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Côte d‘Azur

Per pedes statt im Rolls

Martin Vogler

Trotz vieler Höhenunterschiede kann der Sentier Littoral, wie hier westlich von Villefranche-sur-Mer dank einer Holztreppe, auch mal komfortabel sein. Leider halten solche Konstruktionen den Attacken des salzigen Meerwassers vielerorts nicht lange stand. © Martin Vogler

21. Juni 2021

Côte d‘Azur, allein der Name lässt an Luxus und Glamour denken. Kaum jemand assoziiert mit diesem in jeder Hinsicht bevorzugten Landstrich Wanderungen am Meer in fast unberührter Natur. Doch die sind möglich und sogar ungemein reizvoll.

Wahrscheinlich liegt das Faszinierende im Kontrast: Tagsüber mit Wanderschuhen – Flip-Flops wären lebensgefährlich – auf schmalen Küstenpfaden herumkraxeln und abends in einem familiären oder auch sehr noblen Restaurant dinieren, das klappt hier wunderbar. Dies gilt besonders für die klassische Côte d‘Azur, die strenggenommen nur den Bereich von Cannes bis Menton im Osten umfasst. Aber auch westlich davon gibt es reizvolle Küstenwege. Und das zu jeder Jahreszeit.

Freier Zugang zur Küste

Das Schlüsselwort lautet Sentier Littoral. Diese in sehr unterschiedlicher Qualität meist gelb markierten bzw. ausgeschilderten Küstenwege entstanden unter dem Namen Sentier des Douaniers Ende des 18. Jahrhunderts, als sie für Zöllner angelegt wurden. Auch im zweiten Weltkrieg hatten sie – für deutsche Besatzer – eine zweifelhafte Bedeutung. Betonbunker finden sich immer wieder, meist zugemüllt und voller Graffiti, mitten in herrlicher Natur. Manche Grundstückbesitzer haben sie geschickt in ihre Gartenanlagen als Terrassen oder spezielle Geräteschuppen zu integrieren versucht. Sie abzureißen gilt als ungemein teuer bis unmöglich.

Oft ist die Küste so steil, dass private Aufzüge von Häusern hinab zum Meer führen, z. B. im Bereich des Palais Maeterlinck östlich von Nizza. © Martin Vogler

Dass die Küstenwanderwege überhaupt relativ frei begehbar sind, verdanken sie gesetzlichen Grundlagen. Die wichtigste davon heißt Loi Littoral und ist seit dem 5. Januar 1986 in Kraft. Seitdem müssen alle Küsten allgemein zugänglich sein. Theoretisch. Denn in der Praxis sind die felsigen Uferzonen mitunter so steil, dass auch der schmalste Wanderweg keine Trasse findet. In solchen Fällen muss der Wanderer meist steil nach oben, dann, wie zum Beispiel zwischen Nizza und Villefranche-sur-Mer, einige hundert Meter auf dem Bürgersteig einer stark befahrenen Straße entlang, um nahe der östlichen Stadtgrenze von Nizza an der Pointe des Sans-Culotte wieder auf einem steilen Pfad zum Meer hinunterzugelangen.

Das Gesetz war für die Besitzer der Ufergrundstücke extrem hart. Sie mussten ihr Anwesen am Meer entlang für jedermann öffnen. Exklusive, gemauerte Salzwasserpools im Mittelmeer waren plötzlich durch den Sentier Littoral vom eigentlichen Grundstück getrennt. Seitdem gilt es, die Besitztümer, die vor allem an den Kaps zu den teuersten der Welt gehören, zum Wanderweg am Meer hin mit Mauern, Kameras und sogar Wächtern zu schützen. An einigen Orten scheint der Wille, den Sentier Littoral direkt am Meer entlang zu führen, auch nicht konsequent umgesetzt worden zu sein.

