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Frankreich-Krimis

Mörderische Provinz

Martin Vogler

Täuscht die Postkartenidylle? © jakubtravelphoto, Shutterstock

31. Dezember 2021

Deutsche lieben Krimis, die in Frankreich spielen. Das Phänomen dabei: Hinter populären Autoren mit klangvollen Pseudonymen wie Jean-Luc Bannalec, Pierre Lagrange oder Robert de Paca verbergen sich deutsche Schriftsteller.

Ihr Erfolgsrezept: Sie bedienen Sehnsüchte nach dem Traumland Frankreich, das sie fast immer in der Provinz und gerne am Meer entdecken. Den Verlagen ist das bewusst. Imke Schuster, Vertriebs- und Marketingleiterin der DuMont Buchverlage, bringt die Frage nach dem Erfolgsrezept der Schriftstellerinnen und Schriftsteller auf den Punkt: „Ich glaube, gerade weil sie deutsch denken und somit wissen, was Deutsche in Frankreich suchen, welche Sehnsüchte wir haben und was wir an Frankreich schön finden.“ Imke Schuster muss es wissen, denn ihr Haus verlegt mit Cay Rademacher den deutschen Frankreich-Krimi-Schriftsteller mit der zweithöchsten Auflage. Der Flensburger hat seine Sehnsüchte nach dem Traumland für sich selbst befriedigt. Er lebt, wie viele seiner schreibenden deutschen Kolleginnen und Kollegen, mittlerweile in Frankreich. Er ist mit einer Französin verheiratet, und wer ein wenig an seinem Leben teilhaben will, kann dies in seinem Blog tun. Rademacher ist übrigens einer der wenigen, der unter seinem wirklichen Namen veröffentlicht.

Cay Rademacher

Bei seinem Protagonisten, Capitaine Roger Blanc, steht ein Aspekt im Mittelpunkt, der sich in den meisten Frankreich-Krimis findet: Der Ermittler ist eigentlich ein Superstar, aber durch widrige Umstände, beispielsweise eine persönliche Lebenskrise oder eine Strafversetzung, irgendwo – oft in der tiefsten Provinz – gelandet. Bei Roger Blanc ist das die Gegend rund um die Côte Bleue westlich von Marseille. Dank seiner Qualifikation und seiner Erfahrung ist er natürlich allen örtlichen Ermittlern haushoch überlegen.

Die Bucht von Méjean an der Côte Bleue westlich von Marseille, © BurningR-Projekt, Shutterstock

Ein zweiter Aspekt, der sich durch viele Frankreich-Krimis zieht, sind die meist schwierigen amourösen Beziehungen der Helden: Bei Roger Blanc ist das besonders gefährlich, weil er ein heimliches Verhältnis mit der Untersuchungsrichterin Aveline hat. Dass diese mit dem für Blanc zuständigen Minister verheiratet ist, macht es nicht einfacher. Denn der Politiker kennt Roger Blanc aus dessen glorreicheren Pariser Zeit und hasst ihn.

Lesetipp:
Cay Rademacher: Briefe aus der Provence

Jean-Luc Bannalec

Eine sehr komplizierte Beziehung zu seiner weiterhin in Paris lebenden Freundin pflegt auch Kommissar Georges Dupin nach seiner Strafversetzung in die Bretagne. Diese Figur des Autors Jean-Luc Bannalec ist aufgrund von mehr als vier Millionen verkauften Büchern den meisten Deutschen ein Begriff. Die ersten acht Bände wurden bereits für das deutsche Fernsehen verfilmt. Die Bretonischen Spezialitäten – so der Titel des neunten Bandes – und die anderen Werke beleben den bretonischen Tourismus ungemein, weil Deutsche ihren Bretagne-Urlaub mit der Suche nach Originalschauplätzen verbinden oder sogar extra deswegen dorthin reisen.

Bretonische Verhältnisse in Concarneau, © Ronan Davalan, Shutterstock

Auch Jean-Luc Bannalec, der erst 2020 seinen wahren Namen, Jörg Bong, verraten hat, lebt zumindest zeitweise an seinen Sehnsuchtsorten im Departement Finistere – also am Ende der Welt (finis terra). Seine Bücher sind nicht nur wegen der Spitzenplätze in den Bestsellerlisten eine Ausnahme: Sie erscheinen auch auf Französisch und die deutschen Verfilmungen werden teilweise synchronisiert sogar im französischen Fernsehen gezeigt. Insgesamt sind Bannalecs Bretagne-Krimis in 14 Sprachen übersetzt.

