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Französische Regionen

Vielseitiges Frankreich

Rebecca Junglas

© ilbusca, iStock

17. Oktober 2021

„Paris ist nicht Frankreich, aber Frankreich ist nichts ohne Paris“ – ein Bonmot, das nur mit Einschränkungen gültig ist.

Die Beiträge der Französischen Sommeruniversität der Universität Freiburg bestätigten 2021 unter dem Thema „La France plurielle. Les régions françaises en leur diversité“ (Pluralistisches Frankreich. Die französischen Regionen in ihrer Vielfalt): Zwar mag die Strahlkraft der französischen Hauptstadt ungebrochen sein, aber ebenso ist Frankreich nicht Frankreich ohne seine in Paris leicht abschätzig genannte province mit ihren vielfältigen Regionen (die nicht unbedingt der politischen Aufteilung seit 2016 entsprechen), Landschaften, Sprachen und nicht zuletzt Küchen.

La province in der Kunst

Das reiche kulturelle Erbe wie auch das Kulturschaffen in Frankreich gehen Hand in Hand mit den Einflüssen der Regionen. Sie prägten und prägen zahllose Künstlerinnen und Künstler – und die Kunst im Gegenzug regionale Charakteristiken und Mythen. Nicht nur porträtierte Cézanne die Montagne Sainte-Victoire nahe Aix-en-Provence gleich 87 Mal, auch der Garten Monets in der Normandie ist Legende.

Cézanne-Motiv Montagne Sainte-Victoire, © Adobe Stock

Zwar spielen im Land der Cinéasten neun von zehn Filmen in Paris, aber auch die Regionen spielen keineswegs nur Nebenrollen. Beste Beispiele: Der Publikumserfolg Willkommen bei den Sch’tis (Bienvenue chez les Ch’tis, 2008), die Verfilmungen der Provence-Romane Marcel Pagnols (z. B. La Gloire de mon père, 1990; Der Ruhm meines Vaters), die eher unbekannten und dennoch malerischen Landschaften der Côte d’Opale in Bruno Dumonts Ma Loute oder die einzigartige Schönheit der Bretagne.

Für zeitgenössische Schriftsteller wie Nicolas Mathieu, der mit seinem Porträt des ostfranzösischen Niemandslandes (Wie später ihre Kinder, 2018) den Prix Goncourt gewann, Sylvain Prudhomme (Prix Femina und Prix Landerneau 2019 für Par les routes, ein Roman, der im Südosten Frankreichs spielt) sowie Didier Eribon (Retour à Reims, 2017, Rückkehr nach Reims) ist die „Provinz“ ein wichtiges Sujet, Annie Ernaux und ihr normannischer Herkunftsort Yvetot sind in ganz Frankreich in aller Munde.

Die Kathedrale in der Altstadt von Reims, © Thierry Guimbert, Adobe Stock

Ungewöhnliches und Unerwartetes gibt es über die  klassischen (Pariser) Chansons hinaus im musikalischen Kontext zu entdecken: Vor allem die insbesondere von Frauen mündlich überlieferten Klänge bestimmter Instrumente, Gesänge (auch und gerade in den Regionalsprachen Bretonisch, Baskisch, Okzitanisch …), die von  jeher auf dem Land und über das ganze Land Riten und Festlichkeiten begleiteten und gestalteten. Es sind Klänge, die ganze Welten verkörpern und schroffe oder sanfte Landschaften im Spiegel der Jahreszeiten abbilden. Die Musikjournalistin Aliette de Laleu hat diese Klänge gesammelt und Aufnahmen ihrer Interpretinnen (etwa Louise Ebrel und Andrée Duffault) zusammengetragen.

Kulinarisches

Die Mythen der französischen Küche sind aufs Engste mit den Regionen verknüpft: Keine Provence ohne Thymian, Olivenöl und Knoblauch, keine Normandie ohne Butter und Sahne, keine Bourgogne ohne escargots, kein Espelette ohne piment. Die Produkte, die das berühmte terroir hervorbringt, sind seit Jahrhunderten der Fond für die Küchen der Regionen – so nimmt man zumindest an.

Piments aus Espelette, © Shutterstock

Eine ganze Reihe regionaltypischer Zutaten hat jedoch teilweise erst verhältnismäßig spät ihren Weg aus Übersee in die französische Küche gefunden und auch Rezepte waren nicht immer so unzertrennlich mit den Regionen verbunden, wie sie es heute sind: So etwa stammt das Rezept für das berühmte bœuf bourguignon ursprünglich aus einem Pariser Kochbuch. Auch Weinbergschnecken gibt es im Elsass wie in der Bourgogne und in anderen französischen Regionen, genauso wie die Zutaten für Crêpes oder Quiches.

Es war zudem nicht immer die arme Landbevölkerung, die mit dem, was sie hatte, die authentische Küche entwickelte. Olivenöl, Knoblauch, Zucchini, Tomaten und Paprika beispielsweise kannte die provençalische Küche teilweise bis ins 19. Jahrhundert überhaupt nicht. Und ausgerechnet vermeintliche Arme-Leute-Küche ist nicht selten beeinflusst durch die maîtres cusiniers der Bourgeoisie, ein Beispiel unter vielen: die bouillabaisse.

Dennoch: Der vielseitige Charakter der verschiedenen Regionalküchen prägt wie kein anderes Element das Bild eines pluralistischen Frankreichs, das zusammengenommen weit mehr ist als die Summe seiner Teile.

Nur beim Brot ist, anders als Deutschland, ganz Frankreich vereint: Bezüglich der baguette gilt die Devise „ein Land – ein Brot“.

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1 Kommentare/Commentaires

  1. Sehr treffende Darstellung der Situation in Frankeich: das eher arrogante Auftreten derjenigen, die von Paris aus auf die Province herabblicken, und Übernahme dieses Frankreichbildes in Perspektiven auf Paris und ‚Restfrankreich‘ von außen. Dagegen die wachsende Bedeutung und selbstbewusste Darstellung der einzelnen Regionen mit internationaler Bedeutung in Kunst, Film, Literatur und sogar auch in der Küche, mit Unterstützung berühmter Köche…
    Danke für diese Erinnerung an das selbst Erlebte.

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