Französische Klima- und Umweltpolitik
Wider den Ökozid
10. September 2021
Die weitgehende Einstellung von Inlandsflügen, Klimaschutz-Unterricht, vegetarisches Essen in Schulkantinen und unverpackte Lebensmittel in Supermärkten: Eine ganze Reihe sehr konkreter Regelungen sollen in Frankreich den Ausstoß von Treibhausgasen verringern.
„Make our planet great again“ – ein Slogan, mit dem Emmanuel Macron im Frühjahr 2018 auf die Ankündigung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump („Make America great again“) reagierte, als die USA ankündigten, aus dem Pariser Klima-Abgekommen auszusteigen. Macron präsentierte sich damals als Klima- und Umweltschützer, als Vorkämpfer für die große Herausforderung.
Verschobene Energiewende
Zu Unrecht, wie ihm französische Umweltorganisationen und Grüne vorwarfen: Er betreibe lediglich PR, aber keine substantielle Umweltpolitik. Auch mit Deutschland gab es Streit, da Frankreich auf EU-Ebene das Ziel verfolgt, Atomkraft als CO2-freie und damit nachhaltige Energie anerkennen zu lassen – um von EU-Fördermitteln zu profitieren.
Tatsächlich verschob Macrons Regierung die Etappen der von seinem Vorgänger François Hollande beschlossenen Energiewende mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien und der Reduzierung des Anteils der Kernenergie von 75 auf 50 Prozent um Jahre. Auch brach der Präsident auf Druck der Landwirtschaftslobby sein Versprechen, spätestens bis 2020 das Pestizid Glyphosat in Frankreich zu verbieten.
Seit der bekannte TV-Moderator und prominente Öko-Aktivist Nicolas Hulot im August 2018 frustriert sein Amt als Umweltminister niederlegte, haftet Macron zudem der Ruf an, den Klimaschutz nicht ernst zu nehmen.
Ein alltagstaugliches Gesetz
Um diesen Vorwurf zu widerlegen und wohl auch mit Blick auf die Erfolge der französischen Grünen-Partei Europe Écologie – Les Verts bei den Europa- und Kommunalwahlen, ließ er nun das neue Gesetz „Klima und Resilienz“ auf den Weg bringen. Es stützte sich auf einige – aber nicht alle – Vorschläge des von ihm geschaffenen „Bürgerrats für das Klima“ (s. u.) und wurde im Mai mit klarer Mehrheit von der Nationalversammlung beschlossen, bevor im Juni im Senat darüber debattiert werden soll.
Noch vor der Endversion sagte Umweltministerin Barbara Pompili stolz, das Gesetz werde „den Alltag all unserer Bürger verändern“. So sollen ab 2030 nur noch abgasarme Autos verkauft werden und ab 2040 keine Lastwagen mehr, die hauptsächlich fossile Energien verbrauchen. Laut Studien sind die rund 600.000 Diesel-Lkw im französischen Fuhrpark für rund 24 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Der Steuervorteil für Dieselbenzin soll fallen und Diesel-Fahrzeuge sukzessive aus den Stadtgebieten verbannt werden. In mehreren Städten wie Paris, Grenoble und Lyon gelten bereits solche Fahrverbote, die bisher vor allem ältere Modelle betreffen.
Schiene statt Luft
Inlandsflüge, für die es alternative Zugverbindungen mit weniger als zweieinhalb Stunden Fahrzeit gibt, werden gestrichen. Das betrifft z. B. die Strecken von Paris nach Nantes, Lyon und Bordeaux – es sei denn, die Passagiere haben Anschlussflüge gebucht. Der „Bürgerrat für das Klima“ hatte sogar vorgeschlagen, diese Regel für Strecken anzuwenden, die in höchstens vier Stunden mit dem Zug erreichbar sind. Davon abgesehen dürfen Flughäfen nicht mehr ausgebaut werden, wenn damit eine Erhöhung des CO2-Ausstoßes verbunden ist.
Wärmedämmung, Bildungsoffensive, Produkt-Kennzeichnungen, Prämien
Die Wärmedämmung von Häusern gilt als eines der Schlüsselelemente für die Energiewende. Immobilien mit besonders hohem Energieverbrauch dürfen langfristig nicht mehr vermietet werden – ihre Zahl wird von der französischen Regierung auf derzeit 1,8 Millionen geschätzt. Weitere im Gesetz vorgesehene Maßnahmen betreffen u. a. die Schulen, Alltags-Produkte, Verpackungen, Verkehrsmittel und Neubauten in den Städten:
- Um schon die Jüngsten zu einem respektvollen Umgang mit der Natur zu erziehen, soll es in den Schulen eine Bildungsoffensive mit Kursen zur nachhaltigen Entwicklung geben. Vorgesehen ist außerdem mindestens einmal pro Woche ein vegetarisches Menü in den Schulkantinen.
- Produkte wie Kleidung werden während einer experimentellen Phase von maximal fünf Jahren mit einem Label versehen, das die benötigte Energie für ihre Herstellung ausweist. Bereits seit Anfang des vergangenen Jahres verbietet ein Gesetz, unverkaufte Textilien zu vernichten.
