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Hôtel des Autrices

Freiraum für Autorinnen

Birgit Holzer

© Shutterstock

25. Februar 2022

Das Netzwerk französischsprachiger Autorinnen in Berlin unterstützt mit seinem Projekt Hôtel des Autrices Autorinnen bei ihrer kreativen Tätigkeit, schafft zudem einen Raum für kollektive Arbeit und bietet damit eine einzigartige digitale Plattform.

Ein Raum ganz für sich allein. Ein Rückzugsort, an dem man die Türe hinter sich schließen und einfach ganz in Ruhe schreiben kann – ohne Kindergeschrei, ohne Kommentare des Partners oder das Rauschen der laufenden Waschmaschine. Das war die Sehnsucht der französischen Künstlerin, Autorin und Kuratorin Marie-Pierre Bonniol. „Nachdem ich Mutter geworden war, fehlte mir dieser Ort für mich, physisch wie auch mental. Ich hatte immer Schuldgefühle: Wenn ich arbeitete, weil ich nicht bei meinem Kind war, und wenn ich mein Kind bei mir hatte, weil ich nicht arbeitete.“ Auch deshalb interessiert sie sich für das Motiv des Hotels in der Literatur, welches einen physischen wie auch mentalen Raum, ja Freiraum bietet.

Weltweit einzigartig

Wie Bonniol geht es sehr vielen Frauen, die versuchen, ihre literarische oder künstlerische Tätigkeit mit ihrem Alltag, ob dem Familienleben oder beruflichen Anforderungen, in Einklang zu bringen. Und so konzipierte die in Berlin lebende Französin ein Projekt, das in dieser Form bislang weltweit einzigartig ist: Das „Hôtel des Autrices“, das „Hotel der Autorinnen“, ist eine digitale Plattform frankophoner Autorinnen, Produzentinnen und Übersetzerinnen in Berlin, über die schreibende Frauen einander unterstützen und begleiten.

Marie-Pierre Bonniol, © Ph. Lebruman

Gemeinsam mit kulturellen oder literarischen Partnerorganisationen, die die Finanzierung sicherstellen, vergibt es seit einem Jahr wechselnde „Residenzen“ an Autorinnen, die für ihre Arbeit bezahlt werden. An einen Ort sind sie nicht gebunden, doch diese Stipendien, die jeweils mit insgesamt 2000 Euro dotiert sind, ermöglichen ihnen acht Wochen lang den Frei-Raum für ihr Schaffen.

Ein Monat ist dem Schreiben gewidmet, ein weiterer Monat der redaktionellen Arbeit, der Übersetzung und dem Aufbereiten für das digitale Format, mitunter auch mithilfe von Vertonung oder Videos. Schließlich wird das Ergebnis auf der Internet-Seite des Hotels präsentiert und im Rahmen einer Veranstaltung vorgestellt.

Literatur = Kunst

Die Arbeit ist kollektiv, transdisziplinär und grundsätzlich zweisprachig ausgerichtet. „Wir emanzipieren uns von den Gesetzen des Marktes und der Verlagsbranche, erlauben uns, nach unseren eigenen Methoden zu funktionieren – und die Ergebnisse können sich sehen lassen“, sagt Delphine de Stoutz, eine der Mitbegründerinnen und selbst Autorin. In ihren Augen sollte literarische Kunst auch wirklich als Kunstform angesehen werden und wie plastische oder darstellende Künste auch staatliche Unterstützung erhalten.

Beim Start des Projekts halfen Gelder des Deutsch-Französischen Bürgerfonds. Inzwischen beteiligen sich als Partnerstrukturen das Centre Wallonie-Bruxelles, die Marseiller Organisation La Marelle, das Kulturinfrastrukturförderprogramm Neustart Kultur, die Vertretung der Regierung von Quebec in den deutschsprachigen Ländern, das Maison des Francophonies in Berlin, das Projekt „schreiben & leben“ und „Productions Rhizome“.

