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Tourismus in Frankreich

„Kalon Breizh“ – im „Herzen der Bretagne“  

Oliver Keymis

Besondere Orte – besondere Kräfte: Kirche und Abteigebäude von Paimpont © Gemeinfrei/Wikipedia

28. Juni 2023

RN164 – so heißt die neue Zauberformel für mobile Erkundungen der Zentral-Bretagne, die sich auf einer Achse von Rennes bis nach Châteaulin im Finistère auf besonders vielfältige Weise bereisen lässt.

Die vierspurige Route nationale 164 ist, wie alle Schnellstraßen in der Bretagne, mautfrei und führt von der RN 12, die Rennes mit Brest verbindet, bei Montauban-de-Bretagne südlich abzweigend, mitten durch „das Herz der Bretagne“, das „Kalon Breizh“.

Bäume haben ein Geheimnis © OMK

Natürlich kann man auch die RN 24 wählen, die Rennes mit den Départements Morbihan und Finistère verbindet. Wer diese Route nimmt, verlässt sie in Plélan-le-Grand wieder, um von hier aus den sagenhaften Wald von Brocéliande zu erkunden; das mit knapp 12.000 Hektar größte zusammenhängende Waldgebiet auf der gesamten armorikanischen Halbinsel.

In modernen Landkarten findet man den Wald nur unter dem Namen „Forêt de Paimpont“, benannt nach dem Örtchen Paimpont, das zentral in diesem Wald, am gleichnamigen fischreichen See gelegen und als touristische Station für eine Erkundung des „Sagen-Waldes“ sehr geeignet ist. Die besondere Kraft dieses Ortes muss auch schon Bischof Judicaël aus Saint-Malo gespürt haben: Im 7. Jahrhundert gründete er dort ein Kloster, das im 13. Jahrhundert zur Abtei „Notre Dame de Paimpont“ erhoben wurde.

Von hier aus lassen sich die sagenumwobenen Orte im Wald von Paimpont, den die Legende mit dem wunderbar klingenden Bei-Namen Brocéliande verzierte, allesamt per Auto, Fahrrad und teilweise auch zu Fuß aufsuchen.

Es gibt herrliche Wanderwege und kleine Straßen führen einen von der Geheimnisbrücke zur Quelle von Barenton, oder vom Garten der Mönche zum Grab der Riesen. Und am Grab Merlins treffen sich noch heute alljährlich die Anhänger der Ritter der Tafelrunde, um sich an den alten Legenden zu erfreuen: von König Artus und Lancelot, von der Fee Viviane, die ihre große Liebe, den Zauberer Merlin verzauberte, nachdem er ihr verraten hatte, wie sein Zauber funktioniert.

Ritter der Tafelrunde, 14. Jh. © Gemeinfrei/Wikipedia   

 Nicht zu vergessen das „Tal ohne Wiederkehr“, in dem Morgan le Fay ihre untreuen Liebhaber gefangen hielt. Und in Tréhoronteuc steht sogar die Kirche des heiligen Graal, die Pfarrkirche Sainte-Onenne, „esoterisch„ ausgeschmückt mit keltisch-mystischen Symbolen.

Mystik und Keltentum gingen, trotz fortschreitender Christianisierung, mit den Legenden rings um Artus, Merlin, Lancelot und Viviane diese reizvolle Mischung ein – verwoben mit den prähistorischen, steinzeitlichen Menhir- und Dolmen-Anlagen, die mit ihren klingenden Namen ihre vorkeltische Herkunft bis in unsere Gegenwart bewahrten.

Es kann einen, bei so vielen Wundern, nicht verwundern, dass in den früheren Jahrhunderten die Bretonen in die ehemals riesige Waldfläche der Zentral-Bretagne all ihre Legenden, Ängste, Träume, Albträume, Wünsche und Verwünschungen hineinversetzten, da dieser einstige „Urwald“ ihnen ebenso undurchdringlich erschien, wie das Geheimnis des Lebens selbst.

Stausee zum Entspannen – Naturerlebnis von Menschenhand

Wer nach so viel Bäumen und Legenden weiter entlang der RN 164 gen Westen fährt, kann Seele und Beine am (oder gerne auch im) See von Guerlédan „baumeln lassen“. Während das südliche Ufer dieses durch den Bau eines Staudamms aus dem Flusswasser des Blavet aufgestauten künstlichen Sees vor allem vom kleinen Forêt départementale de Quénécan gesäumt wird, finden sich nördlich des Sees touristische Anlaufplätze wie Camping, Wassersport, Hotellerie und Restaurants. Das von 1923 bis 1930 errichtete See-Stauwerk misst 45 Meter in der Höhe und ist 206 Meter lang. Die Turbinen des Kraftwerks erzeugen 20 Gigawattstunden Strom pro Jahr. Der hier entstandene See misst 304 Hektar, ist 12 km lang, bis zu 40 m tief und speichert rund 52 Millionen m3 Wasser. Wander- und Radwege umrunden den „Lac de Guerlédan“ und laden zu „Erholung pur“ ein.