Genuss trotz Gefahren

Wer sich auf den Küstenweg begeben will, sollte sich trotz aller Urbanität der dichtbesiedelten Küste gut vorbereiten: Neben festen Schuhen sind Proviant und Sonnenschutz zu jeder Jahreszeit wichtig. Selbst im Winter kann die Sonne in den Mittagsstunden gnadenlos brennen. Und Schatten ist an dieser Südküste rar. Praktisch ist es übrigens, zwischen Nizza (Start am Hafen) und Menton den Bus der Linie 100 zu nehmen. Der fährt alle 15 Minuten für bescheidene 1,50 Euro via Monaco die Küstenstraße entlang. Etwa alle 500 Meter kann man eine Haltestelle nutzen und nach einer Wanderung von anderer Stelle aus wieder zurückfahren. Zwischen Nizza und Cannes verkehrt die Linie 200 nach dem gleichen System, allerdings meist nicht so küstennah wie die Linie 100.

Auf jeden Fall informieren sollte man sich vor einer Wanderung über den aktuellen Zustand des Weges und die Wetterlage: Bei hohen Wellen werden die Küstenwege leicht überspült, was Unvorsichtige bereits mit Knochenbrüchen und Schlimmerem bezahlen mussten. Offiziell sind die Pfade dann gesperrt, aber nicht jeder hält sich daran. Und die Wellen zerstören immer wieder Teile, so dass man durchaus mit nur schwer oder gar nicht passierbaren Strecken rechnen muss.

Dass man sich der trotz der vielerorts unberührt scheinenden Natur an einem der exklusivsten Immobilienstandorte der Welt befindet, lässt ein Baukran am Horizont ahnen. © Martin Vogler

Natürlich ist der Charakter des Küstenwegs – zwischen dicht bebauter Promenade bis zu richtigen Klettertouren – höchst unterschiedlich. Wer die gesamte Strecke von knapp 100 Fußkilometern (mit Kap-Umrundungen) von Théoule-sur-Mer bis zur italienischen Grenze zurücklegen will, sollte dafür reichlich Zeit einplanen oder sich besser nur attraktive Teilstrecken heraussuchen.

Schon ganz im Westen beispielsweise zeigt sich die gesamte Vielfalt: Südlich von Théoule führt ein gemütlicher Weg am Strand entlang, hinter dem kleinen Hafen wird die Küste zerklüfteter. Aber spätestens ab dem Schloss von La Napoule handelt  es sich in Richtung Osten mehr um ein Promenieren. Es geht an Vergnügungshäfen vorbei. Am flachen Strand vor Cannes ist der Bürgersteig teils sehr schmal, doch die Verbreiterungsarbeiten laufen.  

Nach dem Hafen von Cannes führt der Weg über die  Croisette und durch gepflegte Parkanlagen bis an die östliche Stadtgrenze. Nach zwei reizlosen Kilometern zwischen Autoverkehr und Eisenbahn, auf denen repräsentative Anwesen am Meer nicht direkt passierbar sind, nähert  man sich auf bequemen Promenaden über Golfe-Juan und Juan-les-Pins dem Cap d‘Antibes.

In der Bucht am Cap d’Antibes, © Martin Vogler

Auf den großen Kaps

Am Cap d‘Antibes selbst gibt es einen sehr reizvollen Sentier Littoral. Am besten lässt man das Auto an der Plage de la Garoupe stehen und geht dann knapp drei Kilometer nach Süden und Westen am Meer entlang. Leider ist anschließend der Weg in Richtung Juan-les-Pins nicht passierbar. In den 1980er Jahren war das noch anders. Da durften Wanderer einfach unter dem Pool des weltberühmten Cap-Hotels hindurchgehen. Heute muss man vorher rechts abbiegen und, falls man dort geparkt hat, führt die Strecke durch stille Wohnstraßen zurück zur Plage de la Garoupe. Am Weg liegt die Belle-Époque-Villa Eilenroc in einem gepflegten Park voller Mittelmeerpflanzen. Ist eine Besichtigung wert.

Auch auf den beiden anderen großen Kaps – Cap Ferrat und Cap St-Martin – gibt es spannende Fußwege. Die rund zehn Kilometer um das Cap Ferrat gelten als die reizvollsten der gesamten Küste. Ideal: In Beaulieu-sur-Mer am Strand beginnen und in etwa 30 Minuten auf einem beschaulichen Promenadenweg unterhalb der Villa Rothschild in den Ort St-Jean-Cap-Ferrat spazieren.