Delphine de Stoutz, © Mick Vincenz

Von Frauen für Frauen

Umgesetzt hat das Projekt der 2020 gegründete Berliner Verein „Netzwerk der Autorinnen“ (Réseau des Autrices). Ihm gehören derzeit 45 Autorinnen an, die in der deutschen Hauptstadt leben, auf Französisch schreiben und schon durch diese Konstellation mit ähnlichen Fragestellungen konfrontiert sind.

Gemeinsam versuchen sie, einen französischsprachigen literarischen Raum inmitten der Berliner Literaturszene zu schaffen. „Im Bereich der Literatur ist die deutsch-französische Achse noch wenig ausgearbeitet“, so Delphine de Stoutz.

Der Verein sieht sich als ein Sprungbrett an, um multikulturelle und mehrsprachige Schreibpraktiken neu zu denken und weiterzuentwickeln, aber auch als eine politische Initiative für Empowerment von Frauen für Frauen. Er organisiert szenische Lesungen, Podiumsdiskussionen oder Schreibateliers. Und er kümmert sich um das „Hôtel des Autrices“ und die schreibenden „Hotelgäste“, von denen es bislang 22 gab.

Starke Stimmen

Im Herbst 2021 zogen Julie Tirard, Laura Vazquez (sie erhielt 2021 eine Sonder-Auszeichnung des Wepler-Preises), Lise Villemer und die Deutsche Maike Wetzel in ihre digitalen Hotelzimmer ein. Ausgesucht wurden sie von einer externen, zweisprachigen Jury.

Maike Wetzel, © Andreas Potthoff

Drei Punkte seien entscheidend für eine erfolgreiche Bewerbung, sagt Delphine de Stoutz. Es müsse sich um frankophone oder deutschsprachige Autorinnen mit einer „starken Stimme“ und überzeugenden poetischen und literarischen Qualitäten handeln. Sie sollten sich mit den Themen und Schwerpunkten des Hotels, also dem Feminismus, der kollektiven Arbeit und dem digitalen Format, identifizieren.

„Außerdem muss das Projekt als Hebel für eine künstlerische Karriere der Autorin betrachtet werden“, sagt de Stoutz. Die Residenzen dienten dazu, dass die Frauen „das Beste aus sich herausholen können“. Das digitale Format erlaube neue Wege des Schreibens und des Lesens, eine andere Art zu erzählen, ist Delphine de Stoutz überzeugt.

Es sei eine alte Debatte, ob Frauen eine eigene Art zu schreiben haben. Sie selbst beantworte die Frage mit Ja: „Wir haben 22 Autorinnen, die einander nicht kannten und die doch von ähnlichen Themen und Motiven sprechen.“ Frauen täten sich oft schwerer mit langen Formaten wie Romanen. Oft bevorzugten sie Novellen, Kurzerzählungen, Mikro-Fiktionen.

Digitales Archiv

Schon jetzt stelle die Homepage des Hotels eine Art „Bibliothek“ oder Archiv von Texten von Frauen dar, eine Vitrine sowieso. Alle sind zweisprachig. Das Projekt lebe von der Energie all jener, die sich daran beteiligen, sagt Marie-Pierre Bonniol. Auch gehe es darum, den schreibenden Frauen zu mehr Selbstbewusstsein zu verhelfen. Noch immer werde die Frage nach der Legitimität schreibender Frauen regelmäßig aufgeworfen. Doch sei nicht „Harry Potter“, einer der größten Bestseller „nach der Bibel“, von einer Frau, Joanne K. Rowling, verfasst worden?

Während sich sowohl Männer als auch Frauen literarisch betätigen, stammen rund 70 Prozent der Veröffentlichungen von männlichen Autoren. „Bei uns heißt es oft: Ach, ich schreibe alleine vor mich hin in mein kleines Büchlein, habe es nie zu Ende gebracht.“ Diese Etappe der Kreation, des Schreibens sei jedoch essentiell, damit in der Folge mehr daraus entstehen könne. Das Hôtel des Autrices verhilft den Frauen daher zu konkreter Unterstützung und gibt ihnen auf eine Weise Schlüssel in die Hand, um sich literarisch zu entfalten. Schlüssel für ihren ganz eigenen, kreativen Raum.

Das Netzwerk französischer Autorinnen in Berlin online

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