt verkauft werden. Mit dabei ist dort auch eine Familie, die in ihrer rund 100 Jahre alten Nussmühle Moulin Castagné das beste Walnussöl weit und breit herstellt.

Zum Besuch von Martel gehört unbedingt eine Fahrt mit dem Truffadou auf der 1889 eröffneten Bahnlinie nach Saint-Denis-Lès-Martel. Ihre Gleise wurden in 80 Metern Höhe in die Klippen gehauen. Nostalgische Dampfloks oder leistungsstarke Diesel ziehen die Ausflugszüge, die eine Stunde lang die Landschaften des Dordogne-Tales präsentieren und immer wieder prächtige Ausblicke auf die „Stadt der sieben Türme“ eröffnen. Doch wer nachzählt, merkt: Es sind mehr.

Rocamadour (Lot)

Rocamadour (youtube-Video) gehört zu den berühmtesten Wallfahrtsorten Frankreichs. Und zu den malerischsten. Im frühen Morgenlicht leuchten seine Fassaden von Ocker bis Gold. Tief im Tal schmiegt sich das alte Dorf an die steilen Hänge des Alzou-Flusses. Dort beginnt die Große Treppe Grand Escalier hinauf zur heiligen Stadt, dem Sanctuaire mit der Marienkapelle Notre-Dame de Rocamadour, der Basilika Saint-Sauveur, vier kleineren Kapellen und einem Museum zum Wallfahrtsort. Den Fels bekrönt ein Château. Es erhebt sich auf den Fundamenten einer mittelalterlichen Burg, die einst das Pilgerdort vor Angriffen schützte

Schon die Lage ist spektakulär. Noch erstaunlicher sind die Wunder, die dem Felsennest am Jakobsweg zugeschrieben wurden. Jedes Wunder soll die Glocke im Gewölbe der Chapelle Notre-Dame durch selbsttätiges Läuten kundgetan haben. Im Jahr 1166 entdeckte man an der Schwelle der Marienkapelle ein Grab mit einem nicht verwesten Leichnam. Es sei der legendäre Eremit Amador, tat die katholische Kirche kund – und nannte das Dorf nach Fundort und Name des Heiligen Rocamadour.

Genauso legendär ist der Mythos, er habe als Einsiedler zu Füßen des Felsens eine dunkle Marienfigur aus einem Baumstamm geschnitzt, zu der fortan die Menschen pilgerten – als Gläubige wie auch als Büßer. Pilgern als Strafe war seit den Karolingern in der katholischen Kirche gängige Praxis. Wer seine Vergehen mit einer Büßerfahrt nach Rocadamour sühnen musste, trug dabei Ketten an Hals und Armen – und musste auf den Knien die große Treppe bis zum Pranger hinaufrutschen.

Kunsthistoriker haben die legendäre Entstehung der Schwarzen Muttergottes jedoch längst widerlegt und ordnen die Vierge Noire ins 12. Jahrhundert ein. Die ursprüngliche Marienkapelle wurde im Hundertjährigen Krieg zerstört. Den Leichnam des Heiligen Amadour zerschlug der protestantische Hauptmann Jean Bessonies mit einem Schmiedehammer. Der gesamte Schatz von Notre-Dame wurde während der Religionskriege geplündert und zerstört. Nur das Gnadenbild und die Wunder-Glocke blieben verschont.

Bereits seit 1998 gehört Rocadamour als Teil des Jakobsweges in Frankreich zum Unesco-Weltkulturerbe.

40 Jahre „schönste Dörfer Frankreichs“

Charles Ceyrac war von 1977 bis 1998 Bürgermeister in Collonges-la-Rouge, einem Pilgerdorf in der Corrèze. Mit Schrecken sah er, was die Abwanderung, die das ländliche Frankreich bis Mitte der 1970er-Jahre erlebte, für sein kleines Dorf bedeutete. Es verlor seine wirtschaftliche Vitalität, überalterte und verfiel. Viele seiner Amtskollegen berichteten bei den regelmäßigen Treffen der Bürgermeister ähnliches. „Niedergang oder Museumsdorf“ war die Devise.

Collonges-la-Rouge, © Hilke Maunder

Dann entdeckte Charles Ceyrac zufällig eine Reader‘s Digest-Ausgabe mit dem Titel Les Plus Beaux Villages de France. Er schrieb sämtliche Bürgermeister der 100 Dörfer an, die darin vorgestellt wurden, und schlug ihnen vor, ein Netzwerk mit demselben Namen zu gründen.

66 Bürgermeister machten mit – und unterschrieben am 6. März 1982 in Salers (Cantal) die Gründungsurkunde der Plus Beaux Villages de France. Mit den vier Neuzugängen von 2022 umfasst die Liste der schönsten Dörfer Frankreichs nun 168 Orte in 70 Départements.

2022 hat der Verband darüber hinaus die Klassifizierung von neun Dörfern erneuert: Bonneval-sur-Arc (Savoyen), Cardaillac (Lot), Eguisheim, Riquewihr und Hunawihr (Haut-Rhin), Hunspach und Mittelbergheim (Bas-Rhin) sowie Saint-Quirin (Moselle) und Saint-Véran (Hautes-Alpes).

Im Lauf der Jahre wurde das Netzwerk der schönsten Dörfer zu einem wichtigen Akteur im französischen Tourismus; seit 1991 gibt es ein Qualitätskonzept. Es sieht seitdem für Bewerbungen ein Auswahlverfahren auf der Grundlage von 30 Kriterien vor. Dazu gehören u. a.: höchstens 2000 Einwohner und mindestens zwei geschützte Stätten oder Denkmäler. Nach einem Gutachten fällt eine Kommission die Entscheidung. Die  Marke Les Plus Beaux Villages de France wurde ebenfalls 1991 angemeldet.

Internationalisierung

1994 gab es den ersten Ableger außerhalb Frankreichs. Im wallonischen Teil von Belgien entstanden nach dem Vorbild der französischen Vereinigung „die schönsten Dörfer“.

Seit 2003 arbeitet das französische Netzwerk der schönsten Dörfer außerdem mit anderen bestehenden Netzwerken in Europa zusammen. 2012 folgt die Globalisierung mit der Gründung der Plus Beaux Village de la Terre, der „schönsten Dörfer der Erde“. Neben Frankreich und Wallonien sind auch Italien, Spanien und Japan integriert; Russland, die Schweiz, der Libanon, Rumänien und das Bundesland Sachsen sind assoziierte Mitglieder.

Internet:
Les plus beaux villages de France

Ansichten von einigen der schönsten Dörfer Frankreichs:

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