Benjamin Cors

Mit Übersetzungen, vor allem ins Französische, tun sich die meisten Verlage schwer. Die Sprecherin von Cay Rademacher nennt immerhin Veröffentlichungen in Spanien und den USA. Aber: „Unsere Lizenzabteilung hat immer mal wieder mit französischen Verlagen wegen Übersetzungen gesprochen, aber immer wieder ohne Erfolg“, bekennt Stefanie Schill von der dtv Verlagsgesellschaft. Teilweise sei die Rückmeldung gekommen, dass man für eine Krimiserie, die in Frankreich spielt, keinen deutsch-französischen Autor wolle. Denn ihr Autor Benjamin Cors arbeitet zwar in Deutschland als Journalist, ist aber Deutsch-Franzose und hat seine Kindheit in der Normandie verbracht.

Häuserfassaden in Deauville, © Pack-Shot, Shutterstock

In seinen Krimis kämpft Bodyguard Nicolas Guerlain in der Normandie erfolgreich gegen übelste Machenschaften. Was dabei kaum verwundert: Der Held ist eigentlich in Deauville und Umgebung weit unter seinen Fähigkeiten eingesetzt und pflegt eine Liebesbeziehung, die nicht nur total kompliziert ist, sondern auch immer wieder seine Ermittlungen beeinflusst. Die Krimis fesseln durch ihre spannenden und überraschenden Wendungen – und begeistern wegen ihrer detaillierten Schilderung der Örtlichkeiten.

Robert de Paca

Provence-Fans sind unter anderen mit den Büchern von Robert de Paca, das Pseudonym eines ebenfalls deutschen Autors, bestens bedient. Wer Nizza kennt, wird die Handlungen seiner beiden dort spielenden Bücher im Geiste auf dem Stadtplan verfolgen und ob der liebevollen Präzision begeistert sein. De Pacas Protagonisten in den Nizza-Romanen sind Ausnahmen: Sein Held ist kein Polizist, sondern der Chauffeur eines Luxushotels, dem eine Versicherungsdetektivin hilft. Professionelle Ermittler sind dann wieder in seinem Buch Die Mirabeau-Morde in der Gegend von Aix-en-Provence am Werk, wo der Schriftsteller – nach vielen Jahren in Nizza – heute lebt (siehe das Interview am Ende des Beitrags).

Über den Dächern von Nizza, © Martin Vogler

Pierre Martin

Sehnsüchte nach der Provence bedient auch „Pierre Martin“ mit seiner Madame le commissaire Isabelle Bonnet. Die Kommissarin rollt von einem fiktiven, traumhaften kleinen Ort die Kriminalität in halb Südfrankreich auf. Zum Ärger der örtlichen Polizisten hat sie allerbeste Beziehungen nach Paris und genießt somit quasi Narrenfreiheit. Auch Christine Steffen-Reimann von der Verlagsgruppe Droemer Knaur, die als „Entdeckerin“ von Pierre Martin gilt, hat sich über das Erfolgsgeheimnis deutscher Frankreich-Krimis Gedanken gemacht. Sie sieht sie als „ideale Urlaubslektüre“, da sie sehr atmosphärisch seien und viel über Land, Leute und nicht zuletzt Kulinarik vermittelten. Sie ergänzt: „Man sollte meinen, dass französische Krimiautoren das viel besser könnten. Aber hier werden natürlich Klischees bedient, die diese wohl eher vermeiden würden.“

Remy Eyssen und Pierre Lagrange

Den Aspekt Urlaubslektüre stellt wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen die Lektorin Wiebke Bolliger, die beim Ullstein Buchverlag für Remy Eyssen zuständig ist, in den Vordergrund. Der aus München stammende Eyssen lässt seinen Helden, den Gerichtsmediziner Leon Ritter, vor allem in Le Lavandou ermitteln. Der eigentlich unspektakuläre Badeort westlich von Saint-Tropez ist bei deutschen Urlaubern sehr beliebt.

Gordes in der Provence, © Martin M303, Shutterstock

Vaucluse-Fans hingegen sind bei Pierre Lagrange, das Pseudonym von Sven Koch, gut aufgehoben. Auch hier ermittelt ein aus der Bahn geworfener Polizist. Allerdings ist Commissaire Albin Leclerc nicht strafversetzt, sondern zu seinem Kummer schlicht in Pension geschickt worden. Trotzdem mischt er sich gegen den Willen seiner Ex-Kollegen in Carpentras, Gordes und anderen Städten immer wieder mit unorthodoxen Methoden ein. Und ist natürlich extrem erfolgreich dabei – nicht zuletzt dank seines Hundes, ein Mops namens Tyson, den er zu seiner Pensionierung geschenkt bekam.

