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Deutsch-Französische Zivilgesellschaft

Neue Kultur der Zusammenarbeit

Sigrid Scherer

Emmanuel Macron und Angela Merkel mit den Außenministern Frankreichs und Deutschlands nach der Unterzeichnung des Vertrages von Aachen 2019, © Bundesregierung/Bergmann

15. Dezember 2020

Chancen für das Europa der Zukunft liegen in der Kooperation der deutschen und französischen Zivilgesellschaft. Sie ist die engste Kooperation zweier Länder auf dem europäischen Kontinent. Keine wird so intensiv gefördert. Eine Bestandsaufnahme und Vorschläge für die Zukunft.

„Wir missverstehen uns sehr oft“, sagt Claire Demesmay, die das Frankreichprogramm der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DPAG) in Berlin leitet und seit vielen Jahren in Deutschland lebt. Deutsche einerseits und Französinnen und Franzosen andererseits denken ihrer Ansicht nach oftmals grundverschieden: „Es ist ein Denkfehler zu glauben, es läuft. Wir sollten die guten Beziehungen nie überschätzen.“

Kontinuierliche Pflege und Weiterentwicklung

Auf jeden Fall benötigen sie, sagt die Expertin, kontinuierliche Pflege und Weiterentwicklung. So sieht das auch Andreas Weber von der Baden-Württemberg Stiftung, die jüngst das Programm Nouveaux Horizons entwickelt hat: Es basiert auf Erfahrungen im Donau-Raum, richtet sich an Akteure der Zivilgesellschaft und möchte unkompliziert die Begegnung ermöglichen. Das Programm hat insbesondere eine sehr niedrige Antragsschwelle, um auch kleinere zivilgesellschaftliche Initiativen zu motivieren.

Auch wenn das Interesse am Nachbarland abzunehmen scheint –dokumentiert etwa durch die sinkende Zahl junger Menschen, die die Sprache des Nachbarlandes erlernen – und die verschiedenen Mentalitäten kommunikativ herausfordern: In engerer Kooperation liegen große Chancen für den Zusammenhalt in Europa. „Die Beziehungen sind so gut, dass Deutschland und Frankreich ein Vorbild für das Zusammenwachsen anderer Staaten in Europa sein können“, sagt Julien Thorel, Experte für die deutsch-französischen Beziehungen bei dem europäischen Think Tank Centrum für Europäische Politik (CEP).

Die Bedeutung der Zivilgesellschaft

Seit einiger Zeit rückt die Bedeutung der Zivilgesellschaft für diesen Zusammenhalt mehr in den Blick. Bei der Erarbeitung des Vertrags von Aachen, den Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident Emmanuel Macron im März 2019 als Ergänzung des Élysée-Vertrages von 1963 über die deutsch-französische Freundschaft schlossen, wurden erstmals Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft befragt. 2019 ging der Adenauer-De Gaulle-Preis nach vielen Jahren erstmals – statt an große Institutionen oder Prominente – an einen sozialpädagogischen, kulturvermittelnden Verein: Une Terre Culturelle in Marseille. Auch der mit dem Vertrag von Aachen neu geschaffene Deutsch-französische Bürgerfonds fördert seit 2020 „neue Ideen und Projekte aus der Zivilgesellschaft, die Menschen zusammenbringen (…) Begegnungen mit Jung und Alt, Stadt und Land, zwischen Sportvereinen, Umweltinitiativen oder Kulturprojekten“.

Aus solchen Formaten entstehen gelebte Verbindungen und ermöglichen eine neue Kooperationskultur – eine produktive Zusammenarbeit der Europäerinnen und Europäer von morgen. Gemeinsame Projekte, konkret vor Ort in Städten und Gemeinden, sind das, was Ralf Dahrendorf einmal die „Außenpolitik der Gesellschaften“ genannt hat. Basis hierfür können auch die seit Jahrzehnten gewachsenen, zahlreichen kommunalen Partnerschaften oder Vereinspartnerschaften sein. Sie können neue, zusätzliche Funktionen übernehmen und zeigen, dass sie mehr können als nur Begegnungen organisieren. Sie können als Mittler agieren und Kontakte anbahnen, die ohne Hilfe nicht entstehen.

Förderung beruflichen Austauschs

William Falguière, zuständig für Austausch in der beruflichen Bildung bei der Fédération des Associations Franco-Allemandes pour l‘Europe (FAFA) hat festgestellt, dass Fördermittel für Austausche zur beruflichen Qualifikation in Frankreich nicht abgerufen werden, weil Berufsschulleitungen oft nicht wissen, wo sie Informationen finden und wie sie eine Partnerschule in Deutschland finden können. Hier könnten Mittler im Rahmen von Städtepartnerschaften helfen, indem sie Schulen in der anderen Stadt suchen oder Dokumente übersetzen.

Gerade in der Förderung beruflichen Austauschs liegen neue Chancen, da es für nichtakademische Fachkräfte kaum Angebote gibt. Thibaut de Champris, Experte für die deutsch-französischen Beziehungen und ehemaliger Leiter des Institut Français in Mainz sieht Potenzial in Feldern wie dem Bäckerhandwerk, im Kunsthandwerk oder auch für Restauratoren. Florian Fangmann, Geschäftsführer im Centre Français de Berlin, teilt diese Einschätzung. Im Centre Français haben sich schon junge deutsche und französische Konditorinnen und Konditoren getroffen und zusammen in der Küche gearbeitet. Die Begegnung war trotz sprachlicher Hürden ein Erfolg, sagt Fangmann – weil die Gruppe gemeinsame Interessen hatte.

Mitglieder des Deutsch-Französischen Jugendausschusses, © DFJA e. V.

Neue, motivierte Zielgruppen

Neue, motivierte Zielgruppen stellen die Kooperation der Zivilgesellschaften und damit den Zusammenhalt in Europa auf eine breitere Basis. Junge Menschen und ihre Interessen spielen dabei eine besondere Rolle. Diese Interessen zu erkennen und passende Angebote zu machen, das hat sich der binationale Deutsch-Französische Jugendausschuss zum Ziel gesetzt. Er bespielt neue Kommunikationswege im Internet und hat auch ein intergenerationelles Forum ins Leben gerufen. Hier geht es einmal im Jahr um berufliche Mobilität und Austausch zwischen Alt und Jung.

Claire Demesmay weist auf die Bedeutung von Programmen hin, die Jugendliche mit Migrationshintergrund einschließen, da diese noch nicht ausreichend adressiert werden. Dabei bedeutet gerade für sie Austausch und Kooperation mit dem Nachbarland eine sehr besondere Erfahrung: Sie werden Botschafter eines Landes, in welches ihre Eltern oder Großeltern noch eingewandert sind.

Sigrid Scherer leitet die gemeinnützige Stiftung der deutsch-französischen Bank ODDO BHF AG. Sie hat Romanistik und Nonprofit-Management studiert, in Deutschland und Frankreich gelebt und ist Diplomée der französischen École Supérieure de Journalisme de Lille.

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