Vom Artus-Camp zum „Zitterfelsen“ – Besuch im „Hochwald“

Jahrhundertelange Abholzungen, für den Schiffsbau wie für die Energieerzeugung, haben den dichten (Ur-)Wald im Herzen der Bretagne bis auf zwei größere Gebiete fast verschwinden lassen.

Immerhin kann man heute im 2.500 Hektar bedeckenden Wald von Huelgoat(„Hochwald“), nordwestlich der RN 164 gelegen, den kleineren Teil des einstmals riesigen bretonischen Zentralwaldes finden, mit herrlichen Wanderwegen zu den wunderlichsten Steinformationen, gespickt mit Legenden und Geschichten, wie man sie sich in solch verwunschenen Wäldern nur denken kann: „Teufelsgrotte“, „Abgrund“, „Felschaos der Mühle“, „Silberfluss“ und der berühmte „Zitterfelsen“, „La Roche tremblante“: ein rund 135 Tonnen schwerer Granitblock, den man mit Kraft und Geschick an einer bestimmten Stelle mit dem eigenen Rücken in leichte Schwingungen versetzen können soll. Die Profis bewaffnen sich für diese sportliche Übung mit einem dicken Kissen.

Im Wald von Huelgoat © Yann Gwilhoù, CC BY-SA 4.0/Wikipedia

Und schließlich: das „Camp d’Artus“, ein 1938 ausgegrabenes Oppidum, also eine mit Wehrwänden gesicherte keltische Siedlung.

Vermutlich schlugen Julius Cäsars Legionen die dort siedelnden gallischen Osismier, bevor er dann auf dem Stadtgebiet des heutigen Carhaix-Plouguer die westlichste (!) Römerfestung bauen ließ: Vorgium.

Reste der dortigen Ausgrabungen sind im gleichnamigen archäologischen Museum im Zentrum der Stadt mit modernster Multimedia-Technik eindrucksvoll zu besichtigen.

Auf Caesars Spuren im Museum Vorgium, Carhaix-Plouguer © OMK

Auch wenn es deutlich weniger Rekonstruktionen aufweist, als wir sie aus der nördlichsten (!) Römerfestung „Colonia Ulpia Traiana“ in Xanten am Niederrhein kennen, dem größten archäologischen Freilichtmuseum Deutschlands, so stehen doch die nördlichste und die westlichste römische Bastion in vielerlei Hinsicht in (römischer) Verbindung.

Größtes Open-Air-Festival Frankreichs mit Weltstars der Musik

Auch heute zeichnet sich Carhaix-Plouguer durch eine Besonderheit aus: Seit 1995 findet dort alljährlich im Juli das größte spartenübergreifende Open-Air-Festival Frankreichs auf den weitläufigen Wiesen des „Château de Kerampuilstatt. Bis zu 240.000 Besucher (2011) wurden dort schon gezählt.

Viele Weltstars spielen bei diesem viertägigen „Festival des Vieilles Charrues“ („Festival der alten Karren“) vor rund 50.000 Menschen pro Tag. Lokale Größen wie Christophe Miossec oder Red Cardell wechsel(t)n sich dort ab mit Elton John, Bruce Springsteen, Charles Aznavour, The Scorpions, Patti Smith, Neil Young, Vanessa Paradis, Bob Dylan, Lionel Richie, Peter Gabriel, Depeche Mode, Joan Baez, Deep Purple oder Sting.

Für das Festival wurden vor einigen Jahren sogar eigens kilometerlange Bier- und Wasserleitungen durch die Festwiesen verlegt, um die Gäste mit dem „Nötigsten“ zu versorgen. Und viele Freiwillige der rund 7100 Einwohner Carhaix‘ engagieren sich beim Aufbau, den Reinigungsarbeiten und beim Abbau dieses Großereignisses.

Stille Mitte

Wer es beschaulicher mag, dem sei eine Reise entlang des von Napoleon angelegten Kanals von Nantes nach Brest empfohlen.

Die Stille genießen am „Canal de Nantes à Brest“ © OMK

Denn entlang des ganz ruhig vor sich hinfließenden Kanals im grünen Herzen des Argoat lässt sich wunderbar spazieren, paddeln oder radeln. Oder einfach nur ausruhen und träumen – von den zahlreichen und vielfältigen Abenteuern, Geschichten und Erlebnissen im Argoat, im „Land am Wald“, im Herzen der Bretagne: „Kalon Breizh“.

Zum Autor

© Oliver Keymis

Oliver Keymis war Abgeordneter des Landtags Nordrhein-Westfalen von 2000 bis 2022 und dessen Vizepräsident von 2006 bis 2022. 2010 gründete er die deutsch-französische Parlamentariergruppe im Landtag NRW. Er leitete sie bis 2022. 

Seit 45 Jahren ist Oliver Keymis regelmäßig in der Bretagne und in Frankreich unterwegs. Heute lebt er zeitweise im südlichen Finistère und im Rheinland.

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