Die Villa Lo Scoglietto in Saint-Jean-Cap-Ferrat wechselte oft den Besitzer. Der Schauspieler David Niven war einer davon. Und Charlie Chaplin. © Shutterstock

Auf diesem Weg gibt es einen der seltenen Fälle, dass ein Haus mit seinem privaten Hafen direkt am Meer liegt und der Küstenweg dahinter vorbeiführt. Einst wohnte dort der Schauspieler David Niven, nach Charlie Chaplin. Im Ort St-Jean gibt es auch nochmals reichlich Gastronomie und Geschäfte, bevor die Versorgungssituation sich auf null reduziert.

Nun geht es um das kleine östliche Kap (Treppe am Chemin de Saint-Hospice beim Paloma Beach) herum, mit prächtigen Ausblicken auf Eze, Monaco und Ligurien. Munter auf und ab führt der Weg zum eigentlichen Kap mit seinem Leuchtturm und von dort auf einem teilweise sehr schmalen Pfad in Richtung Villefranche. Hinter der Plage Passable wird der Küstenweg unterbrochen, weil dort private Anwesen stehen. Am besten hält man sich rechts und geht weiter innen in Richtung Villefranche, oder relativ schnell über den Rücken der Halbinsel zurück nach Beaulieu. Ähnlich reizvoll geht es am Cap-Martin zu. Den Weg kann man ganz im Osten von Monaco beginnen, oder auch in Cap-Martin an der Avenue Sir Winston Churchill.

Westlich von Villefranche-sur-Mer fordert die wilde Natur durchaus gute Kondition des Wanderers. Allein der traumhafte Blick auf das Cap-Ferrat entschädigt für die Strapazen. © Martin Vogler

Königsetappen

Vom Cap-Martin aus bis zur italienischen Grenze führt der Küstenweg, wie auch in Nizza oder in Monaco, überwiegend über die normale Strandpromenade. Anspruchsvoller und reizvoller sind neben den drei großartigen Kaps die erwähnten sechs Kilometer zwischen Nizza (Start beim imposanten Restaurant La Réserve) und Villefranche. In Cap-d‘Ail, der „Knoblauchspitze“, führt der Sentier Littoral an hübschen Villen entlang. Von Osten her erreicht man ihn übrigens am besten über den monegassischen Stadtteil Fontvieille. Das westlichste Stück ist allerdings wegen hohen Wasserstands fast immer unpassierbar.

Und wem das alles nicht genügt: Dank des Gesetzes von 1986 gibt es auch im westlicheren Teil der Côte d`Azur – die für viele bereits in Marseille beginnt – fantastische Küstenwanderwege. Zum Beispiel an der Südseite der Halbinsel von St-Tropez, mit Start im kleinen Gigaro bei La Croix-Valmer. Oder am Cap-Bênat bei Le Lavandou. Cap-Bênat ist eigentlich ein nicht frei zugängliches, riesiges privates Wohngebiet. Aber im Osten über den Küstenweg von La Faviere aus ist das kein Problem. Im Westen des Kaps ist es etwas schwieriger durchzukommen, zumal dort in Brégançon der französische Präsident in dem gleichnamigen Fort seinen Sommersitz hat.

Praktische Tipps

Anreise:

  • Mit Auto (und Zug) bequem über Lyon und das Rhônetal.
  • Wer kurvige Straßen liebt, reist via Grenoble über die Route Napoléon.
  • Aus Süddeutschland bietet sich auch der Weg über die Schweiz und Italien an.
  • In Vor-Corona-Zeiten gab es von allen großen deutschen Flughäfen Direktflüge nach Nizza, dem zweitgrößten Flughafen Frankreichs.
  • Neben Bussen und Taxis bietet sich von hier aus für den Weg nach Nizza (zum Zentrum sind es sieben Kilometer) seit 2019 die neue Straßenbahnlinie 2 an, die in der Innenstadt zur U-Bahn wird und am Hafen endet.

Aktuelle lokale Informationen:

  • Nice-Matin, Tageszeitung, die an der gesamten Küste bis Toulon und in Korsika mit Lokalausgaben erscheint
  • Riviera-Zeit, deutschsprachiges Magazin mit sechs Druckausgaben pro Jahr und aktuellen Infos im Netz.

Dialog Dialogue

4 Kommentare/Commentaires

  1. Ein richtig toller Artikel, der Lust macht, den Weg wieder mal zu gehen.
    Das Teilstück ums Cap Ferrat ist meine Lieblingsstrecke.

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