- Da die Versiegelung von Böden reduziert werden soll, dürfen Einkaufszentren mit mehr als 10.000 Quadratmeten nicht mehr gebaut werden.
- Supermärkte mit mindestens 400 Quadratmetern Verlaufsfläche müssen bis 2030 mindestens 20 Prozent davon für Produkte ohne Verpackung reservieren. Um das Müllaufkommen zu verringern, wird außerdem das Verteilen von Musterproben und Prospekten stark eingeschränkt.
- Die „Fahrrad-Prämie“ wird auf den Erwerb von Elektrofahrräder und Cargo-Räder ausgeweitet; als Abwrackprämie für Autos gibt es bis zu 2500 Euro Zuschuss beim Kauf eines Pedelec.
- Die Begrünung von Dächern in den Städten wird vorangetrieben: Neue Bürogebäude mit einer Fläche von über 1000 Quadratmetern müssen 30 Prozent ihrer Dächer für Begrünung oder Solarenergie-Gewinnung aufweisen. Das betrifft auch Parkhäuser.
Politisches Tauziehen und Kalkül
Während der Ökozid, also die Störung oder Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts durch Umweltverschmutzung, zu einem Delikt wird und Strafen (von bis zu 4,5 Mio Euro) nach sich ziehen kann, droht die Absicht der Regierung zu scheitern, den Umweltschutz in der Verfassung festzuschreiben: Der französische Senat, der mehrheitlich von Republikanern besetzt ist, lehnte einen von der Nationalversammlung verabschiedeten Text bereits ab, nach dem Frankreich den Schutz der Umwelt und der Biodiversität sowie den Kampf gegen den Klimawandel „garantiert“. Für das von Macron dazu beabsichtigte Referendum ist eine Einigung beider Parlamentskammern jedoch Voraussetzung.
Auch beim Umweltschutz geht es natürlich wie immer stets auch um politisches Kalkül. Abzulesen ist dies nicht zuletzt an den Reaktionen auf das neue Gesetz. Während die Regierungsmehrheit voll des (Eigen-)Lobs ist und den „Durchbruch für das Klima“ feierte, kritisierten die Republikaner die „PR-Show des Präsidenten“ und Abgeordnete der Sozialisten, Grünen und Kommunisten eine „Politik der kleinen Schritte, die mit dem Rhythmus der wirtschaftlichen und sozialen Änderungen nicht Schritt hält“, so der Abgeordnete Hubert Wulfranc (PCF).
Zu den größten Kritikern des neuen Gesetzes gehört der ehemalige Umweltminister Nicolas Hulot. Es reiche weder aus, sagte er in einem Interview mit der Tageszeitung Le Monde, „um das französische Ziel einer Emissionsreduzierung um 40 Prozent zu erreichen, und es reicht noch weniger aus, um das europäische Ziel von 55 Prozent zu erreichen“.
In der Kritik steht unterdessen nicht nur das neue Klima-Resilienz-Gesetz, sondern die Regierungsbilanz bezüglich der Klimapolitik insgesamt. In einem Urteil des Pariser Verwaltungsgerichts heißt es, der Staat ergreife nicht genügend Maßnahmen, um die französischen Klimaschutzziele zu erreichen. Der u. a. von Hulot, Oxfam und Greenpace eingereichten Klage, war eine Petition mit 2,34 Millionen Unterschriften vorausgegangen.
In mehreren französischen Städten kam es denn auch zu Protesten gegen das Gesetz, weil die Maßnahmen vielen nicht weit genug gehen. Es dprfte für Präsident Emmanuel Macront wohl kaum ein Befreiungsschlag in Sachen Umweltpolitik sein.
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Frankreichs Klima-Bürgerrat
Es war eine Antwort auf die Widerstandsbewegung der „Gelbwesten“, deren Bewegung Ende 2018 wegen einer geplanten Ökosteuer auf Benzin entstanden ist, und ein Fazit aus den großen Bürgerdebatten, die Emmanuel Macron daraufhin im Frühjahr 2019 im Land durchführen ließ: die Gründung eines „Bürgerrates für das Klima“ (Convention Citoyenne pour le Climat).
150 zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger aus allen Landesteilen und Gesellschaftsschichten arbeiteten in diesem Rat insgesamt 149 Empfehlungen für den Gesetzesgeber aus. Ziel war es, die Treibhausgas-Emissionen Frankreichs bis 2030 um 40 Prozent (ausgehend vom Jahr 1990) zu reduzieren.
Hatte Präsident Macron zunächst versprochen, er werde die Anregungen „ungefiltert“ übernehmen, so lehnte er drei davon sofort ab – unter anderem die Verringerung der Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen von 130 auf 110 Stundenkilometern und eine Abgabe von vier Prozent auf Dividenden zur Finanzierung der Energiewende. Nur etwa die Hälfte der Vorschläge, teils entschärft oder verwässert, übernommen. Manche der Teilnehmerinnen und Teilnehmer äußerten sich denn auch enttäuscht über das Gesetz; andere freuten sich, dass zumindest einige Vorschläge übernommen werden.
Auch in Deutschland hat ein „Bürgerrat Klima“ mit 160 Mitgliedern im April 2021 seine Arbeit aufgenommen.