Municipales 2020
Macrons Schlappe
3. Juli 2020
Nicht nur wegen Corona verliefen die Kommunalwahlen in Frankreich bizarr. Insbesondere die historisch geringe Wahlbeteiligung lässt an der politischen Aussagekraft der Ergebnisse zweifeln.
Nach den zwei Wahlgängen im März und Juni 2020 zeigt sich: Präsident Emmanuel Macron ist tief verunsichert, trennte sich deshalb nicht nur von seinem populären Premierminister Édouard Philippe und etlichen Ministern, sondern versucht zudem, seine politische Linie neu zu justieren – was Auswirkungen auf ganz Europa haben dürfte.
Grüne Welle?
Macron ist schon lange nicht mehr jene staatsmännische Lichtgestalt, die es 2017 schaffte, die etablierten Parteien zu demontieren und mit seiner damals neuen Bewegung La République en Marche (LREM) Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Zermürbt durch fast unbeherrschbare Gelbwesten-Proteste und Gegenwind für eine – aus deutscher Sicht – längst überfällige Rentenreform hat der Präsident innenpolitisch seine klare Linie verlassen.
Schon die erste Runde der Kommunalwahlen am 15. März zeigte, dass es seine LREM nicht schaffen würde, sich in den rund 35.000 Städten und Gemeinden Frankreichs zu etablieren. Schon damals waren die Grünen, die in Frankreich alles andere als eine gut organisierte und einige Partei sind, stark. Beim zweiten Wahlgang am 28. Juni beeindruckten sie vor allem, weil sie jetzt in großen Städten wie Lyon, Straßburg oder Bordeaux den Bürgermeister stellen. Sogar in Marseille, der knapp vor Lyon zweitgrößten Stadt im Land, siegte ein links-ökologisches Bündnis. Deshalb wurde das Bild der „grünen Welle“ kolportiert. Das allerdings stimmt nur bedingt, denn die Grünen siegten bevorzugt in Metropolen, im übrigen Land ist die Stimmung eine andere.
„Ambitionierte ökologische Agenda“
Das Wahlergebnis scheint jedoch zu bewirken, dass Macron von der Lichtgestalt sogar zum grüngefärbten und nach links offenerem Wankelmütigen mutiert. Kurz nach der zweiten Runde der Kommunalwahlen befürwortete er eine „ambitionierte ökologische Agenda“. Viele Klimaanlagen, die populären Heizpilze auf Café-Terrassen sowie die meisten Inlandsflüge könnten durch sie verboten werden. Nur dem Plan, auf Autobahnen statt 130 nur 110 Kilometer pro Stunde zu erlauben, erteilte er nach anfänglichem Zögern eine Absage. Die Erinnerung an das deutliche Murren, als 2018 auf Landstraßen Tempo 80 statt 90 eingeführt wurde, war wahrscheinlich doch noch zu präsent.
Solche Änderungen im Alltag betreffen neben der Bevölkerung auch Touristen. Wenn Macron jetzt bei wichtigen Maßnahmen – die wichtigste ist die bereits ins Stocken gekommene Rentenreform – ähnlich wankelmütig wird und seine Politik an Stimmungsbildern ausrichtet, dürfte das Auswirkungen auf ganz Europa haben. Darunter wird auch der gute Eindruck leiden, den er bislang zumindest in der internationalen Politik hinterlassen hat.
Historisch niedrige Wahlbeteiligung
Dabei wäre der Präsident gut beraten, die Ergebnisse der beiden Kommunalwahlrunden nicht zu hoch zu bewerten. Denn sie liefen wegen der Corona-Pandemie alles andere als normal. Schon beim ersten Durchgang am 15. März gingen nur knapp 45 Prozent (und damit 20 Prozent weniger als 2014) zur Urne. Kein Wunder: Viele Bürgerinnen und Bürger hatten Angst vor Corona, die dritte Stufe der Pandemie-Bekämpfung war bereits ausgerufen. Restaurants und Kirchen waren geschlossen. Macron selbst hatte drei Tage zuvor alle, die älter als 70 sind, zum Daheimbleiben aufgefordert. Und eine Briefwahl gibt es in Frankreich seit den 1970er-Jahren nicht mehr.
Zur mehrfach verschobenen zweiten Runde am 28. Juni gab es wegen der wochenlangen Ausgangssperre so gut wie keinen Wahlkampf. Veranstaltungen waren nicht erlaubt, selbst Plakate wurden in den 4842 betroffenen Kommunen kaum geklebt. Logisch, dass die Wahlbeteiligung nach dieser mangelnden Mobilisierung um weitere fast fünf Prozentpunkte sank. Zumal vor allem die Risikogruppen durchaus Sorgen haben mussten: Denn so konsequent in Frankreich 55 Tage lang die Ausgangs- und Kontaktsperre durchgezogen wurde, desto unbeschwerter verhielten sich die Menschen danach.
