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Französische Biere

Aus eigener Produktion

Angela Berg

Zapfhähne in La Calaunaise, © Georg Berg

11. September 2022

Frankreich ist beim Thema Bier europäischer Spitzenreiter und Schlusslicht zugleich: Das Land hat die höchste Brauereidichte in Europa, gleichzeitig ist hier der Bierkonsum der niedrigste; für Bier begeistern sich vor allem Jüngere; die Brauer sind oft Quereinsteiger am Sudkessel.

Von 2014 bis 2020 schießt die Zahl der aktiven französischen Brauereien laut der europäischen Branchenvereinigung The Brewers of Europe mit Sitz in Brüssel von 663 auf 2300 in die Höhe; Frankreich ist seitdem im europäischen Vergleich Spitzenreiter, gefolgt von Großbritannien mit 1870 und Deutschland mit 1528 Brauereien. Zugleich hat das Land mit gerade einmal 33 Litern pro Einwohner den niedrigsten Pro-Kopf-Verbrauch in Europa.

Bier als regionale Spezialität

Neben den historischen Produktionswiegen im Norden und im Elsass findet man nun landesweit regionale Spezialitäten: Rosenbiere, Heidelbeerbiere, Zichorienbiere usw. In der Bretagne trinkt man Buchweizenbiere oder mit Salzwasser gebrautes Bier, in der Ardèche Kastanienbier. Stets legen die Brauer Wert darauf, die Herkunft ihrer Rohstoffe, ihre Rezepte oder die Bierstile hervorzuheben, um den Reichtum und die Vielfalt der französischen Braukultur zu zeigen. Ihnen zufolge soll Bier in Frankreich nicht länger als billiges Getränk mit schlechtem Image angesehen werden, sondern als hochwertiges Genussgetränk, das es zu entdecken gilt.

Bauer und Brauer

Emmanuel Feraas Biersortiment „Du Champ à la Chope“ (vom Feld in den Krug), © Georg Berg

Im kleinen Ort Gigors-et-Lozeron in der Region Auvergne-Rhone-Alpes baute Emmanuel Feraa 2015 seine Brasserie des Trois Becs im wahrsten Sinne auf der grünen Wiese. Die Region wurde in den letzten Jahren mit 368 Produktionsstätten laut der französischen Brauereivereinigung Brasseurs de France zu einem kleinen Epizentrum der Braukunst in Frankreich.

Der Nährboden für diese hohe Zahl an Brauereien sind für den studierten Agrarwissenschaftler Feraa die gewachsenen Strukturen. Es gibt in der Region viele ausgezeichnete Restaurants und ambitionierte Köche, hervorragende landwirtschaftliche Produkte und regionale Spezialitäten sowie eine Bevölkerung mit großer kulinarischer Kompetenz.

Das Tal der Drôme war die erste Gegend in Frankreich, die den Fokus auf Bio-Landwirtschaft gerichtet hat. Von der ersten Stunde an ist es der Plan von Emmanuel Ferraa, ein Bauernbier herzustellen, ein Bier aus der Region: Er sieht sich nicht nur als Bierbrauer, sondern auch als Bio-Bauer. Den Standort seiner Brauerei hat er wegen der guten Qualität des natürlichen Wasservorkommens ausgewählt: Die Brauerei Des Trois Becs liegt an den südlichen Ausläufern des Parc du Vercors, wo das Unternehmen von bestem Quellwasser und der Möglichkeit profitiert, Land für den eigenen Anbau von Gerste und Hopfen in Bio-Qualität zu bestellen – und damit bezüglich der Rohstoffe autark zu sein.

Vom Winzer zum Brauer

Nicolas Meylan, © Georg Berg

Die mit 244 Brauereien zweithöchste Dichte an Brauereien in Frankreich hat die Region Nouvelle Aquitaine – weltweit bekannt für ihre Bordeaux-Weine und prächtigen Weingüter. So wie sich in einem guten Wein das Terroir widerspiegelt, sehen viele der neu am Markt agierenden Bierbrauer ihre lokale Verwurzelung als einen prägenden Teil ihres Markenkerns. 

