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Französischer Film

Im Taxi mit Madeleine

Cornelia Frenkel

Line Renaud und Dany Boon, © 2022 – UNE HIRONDELLE

20. September 2022

Die Tragikomödie Une belle course / Im Taxi mit Madeleine – eine technisch anspruchsvolle Studioproduktion – läuft demnächst auch in deutschen Kinos.

Was denkt und fühlt jemand, wenn er das Ende seines Lebens kommen sieht? Die 92-jährige Madeleine möchte in ein Pflegeheim nach Courbevoie gebracht werden, denn nach einem Sturz kommt sie alleine nicht mehr zurecht. Sie wirkt entspannt, als der etwas mürrische Taxifahrer Charles kommt, um sie abzuholen.

Nach und nach lockt ihn Madeleine aus der Reserve, setzt ein Gespräch in Gang und bittet ihn schließlich, er möge an Orten haltmachen, die in ihrem Leben von Bedeutung waren. Mit jedem Umweg und Stopp ist Charles, der genau halb so alt ist wie Madeleine, zunehmend von ihrem Leben fasziniert. Das Abweichen von der direkten Route ist ihm willkommen, denn er hadert mit seinem Job als Taxifahrer und mit Beziehungsproblemen – für die Madeleine mit ihrer Lebenserfahrung natürlich den ein oder anderen Ratschlag hat.

Line Renaud und Dany Boon

Die Protagonisten, Madeleine (Line Renaud) und Charles (Dany Boon), sind keine Unbekannten in der Welt des Films, und doch erlebt man sie neu, vor allem Dany Boon. Der Komiker und Regisseur sorgte mit Willkommen bei den Sch’tis (2008) für einen Kassenschlager. Der Publikumsliebling glänzt aber diesmal nicht mit Bereitschaft zu Klamauk und schlagfertigem Witz, sondern gibt sich nachdenklich. Die Sängerin und Schauspielerin Line Renaud gehört seit den 1940er-Jahren zu den Ikonen des französischen Kulturlebens. Beide beweisen in Une belle course / Im Taxi mit Madeleine, dass dem Komischen stets auch das Melancholische innewohnt.

In dem prominent besetzten Film von Christian Carion, nach einem Drehbuch von Cyril Gely, ist Paris die geradezu perfekte Kulisse, um die Gegenwart zu zeigen; im Dialog der Hauptdarsteller sowie durch narrative und filmische Rückblenden auf das Leben von Madeleine wird parallel dazu eine biographische und melodramatische, historische Vergangenheit sichtbar (die Schauspielerin Alice Isaaz spielt Madeleine überzeugend als junge Frau).

Neue Kinematographie

Die Kamera folgt der Taxifahrt, der erste Abstecher führt nach Vincennes. Doch wurde der Film wirklich in den Straßen von Paris gedreht? Nein – vielmehr drehte Kameramann Pierre Cottereau die Mehrzahl der Sequenzen im Studio. Regisseur Christian Carion sagte im Interview, dass die Idee, den Film tatsächlich in Paris zu realisieren, wegen der Widrigkeiten, des Aufwandes und angesichts des Alters von Line Renaud rasch verworfen worden sei.

Dank einer neuen, immersiven Technik ist es gelungen, die perfekte Illusion einer Fahrt durch Paris zu erzeugen: 4K-Monitore sorgen für eine Darstellungsqualität mit klaren und präzisen Bildern. In älteren Filmen wurde noch eine Leinwand hinter einem Auto platziert und Landschaften, Straßenszenen usw. darauf projiziert, vor denen die Szenen spielten – etwa in Filmen von Claude Sautet wie Les choses de la vie, 1970 (cf. Auszüge auf YouTube).

Mit dem immersiven Dispositiv hingegen ist man mitten im Geschehen, d. h. mithilfe mehrerer Bildschirme wurde die Taxifahrt während des Drehs auf das Auto projiziert; der Himmel auf der Windschutzscheibe sorgte zusätzlich für hinreichend Beleuchtung im Innenraum. Selbst die Schauspieler hatten so den Eindruck, das Fahrzeug setze sich in Bewegung. Ein verblüffendes Resultat – „die Technik der Zukunft für Filme im urbanen Milieu“, so der Regisseur.

Vergangenheit und Gegenwart

An den für Madeleine biographisch bedeutenden Orten, die flashbackartig erläutert werden, ergeben sich dramatische Kontraste. So schwärmt sie von ihrer Liebe mit einem amerikanischen Soldaten, der aber nach dem Zweiten Weltkrieg in sein Land zurückkehrt und sie mit dem gemeinsamen Sohn Matthieu zurücklässt. Ihre Liaison mit dem smarten Ray (Jérémie Laheurte) endet wegen dessen Gewaltexzessen in einer Tragödie: Sie wehrt sich, habe ihn aber nicht ermorden wollen, sagt Madeleine während des Prozesses gegen sie, und doch muss sie für lange Zeit ins Gefängnis.

„Haben Sie keine Berufung eingelegt“, fragt Taxifahrer Charles ungläubig, als sie vor dem Justizpalast halten? Lapidar erklärt sie, dass dies in den 1950er-Jahren nicht möglich war: Frauen hatten weder das Recht auf ein eigenes Bankkonto, noch auf die Ausübung eines Berufs – und Gewalt gegen Frauen galt als Kavaliersdelikt.

Die ist in Frankreich noch immer ein aktuelles Thema. Das feministische Kollektiv „Les Colleuses“ (die Kletten) etwa hat ihr entschieden den Kampf angesagt, zum Beispiel 2022 mit einer publikumswirksamen Aktion auf dem roten Teppich des Filmfestivals von Cannes (cf. YouTube).

Taxi mit Madeleine lässt nicht nur diesbezüglich Geschichte(n) Revue passieren.

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