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Lockdown in Paris

Wie ausgestorben

Birgit Holzer

Arc de Triomphe und Place Charles-de-Gaulle in Zeiten von Corona, © Shutterstock

15. April 2020

Während der Ausgangssperre zeigt Paris ein völlig neues Gesicht. Es ist ein historischer Moment mit Eindrücken und Bildern einer Stadt, die es so noch nie gab.

Frankreichs Hauptstadt lebt von ihren Restaurants und gut besuchten Cafés, dem quirligen Gedränge in den Geschäften, Straßen und auf den Boulevards, dem lebhaften Verkehr und erholsamen Rückzugsorten wie Gärten und ausgedehnten Parks.

Verordneter Stillstand

Das Pariser Leben sieht an einem Frühlingsnachmittag des Jahres 2020 jedoch ganz anders aus. An der Straßenkreuzung zwischen der Rue Poulet und der Rue Dejean im Montmartre-Viertel etwa, nahe der Metro-Station Château Rouge, herrscht für gewöhnlich Marktstimmung, und an ein Durchkommen wäre kaum zu denken. Junge Männer würden in Grüppchen zusammenstehen und sich gestikulierend unterhalten, schwarze Frauen in farbenfrohen Kleidern und mit Kleinkindern an der Hand Einkäufe erledigen, auf der Suche nach exotischen Produkten wie Kochbananen oder Pfefferschoten. Inmitten des bunten Treibens würden Straßenverkäufer gegrillten Mais und geröstete Maronen anbieten.

Doch in Paris und ganz Frankreich ist seit dem 17. März, seit der allgemeinen und streng überwachten Ausgangssperre aufgrund der Corona-Pandemie nichts mehr wie es war. Und nirgendwo im Land erscheint die plötzliche Stille so ungewöhnlich wie in der Hauptstadt, die normalerweise nie schläft; nirgends wirkt der Kontrast zwischen der gewohnten Geschäftigkeit und der verordneten Ruhe so krass.

Die leeren Boulevards von Paris erinnern im Lockdown an eine Geisterstadt. © Birgit Holzer

Paris bleibt Paris

Dennoch bleibt Paris eine stolze und strahlend schöne Stadt, auch wenn die Straßen wie ausgestorben sind. Selten war der Himmel so klar und blau wie in diesem milden Frühling 2020; die Grünflächen in den fürs Publikum gesperrten Parks erholen sich auf eine nie gekannte Art und Weise; Paris, die verstopfte, verschmutzte Metropole atmet förmlich auf: seit Jahren war die Luftqualität nicht mehr so gut.

Die Place St-Michel mit ihren Straßenkünstlern und Musikanten, Menschenmassen und Einkaufstüten gehört jetzt ganz den Tauben. Unter dem Eiffelturm, auf der Aussichtsterrasse vor Sacré-Cœur und am Centre Pompidou steht kein einziger Tourist. Die eleganten Boutiquen, Kaufhäuser wie die Galéries Lafayette, Friseursalons und sämtliche Kultureinrichtungen – Louvre, Opéra und Theater – sind geschlossen; nur Apotheken und Lebensmittelgeschäfte bleiben geöffnet; wegen des reglementierten Zugangs und Abstandsgeboten bilden sich lange Schlangen vor ihren Eingängen.

Das Verkehrsaufkommen auf der Place de la Concorde und der Place Charles-de-Gaulle tendiert selbst zur Rush Hour gegen Null. Viele arbeiten im Homeoffice und sind auf das reduzierte Angebot der öffentlichen Verkehrsmittel nicht angewiesen. Rund um die Uhr heißt es nun auch auf der Ringautobahn Boulevard Périférique „freie Fahrt!“ – von der aber so gut wie niemand etwas hat.

Gesellschaft unter Verschluss

Gerade in Paris und der Banlieue fällt es schwer, den strikten Lockdown durchzusetzen und den Passierschein zu kontrollieren, den jeder bei sich führen muss und auf dem Name, Adresse, Datum, Uhrzeit und Grund für den Ausgang einzutragen sind. Nur einmal am Tag, für höchstens eine Stunde und lediglich im Umkreis von einem Kilometer darf man in Frankreich seit Mitte März noch die Wohnung verlassen: um spazieren zu gehen, den Hund auszuführen oder das Nötigste einzukaufen.

Bei Nichteinhaltung der Regeln ist ein Bußgeld von 135 Euro fällig – innerhalb nur eines Monats wurden laut Innenministerium landesweit 12,6 Millionen Kontrollen durchgeführt und mehr als 760.000 Bußgelder verhängt. In Paris und einigen angrenzenden Vororten ist seit Anfang April auch das Joggen zwischen 10 und 19 Uhr verboten – zu viele Hobbysportler zog es bei strahlendem Sonnenschein auf die Straßen. Das Gedränge findet nun in den Abendstunden statt.

Joggen ist nur zu bestimmten Zeiten erlaubt und bis zu einem Kilometer von der Wohnung entfernt. © Birgit Holzer

Jogger laufen vorbei an geschlossenen Bars und Cafés, hinter deren Vitrinen sich Stühle stapeln. Auch wenn die Ausgangssperre voraussichtlich ab 11. Mai gelockert wird, man wieder ohne offizielles Dokument auf die Straße darf, Märkte, kleinere Museen und schrittweise auch Schulen wieder öffnen, bleiben die Gastronomiebetriebe mindestens bis Juni geschlossen, die Theater und Kinos wahrscheinlich noch länger. Die Werbung für Theaterstücke, die weiterhin an manchen Litfass-Säulen hängt, stammt häufig noch aus der Vorcorona-Zeit und ist manchmal dennoch aktuell, z. B. für das Stück Crise de Nerfs (Nervenkrise) im (geschlossenen) Théâtre de l‘Atelier.

Auf der Place de la République, normalerweise Treffpunkt dutzender Skateboard-Fahrer, fanden monatelang jeden Samstag Proteste der „Gelbwesten“ statt. Stattdessen sitzen nun Obdachlose mit ihrem Hab und Gut auf dem Platz. Obwohl die Stadtverwaltung Hotelzimmer für sie organisiert hat, konnten nicht alle untergebracht werden. Sie leben weiterhin auf der Straße und sind verletzlicher denn je. Kaum ein Passant steckt ihnen noch etwas zu.

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