Kommissar Leclerc „bespricht“ seine Fälle mit Tyson, dem er immer wieder wertvolle „Tipps“ verdankt. Wir fragten den Autor, der selbst keinen Hund, sondern eine Katze hat, warum es ein Mops sein muss. Seine Anwort: „Ich fand, dass ein Mops von der Größe, dem Charakter und der Ausstrahlung her gut zu Albin passen würde. Möpse sehen immer so nachdenklich aus, und Tyson ist ja Albins Nachdenk-Partner. Albin ist groß, der Hund sollte klein sein, ohne neben ihm lächerlich zu wirken.“ Und warum hat Pierre Lagrange als deutscher Autor diesen Erfolg? Lagranges Lektorin Katinka Bock glaubt, dass er als deutscher Autor natürlich genau wisse, „was die eigenen Landsleute am Nachbarland so schätzen“.

Sophie Bonnet, Alexander Oetker, Christine Cazon, Anne Chaplet, David Tanner

Wer deutsche Autorinnen und Autoren von Frankreich-Krimis sucht, wird in fast jeder Region fündig. Etwa bei Sophie Bonnet (Pseudonym für Heike Koschyk) in der Camargue, wo sie Pierre Durand ermitteln lässt. Oder in Aquitanien in den Büchern mit Luc Verlain von Alexander Oetker. In Cannes hingegen ist Léon Duval tätig, den Christine Cazon (Pseudonym für Christiane Dreher) erschaffen hat. Wer die Cevennen liebt, sollte Anne Chaplet (Pseudonym für Cora Stephan) lesen, bei Arcachon sollte es David Tanner sein.

Das Bassin von Arcachon mit der Düne von Pilat, © sylv1rob1, Shutterstock

Die Popularität der Autorinnen und Autoren ist unterschiedlich groß. Und nicht alle stehen, obwohl das wahrscheinlich den Verkauf der Bücher fördern würde, gerne im Rampenlicht. Legendär sind die Erfahrungen des 2018 verstorbenen englischen Erfolgsautors Peter Mayle. Der musste entnervt seinen geliebten Wohnsitz im Luberon verlassen. Seine Fans umlagerten sein Haus, luden sich selbst zum Frühstück ein – oder sprangen sogar in den Pool.

Persönliche Lektüre-Tipps mit Leseproben

Provence, Alpes, Côte d’Azur

Robert de Paca ist Bayer. Doch Krimifans kennen ihn als erfolgreichen Autor von Romanen, die in Südfrankreich spielen. Dort, in der Region PACA (Provence-Alpes-Côte d’Azur), deren Name ihm die Idee für sein Pseudonym gab, lebt er seit Jahrzehnten. Im Interview mit Martin Vogler berichtet Robert de Paca über seinen Alltag in Südfrankreich, seine Motivation beim Schreiben und sein neues Projekt.

Ihre Romane spielen in Nizza und in der Gegend von Aix-en-Provence. Warum keine Bücher aus Ihrer ursprünglichen Heimat?

München hat sich seit meinem Wegzug in vielerlei Hinsicht verändert. Aus dem sogenannten „Millionendorf München“ meiner Jugendzeit wurde nach und nach eine Großstadt.

Wenn ich dann mein eigenes Erwachsenenleben betrachte – Berufsalltag, Familienleben, Freundeskreis –, lebe ich jetzt schon länger in Frankreich als in Deutschland. Würde ich nach so langer Zeit plötzlich einen deutschen Regionalkrimi schreiben wollen, wäre der sicherlich nicht sehr authentisch. Die Nizza-Romane habe ich geschrieben, als ich bereits mehr als zehn Jahre dort gelebt und gearbeitet hatte, und nach dem Umzug in die Provence spielte der nächste Roman dann aus dem gleichen Grund in Aix.

© Robert de Paca

Sie leben seit mehr als 20 Jahren in Südfrankreich. Was fasziniert Sie – abgesehen von der Küche – so besonders?

Ein ganz banaler Grund war schon immer das Wetter. Südfrankreich bietet zwar alle vier Jahreszeiten, aber eben mit viel mehr Sonne und gleichmäßigeren Temperaturen als im bayrischen Voralpenland, wo sich Regenwetter gern mal tagelang festsetzt und dabei auch die Quecksilbersäule des Thermometers auf Tauchstation geht. Wenn es hingegen hier regnet, bleibe ich schon mal auf der Veranda sitzen und höre einfach dem Prasseln zu. Wetterbedingt spielt sich viel im Freien ab, was das mediterrane Leben so herrlich unkompliziert macht: Ich habe mich beispielsweise noch nie mit meinem Nachbarn verabredet, das ergibt sich einfach automatisch. Geh ich aus dem Haus und er sitzt in seinem Garten, winkt er mich zu sich herüber und ehe man sich versieht, hat man einen Pastis vor sich stehen. Soviel Zeit muss einfach sein.