In den Tagen vor dem zweiten Wahlgang trugen gefühlt maximal zwei Drittel der Gäste in Restaurants und Hotels die empfohlenen Masken. Persönliche Daten werden in Lokalen, anders als in Deutschland, nicht verlangt. Und die Pandemie-Bekämpfung hat für Macron auch einen negativen, grundsätzlichen Aspekt: Die Franzosen blicken neidisch nach Deutschland, wo es bei milderen Maßnahmen deutlich weniger Todesfälle gab.
Im Focus: Paris, Perpignan, Le Havre
Besonders interessiert wird der Präsident auf drei Städte geschaut haben: Die symbolträchtige Wahl in Paris gewann in der zweiten Runde Amtsinhaberin Anne Hidalgo. Sie ist zwar Sozialistin, trägt aber auch dazu bei, dass Macron die ökologische Bewegung ernst nimmt. Hidalgo ist dabei, die Hauptstadt schier zum Radfahrer-Paradies zu machen. Als nächstes sollen 60.000 Parkplätze weichen. Auch ein Blick auf den neuen Stadtrat ist für Macron ernüchternd. Seine LREM stellt nur sechs von 153 Mitgliedern.
Das nahe der spanischen Grenze gelegene Perpignan ist die erste Großstadt Frankreichs, die von einem Rechtsradikalen regiert wird. Louis Aliot (Rassemblement National, ehemals Front National) erreichte gegen den konservativen Amtsinhaber 53 Prozent. Aliot hatte es allerdings mit Blick auf die Akzeptanz in bürgerlichen Kreisen vorgezogen, auf einer parteilosen Liste zu kandidieren.
Dass in Le Havre als einziger großer Stadt ein offiziell Macron nahestehender Kandidat gewann, war alles andere als ein Triumph für den Präsidenten: Macrons Premierminister Édouard Philippe eroberte das Bürgermeisteramt, das er schon bis 2017 bekleidete. Aber Philippe ist nicht nur parteilos, sondern trat schnellstmöglich als Premierminister zurück, beziehungsweise wurde vom Präsidenten zu diesem Schritt gedrängt. Nun kann er sich aus der nordfranzösischen Hafenstadt in Ruhe das Treiben in Paris anschauen. Viele handeln Philippe, der eine höhere Popularität als Emmanuel Macron genießt, als künftigen Präsidentschafts-Kandidaten.
Municipales 2020
Zwei Wahlgänge
- Im ersten Wahlgang erhielten rund 30.000 Kandidatinnen und Kandidaten über 50 Prozent der Stimmen und waren damit für sechs Jahre direkt gewählt.
- Der zweite Wahlgang am 28. Juni betraf fast 5000 Kommunen, darunter die größten Städte des Landes. Hierzu aufgerufen waren gut 16 Millionen Wählerinnen und Wähler – etwa ein Drittel der Wahlberechtigten.
- Beim zweiten Wahlgang handelt es sich in Frankreich nicht um eine klassische Stichwahl. Es können, wie es zum Beispiel in Marseille geschah, nicht nur die beiden Erstplatzierten der ersten Runde antreten.
- Bürgermeisterinnen und -meister werden in Frankreich schlechter bezahlt als in Deutschland. In Orten bis 10.000 Einwohnern erhalten sie durchschnittlich 2.139 Euro im Monat. Die Einkünfte Anne Hidalgos in Paris betragen offiziell knapp 10.000 Euro.
Umbildung der Regierung
Mit dem Abschied von Premierminister Éduard Philippe nutzte Präsident Emanuel Macron die Chance, sich von einem Premierminister zu trennen, der aus seiner Sicht zu oft im Rampenlicht stand.
Der neue Premierminister Jean Castex (55) ist zwar im politischen Betrieb erfahren, aber selbst viele Französinnen und Franzosen kannten den politischen Spitzenbeamten kaum. Er kommt aus dem 6000-Einwohner-Städtchen Prades im Département Pyrénées-Orientales, dessen Bürgermeister der Vater von vier Kindern war.
Erst in den vergangenen Monaten gewann Castex als Koordinator für die Lockerung der Corona-Beschränkungen etwas Profil („monsieur déconfinement“). Wie Philippe gehörte Castex früher den konservativen Republikanern an –was insofern interessant ist, als in Frankreich immer wieder über einen wiederkehrenden Einfluss des Republikaners und Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy spekuliert wird.
Ebenso wie Jean Castex sind die meisten neuen Minister wenig bekannt. Eine überraschende Ausnahme ist der neue Justizminister: Eric Dupond-Moretti, ein bekannter Staranwalt, der als überzeugter Linker gilt. Als konservativ hingegen gilt der neue Innenminister. Der 37-jährige Gérald Darmanin stammt aus einer Einwandererfamilie mit Wurzeln in Marokko und Malta. Er löst den unter anderem wegen seiner Gelbwesten-Politik und den Umgang mit Rassismus bei der Polizei umstrittenen Christoph Castaner ab. Die neue Umweltministerin Barbara Pompili war früher bei den Grünen aktiv. Die 73-jährige neue Kultusministerin Roselyne Bachelot hatte schon unter Nicolas Sarkozy diese Position inne. In anderen wichtigen Ministerien, u. a. für Wirtschaft- und Finanzen, Gesundheit, Außenpolitik und Verteidigung, bleiben die Ministerin und die Minister im Amt.