In Saint-Laurent-Medoc inmitten der Grands Crus des Médoc produziert Nicolas Meylan Biere, die bestimmten Terroirs der Region entsprechen. Von Beruf ist er Winzer und er hat auf verschiedenen Weingütern als Kellermeister gearbeitet sowie als Weinhändler in Bordeaux. Mit Hefen und der Sprache der Sommeliers, sagt Nicolas Meylan, kenne er sich daher gut aus.

2016 beschließt er, von der Wein- zur Bierproduktion zu wechseln. Verlockend sei für ihn die größere Kreativität im Herstellungsprozess und eine geringere Abhängigkeit vom Wetter gewesen. Trotz seiner großen Erfahrung als Önologe, lässt sich Meylan in Brauereien in Nancy und Quebec ausbilden, bevor er 2017 mit einem Pale Ale, einem English Bitter und einem Weizenbier unter dem Namen Naùera – Bières du Médoc an den Markt geht.

Wie eng die Welt der Winzer und Bierbrauer für Nicolas Meylan verknüpft ist, zeigt sich bei der Wahl des Markennamens. Naùera ist ein Begriff aus der Gascogne und dem Okzitanischen, „Nau“ bedeutet Erneuerung. Das vollständige Wort lässt sich mit „Vorbereitung einer neuen Kultur“ übersetzen. „Wir haben diesen Namen ursprünglich gewählt, um die Arbeit in unserem kleinen Weinberg im Médoc und die dynamische Bio-Arbeit zu veranschaulichen“, erklärt Nicolas Meylan. 2022 zählt sein Bier-Sortiment 17 verschiedene Sorten. Darunter auch Saisonbiere und Festival-Kreationen, mit denen der Winzer, der zum Brauer wurde, seine Kreativität in eine Vielfalt an komplexen, rassigen oder einfach nur durstlöschenden Bieren ausdrückt.

Bier aus Lacanau

Céline Anderson, © Georg Berg

Zwischen den berühmten Weinlagen des Médoc und dem Médoc Atlantique liegen nur einige Kilometer schnurgerade Straßen durch Pinienwälder, und schon dominieren breite Sandstrände die Landschaft. In Lacanau nahe Bordeaux wurde 2018 eine weitere Mikrobrauerei gegründet. La Canaulaise, das ist Céline Anderson. Sie stammt aus Lacanau und ist gelernte Physiotherapeutin. 2015 bekommt sie von ihrem Mann, einem Engländer, ein Geburtstagsgeschenk, das ihr Leben verändert: ein Set zum Brauen von Bier. Fortan wird die Bierherstellung im kleinen Stil zu ihrer liebsten Wochenendbeschäftigung; schnell ist die eigene Küche zu klein.

Céline macht 2018 eine Ausbildung in einer Brauerei bei Paris und steigt noch im selben Jahr in die Produktion traditioneller Biere ein. Finanziert durch einen Investor gelingt 2022 der Umzug auf ein größeres Gelände. Es ist das alte Bankgebäude von Lacanau, in dem sie mit La Canaulaise ein Pub, einen Biergarten und eine große Produktionshalle unter einem Dach vereinigt. Die Produktionsmenge liegt mittlerweile bei rund 1000 Hektoliter pro Jahr. Die Gäste lieben im langen Sommer von Lacanau vor allem die süffigen und fruchtigen Biersorten. Zu den Bestsellern gehören ein englisches India Pale Ale (IPA) und ein Helles: „La Blonde“.

Kreativität und Experimentierfreude

So unterschiedlich die Lebensläufe der französischen Bierbrauer und -brauerinnen auch sein mögen, ihre Sortimente stehen für Kreativität und Experimentierfreude. Die Kundschaft honoriert diese regionale Vielfalt: Das handwerklich gebraute Bier aus der Region, noch dazu mit ansprechendem Etikett, avancierte auch zu einem beliebten Gastgeschenk. Für die jüngere Generation in Frankreich ist nicht zuletzt der Preis ein Argument fürs Bier; außerdem hat es weniger Alkoholgehalt als Wein oder Cocktails und ist ein verträglicher Durstlöscher – nicht nur im Sommer und nicht nur 25 cl aus dem Zapfhahn („un demi pression“).

Microbrauereien in Deutschland:

Le retour du régional

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