Warum lieben Deutsche Ihre Bücher – und die der anderen vielen deutschsprachigen Autoren französischer Kriminalromane?

Nach In den Straßen von Nizza habe ich Zuschriften bekommen, von Lesern, die die Gegend bereits kannten und durch die detailgetreue Schilderung der Schauplätze nochmal diesen Urlaub durchleben durften. Als Autor freut einen sowas natürlich. Genauso, wenn die Leser Authentizität ganz allgemein loben: Stimmige Charaktere der Nebendarsteller, die oft durch Nachbarn oder Arbeitskollegen inspiriert sind, oder Marotten und Eigenheiten der Franzosen, die man erst versteht, wenn man mit ihnen lebt.

Und was die Beliebtheit von Frankreichkrimis im Allgemeinen angeht, spielen meiner Meinung nach bei Krimis – im Gegensatz zu Thrillern, bei denen es meist um puren Nervenkitzel geht – auch die Region und deren Bewohner eine sehr wichtige Rolle. Man begibt sich beim Lesen schließlich auch auf die Reise in ein anderes Land, eine andere Kultur. Côte d’Azur, Provence oder die Bretagne sind da natürlich beliebte Sehnsuchtsziele für das Kopfkino.

Als leidenschaftlicher Koch stehen Sie gerne selbst am Herd. Wenn Sie dennoch essen gehen: Wo sehen Sie die größten Unterschiede der aktuellen deutschen und französischen Küche?

Deutschland hat viele hervorragende Köche. Der Unterschied liegt vermutlich eher darin, welchen Stellenwert die heimische Gastronomie in der Bevölkerung hat. In Frankreich werden gute Küchenchefs wie Helden verehrt. Während der nationalen Semaine du Goût, der „Woche des Geschmacks“, kommen die Kochprofis aus ihren Kochtempeln und veranstalten aufwendige Events, um den Franzosen ihr gastronomisches Kulturerbe in seiner ganzen Vielfalt näherzubringen. Selbst in der Grundschule geht es in dieser Woche nur um gutes Essen. Zuerst als Theorie im Unterricht, und dann mittags in der Kantine, damit schon die Kleinsten auch mal bisher unbekannte Geschmäcker kennenlernen. Sowas prägt natürlich und Franzosen geben vermutlich deshalb deutlich mehr Geld für Restaurantbesuche aus als ihre deutschen Nachbarn.

Der zweite Grund ist, dass Franzosen ihren Nationalstolz ungeniert ausleben. Das Lernen und Singen der Nationalhymne ist bereits in der Grundschule Pflicht und die Franzosen sind stolz auf ihre Nation. Essen und Genießen werden als nationale Werte empfunden, und das nicht erst seit die Unesco die französische Gastronomie als Weltkulturerbe klassifizierte.
Der Franzose ist auf seine Gastronomie genauso stolz wie der Deutsche auf sein Ingenieurwesen.

Auf welche neuen Veröffentlichungen können sich Ihre Leser freuen?

Meine Kinder waren – wie wohl bei den meisten – die letzten sechs Monate durchgehend zuhause: Ferien, Homeschooling und dann wieder Ferien – da bekommt der Begriff „alleinerziehend“ eine ganz neue Facette. An Schreiben war unter diesen Umständen nicht zu denken. Jetzt ist endlich das neue Schuljahr losgegangen und ich habe mit einem Buch angefangen, das sehr wahrscheinlich der Auftakt zu einer Serie wird. Es spielt natürlich wieder in der Provence, einige altbekannte Gesichter tauchen vielleicht auch kurz auf, aber der allgemeine Rahmen ist neu. Ich habe bisher für jeden Krimi Leserunden veranstaltet – aber da waren die Bücher ja bereits fertig gedruckt. Für das neue Projekt möchte ich die Anregungen und Kritiken aus den vergangenen Leserunden berücksichtigen.

Protagonist wird eine Privatperson sein, kein Polizist. Genaueres wird aber noch nicht verraten.

Robert de Paca online

Dialog Dialogue

2 Kommentare/Commentaires

  1. Danke für die zahlreichen Tipps, einige Krimis habe ich gelesen. Allerdings lese ich lieber Romane, vor allem historische. Wie sieht es da aus. Haben diese Autoren auch das im Angebot. Herzliche Grüße von der Bergstraße und seit 50 Jahren auch in Le Lavandou.

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